Escherichia coli, vermutlich besser als Kolibakterium bekannt, ist ein säurebildendes Bakterium, das sich besonders im menschlichen und tierischen Darm wohlfühlt. Und es löst hin und wieder und je nach Unterart gerne auch mal Krankheiten aus. Escherichia coli kann aber auch durchaus nützlich sein, wie das Start-up Amsilk aus Martinsried bei München nun eindrucksvoll unter Beweis stellt. Vereinfacht ausgedrückt, nutzt man das Bakterium – genetisch manipuliert – dafür, synthetische Seide herzustellen. Die ist einerseits flexibel und weich und andererseits so widerstandsfähig, dass Amsilk ihr Produkt Biosteel, also biologischen Stahl, nennt.
Ob dieser „Bio-Stahl“ wirklich halten kann, was der Name verspricht, wird künftig wohl vor allem die Kooperation mit dem Flugzeugbauer Airbus zeigen. Dieser ist nämlich auf die Innovation aus Martinsried aufmerksam geworden und erhofft sich von der synthetischen Seide langfristig eine Alternative zum Carbon zur Fertigung von Flugzeugteilen – und damit eine deutliche Kostenersparnis. Getreu dem afrikanischen Sprichwort „Wenn du schnell gehen willst, gehe alleine. Wenn du weit kommen willst, gehe gemeinsam“, setzen etablierte Unternehmen derzeit verstärkt auf Kooperationen mit jungen, dynamischen und vor allem innovativen Start-ups.
Fehlt es den Alteingesessenen also an neuen Ideen? Ruht man sich dort zu sehr auf vergangenen Erfolgen aus? Prof. Martin Mauer, Inhaber des Lehrstuhls für Entrepreneurship und Innovation an der ESCP Europe Berlin, hat eine einfache Erklärung: „Ich denke, man muss sich wirklich mal vor Augen führen, dass Unternehmen Mittel sind und nicht Zweck. Etablierte Firmen sind dafür da, etablierte Produkte und Dienstleistungen in etablierten Geschäftsmodellen höchst professionell und effizient zu managen. Es sind gut geölte Maschinen für die Optimierung des Bekannten und Erprobten. Findet Innovation in ihnen statt? Natürlich. Aber sie stößt aufgrund eben dieser Strukturen und Prozesse an Grenzen.“ Start-ups mit ihren agilen, offenen Strukturen böten hingegen einen ganz anderen Kontext für Innovationen.
Unternehmen, die wirklich zukunftsfähig bleiben wollen, kommen um die Zusammenarbeit mit den „jungen Wilden“ also tatsächlich nicht herum. Innovation braucht immer auch Mut und Raum für ein Ausprobieren – und im Zweifel auch für ein Scheitern. Doch wie bindet man als Unternehmen ein Start-up am elegantesten in seine bestehenden, etablierten Strukturen ein und wie groß muss die „Entfernung“ zum Etablierten sein? Auf diese Frage gibt es kein Richtig oder Falsch, nur individuelle Vor- und Nachteile. Und genau deshalb gibt es für Unternehmen – egal ob groß oder klein – auch diverse Möglichkeiten, sich die Vorteile der Start-ups zu nutze zu machen.
Brütest du noch oder beschleunigst du schon? So lassen sich diese beiden sehr beliebten Kooperationsmöglichkeiten mit einem Start-up wohl am treffendsten beschreiben. In der Start-up-Szene ist der Inkubator tatsächlich so etwas wie ein Brutkasten, der dafür sorgt, dass das junge, zarte Pflänzchen die optimalen Bedingungen hat, um in Ruhe heranwachsen zu können und die Geschäftsidee reifen zu lassen. Acceleratoren werden oftmals als Synonym für Inkubatoren verwendet, was allerdings nicht ganz richtig ist. Die Ziele sind zwar nahezu identisch, dennoch lässt sich das Interesse eines Accelerators eher damit vergleichen, die „PS“ hinter dem Start-up und der Geschäftsidee schnellstmöglich auf „die Straße zu bringen.“ Beides scheint in der Praxis überaus erfolgreich, wie das Wirtschaftsmagazin Forbes aufzeigt. Demnach haben die 30 größten Unternehmen der Welt ihr Engagement als Inkubator oder Accelerator zwischen 2010 und 2016 von lediglich zwei Prozent auf 44 Prozent erhöht.
Für Prof. Mauer ist klar, dass jeder Versuch der Zusammenarbeit mit Start-ups zunächst als solcher gewürdigt gilt und dass es ohnehin keine einfache One-size-fits-all-Lösung gäbe. Alle Lösungen hätten aber wiederum auch ihre Schwierigkeiten: „Der große Logistikkonzern, der sein Innovationszentrum 15 Kilometer vom Headquarter entfernt aufgeschlagen hat, schafft der Innovation Freiraum. Die Mitarbeiter dort klagen aber über die Schwierigkeit, mit ihren Ergebnissen in den Linienfunktionen des Headquarters wieder andocken zu können. Inkubatoren wollen in der Zwischenzeit ja eher Acceleratoren sein, sehen sich aber vor der Herausforderung, dass häufig nicht klar ist, wie zusammengearbeitet werden kann und soll und wo tatsächlich mal gute Schnittstellen sein werden. Zudem können Acceleratoren auch gerne ein Deal-Flow-Problem haben, da schon fraglich ist, ob dort gerade immer die besten Teams landen.“ Natürlich kann man auch eine strategische Partnerschaft eingehen, wie im Fall von Airbus und Amsilk geschehen. Allerdings muss das Start-up bis dahin eine gewisse Reife vorweisen, um auch wirklich als gleichberechtigter Partner agieren zu können.
Und dann sind da noch die sogenannten Venture-Client-Units. Auch ihnen ist daran gelegen, Innovationsprozesse der Start-ups in Konzernstrukturen einzubinden. Dafür wird man allerdings Kunde des Start-ups – und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem das Produkt oder die Dienstleistung noch gar nicht marktreif ist. Daher auch Venture Client, was im englischen soviel wie Projekt, Unternehmung oder auch Wagnis bedeutet. „Die Venture-Client-Units definieren die Beziehung zum Start-up vor, der Konzern soll Kunde sein. An sich ein gutes Modell. Aber dann sind Start-ups eben noch häufig sehr früh dran. Und wenn der Konzern eher zum Lieferanten werden müsste, knarzt auch das Modell wieder“, sagt Prof. Mauer. Die Faustformel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen etablierten Unternehmen und Start-ups bringt er daher wie folgt auf den Punkt: „Es braucht ein Bewusstsein und Verständnis dafür, dass der Grad der Ungewissheit die Handlungen bestimmen sollte. Wenn ich in Berlin beispielsweise eine Bäckerei gründen möchte, hält sich die Ungewissheit in Grenzen – das Projekt lässt sich gut planen. Anders bei einem Blockchain-Start-up.“
Gewinnbringende Symbiose
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