Deutsche Unterwasser-KI soll Seeschifffahrt nachhaltiger gestalten

Wie Unterwasserdrohnen und Data Science Emissionen reduzieren

Von links nach rechts: Michael Stein (Vesselity), Manuel Marting (Scandlines) Laurent Decu (Lloyds Register) bei der erstmalig durchgeführten unbemannten Klassifikation
Von links nach rechts: Michael Stein (Vesselity), Manuel Marting (Scandlines) Laurent Decu (Lloyds Register) bei der erstmalig durchgeführten unbemannten Klassifikation
Vesselity Maritime Analytics Beitrag

Vesselity Maritime Analytics, ein Start-Up aus dem Norden, wurde im Sommer 2023 von Michael Stein und David Kaiser ins Leben gerufen. Die beiden Gründer trafen sich bereits 2012 während ihres Studiums an der Kühne Logistics University in Hamburg. Nun haben sie sich zum Ziel gesetzt, die globale Seeschifffahrt nachhaltiger zu gestalten. Ihr innovativer Ansatz besteht darin, Bewuchs an Schiffsrümpfen frühzeitig mithilfe von Unterwasserdrohnen, sogenannten ROVs (Remotely Operated Vehicles), und einer spezialisierten Bilderkennungssoftware zu identifizieren. Dadurch können Reedereien frühzeitig über Einsparpotenziale in Bezug auf Treibstoffverbrauch und CO2-Ausstoß informiert werden. Michael Stein betont das enorme Einsparpotenzial: 

„Studien zeigen, dass durch proaktive Reinigung der Schiffshülle über 7 % Treibstoff eingespart werden können. Dies reduziert nicht nur den CO2-Ausstoß erheblich, sondern hat auch betriebswirtschaftliche Vorteile, wenn man bedenkt, dass eine Tonne Bunkeröl in Rotterdam aktuell etwa 630 USD kostet.“

Die Einführung dieser Einsparpotenziale kommt zu einem kritischen Zeitpunkt für den deutschen und internationalen Schifffahrtsmarkt. Seit Januar 2023 sind die Resolutionen MEPC.352-55(78) der Internationalen Maritimen Organisation (IMO) in Form des CII (Carbon Intensity Indicator) in Kraft getreten. Der CII für Seeschiffe ähnelt dem Energieausweis eines Gebäudes, mit dem wesentlichen Unterschied, dass ein zu schlechter Wert den Schiffseigner am Jahresende zum Abriss des Schiffes zwingen kann. Mit dieser Maßnahme möchte die IMO den globalen Emissionsausstoß der Schifffahrt, der aktuell etwa 3 % der weltweiten Emissionen ausmacht, reduzieren.

Vesselity Maritime Analytics bietet Reedern eine einfache, effiziente und kostengünstige Lösung zur Emissionsreduktion. Statt teurer Hardwareinstallationen auf Schiffen setzen die Gründer auf Datenanalyse. Sie kombinieren Satellitendaten der Schiffe mit bekannten Wetterdaten und Betriebsdaten aus verschiedenen Quellen und erweitern diese Daten um den Blick unter die Wasserlinie. Bisher erhalten Schiffe eines bestimmten Alters alle 2,5 Jahre ihre s. g. Klasse, vergleichbar mit dem TÜV-Siegel beim KFZ. Zu dieser Zeit wird das Schiff abgetaucht, um die Außenbereiche der Hülle und des Antriebes zu inspizieren. Da diese Inspektion kostspielig ist und das Schiff aufhält, belassen es viele Reeder bei dieser Zwangsbesichtigung. Michael Stein und David Kaiser sehen die bisherige Praxis vieler Reedereien kritisch: 

„Wer seine Entscheidungen bezüglich des Bewuchses nur auf die Klasseinspektion stützt, navigiert über 900 Tage quasi blind über die Weltmeere. Fouling, also das Anhaften von Algen, Pocken und anderen Organismen, kann den Wasserwiderstand und damit den Treibstoffverbrauch und die Emissionen erhöhen. Je regelmäßiger ein Reeder über den Zustand der Schiffshülle informiert ist, desto effektiver können Maßnahmen ergriffen werden.“

