Der Autotester der Fachzeitschrift „Auto Motor und Sport“ ist begeistert vom neuen elektrischen Volkswagen-Reisekombi ID7 Tourer: Er lobt überschwänglich Qualität, Fahrverhalten, Komfort und Haptik des Fahrzeuges. „Eine wunderschöne harmonische Kombination aus Reisemaschine und sportlichem Auto.“ Der Wagen fährt extrem effizient. 675 Kilometer Reichweite soll er im besten Fall schaffen. „Da kann selbst Tesla noch etwas lernen“, so das überschwängliche Fazit eines anderen Testers. Na also. Wer sagt, dass deutsche Elektrofahrzeuge auf dem globalen Markt nicht konkurrenzfähig sind?
Leider sagen das die Deutschen selbst: Laut Meinungsforschungsinstitut Allensbach glauben viele nicht daran, dass deutsche Automobilhersteller besonders gute Elektroautos bauen. Die meisten Deutschen, danach befragt, sehen die Führungsposition in Sachen E-Fahrzeuge derzeit bei China. Dazu kommt, dass eine Mehrheit der Deutschen E-Autos sowieso misstrauisch gegenübersteht. Sie findet sie zu teuer, bemängelt deren Reichweite, zweifelt deren Umweltfreundlichkeit an und kritisiert die Zahl der Ladestationen sowie die Länge des Ladevorgangs.
Keine guten Voraussetzungen für den Erfolg von E-Fahrzeugen „Made in Germany“. Es sieht daher auch gerade nicht gut aus für die deutschen Hersteller. Der Verkauf von Autos, insbesondere von Elektroautos, in Deutschland ist eingebrochen. Der Neuwagenabsatz bei Elektroautos sank im Juli um 36,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Im August war der Einbruch mit 69 Prozent noch weitaus dramatischer. Aber auch bei fast allen weiteren Antriebsarten gingen die Zahlen teils deutlich zurück. Volkswagen, neben Toyota größter Autohersteller der Welt, kündigte erstmals Werksschließungen an.
Ob die kürzlich verabschiedeten Maßnahmen der Bundesregierung ausreichen, um den Absatz von Elektroautos wieder anzukurbeln? Mit der steuerlichen Förderung von E-Autos als Dienstwagen wird für Unternehmen rückwirkend zum 1. Juli 2024 eine Sonderabschreibung für neu zugelassene vollelektrische und vergleichbare Nullemissionsfahrzeuge eingeführt. Außerdem wird bei der Dienstwagenbesteuerung für E-Fahrzeuge der Deckel für den Brutto-Listenpreis von 70.000 Euro auf 95.000 Euro angehoben.
Entgegen der Zurückhaltung in Deutschland wächst der globale Markt für E-Fahrzeuge stark. 2023 wurden weltweit 13,7 Millionen elektrische Autos verkauft, 35 Prozent mehr als 2022. Davon waren die Hälfte Plug-in-Hybride, die sowohl über Verbrennungs- wie auch E-Motor verfügen. Jedes zweite verkaufte E-Auto stammte aus China. BYD, BAIC, Geely, Changan, GWM, GAC, Dongfeng, Nio – knapp 130 Marken mit über 400 angebotenen E-Auto-Modellen buhlen in China um die Gunst der Kunden.
Stefan Bratzel, der als Professor am Center of Automotive Management an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach forscht, sieht eine umfassende Transformationspflicht auf die deutsche Autoindustrie zukommen. Dafür hat der Experte einen griffigen Slogan: „KoKoKo“ – was bedeutet: Zum ersten müssen deutsche Hersteller für sie unbekannte „Ko“ – für Kompetenzfelder – erschließen: Batterietechnik und digitale Vernetzung. Das zweite „Ko“ steht für „neue Kooperationen“ mit den Zulieferern. „Bisher lief es so“, erklärt Bratzel. „Ganz oben steht der Automobilhersteller, der entscheidet, mit welchem Zulieferer er zusammenarbeiten möchte. Aber im neuen Markt ist die Zahl der Akteure gering.“ Und sie können größer oder bedeutender sein als der Automobilhersteller selbst.
Beispiele? Der chinesische Batteriehersteller CATL überstrahlt mit einem Marktwert von 101 Milliarden Euro alle Konkurrenten. Der US-amerikanische Chiphersteller Nvidia – Thema Künstliche Intelligenz – ist mit 2,8 Billionen Euro das wertvollste Unternehmen überhaupt. Dagegen wirkt die Volkswagen AG mit einem Marktwert von knapp 55 Milliarden Euro – ohne Porsche – geradezu klein. Das dritte KO, diesmal mit großem O, betrifft „Kultur und Organisation“. „Wenn die deutschen Unternehmen sich gegenüber der Konkurrenz behaupten wollen, müssen sie schneller werden“, erklärt Bratzel. „In der Entwicklung und der Fertigung von Fahrzeugen, aber auch in der Batterietechnik.“ Und vor allem in Sachen Digitalisierung: „Sie müssen selbst ein Stück weit Softwareunternehmen werden.“
Und das alles im laufenden Betrieb. Denn mit anderthalb Füßen stehen die deutschen Hersteller immer noch in der analogen Welt der Verbrennungsmotoren: Mercedes mit Maybach und AMG. BMW mit Mini und Rolls-Royce. Volkswagen mit VW, Audi, Porsche und seinen ausländischen Marken Skoda, Seat und Cupra, Lamborghini, Bentley und Ducati. Während sie die politischen Auswirkungen des Klimawandels ignorierten, wuchs in den USA die E-Fahrzeug-Schmiede Tesla des Tech-Milliardärs Elon Musk zum wertvollsten Autokonzern der Welt. In Fernost, der globalen Fertigungshalle für Elektrobauteile und Akkumulatoren, explodierte die Zahl der Hersteller von Elektrofahrzeugen. Egal: Die Deutschen setzten weiter auf Diesel und Benzin.
Inzwischen aber hat die deutsche Autoindustrie, mit 780.000 Beschäftigten und einem Umsatz von über 550 Milliarden Euro (laut Statista) stärkster deutscher Industriezweig, ein Stück weit aufgeholt: Von 4,1 Millionen produzierten Pkw 2023 hatte schon fast jeder vierte einen elektrischen Antrieb. Die allermeisten davon, nämlich 786.000, wurden allerdings ins Ausland verkauft.
„Bisher war das USP der deutschen Autoindustrie ihre Innovationskraft“, konstatiert Bratzel. „Nun sehen wir, dass die chinesischen Hersteller von Jahr zu Jahr innovationsstärker werden.“ Was längst nicht heißt, dass sich die Deutschen geschlagen geben müssen. Laut dem Verband der Automobilindustrie stammt jedes dritte Patent im Bereich Elektromobilität von deutschen Erfinderinnen und Erfindern. Erst dahinter kommen Japan, China, die USA und Südkorea.
Die deutschen Automarken haben einen Ruf zu verteidigen. Ihre neuen E-Fahrzeuge sind laut Experten nicht nur Weltspitze in Sachen Komfort, Haptik und Fahrzeugtechnik, sondern auch, was ihre Elektromotoren betrifft. In der Transformation hin zur elektrischen, digital vernetzten Mobilität kommt es nun darauf an, bei allen Komponenten das gleiche Niveau zu erreichen. Dann sieht es für die deutschen Autohersteller gar nicht schlecht aus.