Eine Landmaschine fährt über das Feld und holt das Getreide ein, während der zugehörige Landwirt die Ernte vom Feldrand mit seinem Smartphone kontrolliert. Überwachtes autonomes Fahren nennen das die Experten. Laut der Studie „Scouting the Autonomous Agricultural Machinery Market“ des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering IESE wird das überwachte autonome Fahren bis 2045 einen Marktanteil von mehr als 80 Prozent in Westeuropa ausmachen.
Auf dem Feld nebenan geht es allerdings nicht weniger spektakulär zu: Dort sind Drohnen im Einsatz, die – ausgestattet mit Kamerasystemen und Sensorik – den Zustand der Pflanzen bestimmen. Sind Düngemittel und Wasser optimal abgestimmt? Gibt es einen Schädlings- oder Pilzbefall oder wächst zu viel Beikraut? Die Daten, die die Drohnen sammeln, werden in Echtzeit über die Cloud von speziell trainierten KI-Systemen analysiert, sodass nicht nur die Verantwortlichen im landwirtschaftlichen Betrieb direkte Maßnahmen ergreifen können, sondern auch die Pflanzenzüchter langfristig von den Erkenntnissen profitieren.
Und auch das ist längst keine Science-Fiction mehr. Das Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF erforscht und entwickelt gerade die dafür nötigen Technologien. Im Leitprojekt COGNAC wird derzeit beispielsweise die Anwendung intelligenter Spektralsensorik am Beispiel Beikrauterkennung in der Zuckerrübe untersucht. Die Messkampagnen 2020 und 2021 haben bereits gezeigt: KI-gestützte Sensorik kann in 98 Prozent der Fälle Beikraut von der Zuckerrübe unterscheiden. Und das ist eine wichtige Erkenntnis. Denn ganz grundsätzlich gilt: Je besser ein Landwirt über den Zustand seiner Pflanzen Bescheid weiß, desto zielgerichteter können Maßnahmen wie Bewässerung oder Düngung erfolgen. Im Fall von Beikraut erhoffen sich die Forscher einen wichtigen Schritt zur pestizidfreien Landwirtschaft. Am Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB werden dazu ebenfalls im Rahmen des Projekts COGNAC schwierige Aufnahmebedingungen erforscht, etwa bei starker Schattenbildung.
Bis wir in Deutschland jedoch wirklich von Hightech-Bauernhöfen sprechen können, wird wohl noch etwas Zeit vergehen. Die Gründe sind vielschichtig. Grundsätzlich steht die Landwirtschaft der Digitalisierung sehr aufgeschlossen gegenüber. So zeigt die Studie „Digitalisierung in der Landwirtschaft 2022“, dass 92 Prozent der Befragten glauben, dass digitale Technologien helfen, Dünger, Pflanzenschutz und andere Ressourcen einzusparen. Auch in der Steigerung des Tierwohls sehen 62 Prozent einen wichtigen Aspekt der Digitalisierung. 63 Prozent der Befragten glauben, dass sie mit einem Mehr an Digitalisierung auch langfristig ihre Kosten senken können. Und hier wird es interessant: Bei der Befragung 2019 glaubten noch 75 Prozent, dass eine digitale Transformation auch mit Kostenersparnis einhergeht.
»Die Landwirtschaft steht der Digitalisierung sehr aufgeschlossen gegenüber.«
Einen möglichen Grund für diesen deutlichen Rückgang liefert die diesjährige Digital Farming Conference Ende Mai in Berlin. Die Eröffnungsrede hält Ophelia Nick, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, die betont: „Unsere Rolle als Politik besteht darin, Rahmenbedingungen zu schaffen, um Innovationen zu fördern.“ Und dieser Rolle wird die Politik ihrer Ansicht nach auch gerecht. Bei der Start-up-Förderung seien sie schon ziemlich gut, findet Nick. Die Start-up-Gründerinnen und -Gründer, die im Anschluss an die Keynote mit der Staatsekretärin auf dem Podium zur Diskussion sitzen, stimmen da nicht ganz mit überein. Andreas Heckmann von Agvolution findet beispielsweise, dass Föderalismus und Bürokratie in Deutschland eher Verwirrung stiften. Und er muss es wissen, schließlich hilft sein Unternehmen Landwirten dabei, ihre Felder präziser zu bewässern und zu düngen, muss sich entsprechend mit Quoten und Vorgaben auskennen. Von der Moderatorin konkret nach der Politik gefragt, sagt er: „Die produzieren Stilblüten.“
Worauf Heckmann vermutlich auch anspielt, sind die „Experimentierfelder“, 14 an der Zahl, von denen zuvor Nick in ihrer Keynote berichtete. Politisch gefördert sollen dort neue Techniken und Methoden erprobt werden. Auch die zweite Gründerin auf dem Podium hält von solchen Pilotprojekten nur wenig. Im Gegenteil: Charlotte Rother von doinstruct, einer digitalen Schulungsplattform für die Agrar- und Lebensmittelindustrie, glaubt, dass es jetzt vielmehr darum ginge, die Landwirte zu befähigen, Wissen in die Breite zu tragen und damit den Einsatz neuer Technologien in der täglichen Arbeit zum Standard zu machen. Dafür müsste vor allem der Nutzen von Daten und digitalen Lösungen für die Landwirte klar sein.
Dass hier ein Bedarf besteht, haben auch die Universitäten erkannt und bieten mittlerweile auf Technologie fokussierte, landwirtschaftliche Studiengänge an. An der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe kann man beispielsweise seit dem Wintersemester 2018/2019 Precision Farming studieren. Der dortige Leiter des Studiengangs, Prof. Burkhard Wrenger, betont: „Unsere Absolventen sind nicht nur Landwirte, sondern auch Informatiker und Ingenieure.“ Und auch an der TU Kaiserslautern gibt es im Fachbereich Informatik mittlerweile einen Lehrstuhl Digital Farming.
Wie wichtig dieses Wissen künftig sein wird, unterstreicht John May gegenüber dem US-Magazin Wallstreet Journal. Der CEO des Landmaschinenherstellers John Deere berichtet dort von den ehrgeizigen Plänen, bis 2030 zehn Prozent der Einnahmen mit Software erwirtschaften zu wollen. Und noch in diesem Jahr will man autonom fahrende Traktoren auf den Markt bringen. Die Basis dafür wurde im vergangenen Jahr geschaffen: Für 250 Millionen US-Dollar hat John Deere das Software-Start-up Bear Flag Robotics übernommen, dessen Technologie als Nachrüstung auch älteren Trakoren das autonome Fahren erlauben soll. Die Landwirtschaft tut also gut daran, ihr Technologie-Know-how besser heute als morgen auf- und auszubauen. Denn der Hightech-Bauernhof kommt vielleicht doch schneller als gedacht.