 

KI-Auswertung eines Schiffes mit Bewuchs
KI-Auswertung eines Schiffes mit Bewuchs

Um regelmäßige Inspektionen zu ermöglichen, setzen die Gründer auf modernste Robotik-Technologie. Sie sind überzeugt, dass mobile ROVs traditionelle Inspektionstaucher für viele Aufgaben ersetzen können. Regelmäßige Lagebilder des Schiffsrumpfes erlauben somit ein schnelleres Handeln. Hierzu wird Vesselity bis Anfang 2024 ein europaweites Netzwerk an ROV-Knotenpunkten aufgebaut haben und steht bereits in Gesprächen mit Kooperationspartnern für eine Erweiterung auf den Nahen Osten und Asien. Dass ROVs hierbei ein zukunftsweisendes Mittel der Wahl sind, konnte Vesselity bereits im Juni 2023 unter Beweis stellen. Michael Stein ist es in Puttgarden gelungen, erfolgreich eine Klasseinspektion an einem Fährschiff alleine mittels Roboter durchzuführen, welches von der Klassifikationsgesellschaft Lloyds Register zertifiziert wurde. Den Ausblick, was dies für die Schifffahrt bedeuten könnte, beschreib er wie folgt:  

„Jahrzehnte lang war es Berufstauchern vorbehalten, Seeschiffe zu klassifizieren. Hierzu waren Teams aus bis zu 3 Personen und schweres Equipment mit Vor- und Nachbereitung notwendig. Ich habe den Prozess erfolgreich auf ein 9 kg ROV, ein iPad und einen USB-Kontroller reduziert und habe den IWS (in-water survey) in knapp 4 Stunden abgeschlossen. Ich bin überzeugt davon, dass dieser Erfolg einen deutlichen Schritt zur maritimen Digitalisierung darstellen wird.“ 

Die Vision von Vesselity ist es, sich als globaler Hub für die Speicherung und Auswertung von Schiffsinspektionsdaten zu etablieren. Dafür entwickeln die Gründer eine KI speziell für Unterwasser-Bilderkennung, die unter anderem verschiedene Typen von Bewuchs und Schäden in Unterwasseraufnahmen klassifizieren kann. David Kaiser reflektiert über den Beginn ihrer KI-Forschung: 

„Was ursprünglich als Hobbyexperiment während des Lockdowns begann, hat sich rasch zu einem Projekt mit enormem Potenzial entwickelt. Die Fortschritte, die wir in so kurzer Zeit erzielt haben, haben uns beeindruckt. Mit Blick auf die kommenden Jahre sind wir optimistisch, dass unsere Technologie einen signifikanten Beitrag zur nachhaltigen Transformation der Schifffahrt leisten wird.“ 
Vesselity Maritime Analytics ist sehr stolz, bereits während der Gründungsphase zwei initiale Großkunden gewonnen zu haben. Aber der Fokus liegt nicht allein auf den Großen, welche oft bereits über eigene Datenanalysten und die dazugehörige IT-Infrastuktur verfügen. Vesselity hat auch die kleineren Reedereien mit wenigen Schiffen im Blick, die eine effiziente und kostengünstige Entscheidungshilfe suchen. 

Des Weiteren betätigt sich Vesselity aktiv an der Forschung und Entwicklung von KI. Die Gründer haben ihr neuronales Netzwerk in ersten Versuchsreihen auch auf Geisternetze und Seeminen trainiert und konnten ebenfalls vielversprechende Testergebnisse erzielen. Es wird also spannend bleiben über die kommenden Monate, wie dieses deutsche Start-up Licht ins Dunkel unterhalb der Wasserlinie bringen wird.

www.vesselity.de  

Nächster Artikel