Frau Prof. Hölzner, in einem Zeitungskommentar haben Sie geschrieben, Deutschland verliere immer mehr an digitaler Wettbewerbsfähigkeit. Grund dafür sei das Mindset. Was brauchen wir denn für ein Mindset in deutschen Unternehmen?
Der Begriff Mindset ist mittlerweile zum Modebegriff geworden. Was früher Mut war, das heißt heute Mindset. Tatsächlich aber ist es ein Konzept, das aus der Kognitionspsychologie kommt. Es beschreibt die innere Haltung, die Einstellung einer Person zu sich selbst und ihrer Umwelt. In der Wirtschaft brauchen wir mehr Menschen mit einem Entrepreneurial Mindset. Diese Menschen glauben daran, dass sie selbst etwas bewirken und verändern können. Dass ihr Handeln als Individuum Einfluss auf das große Ganze haben kann. Der Fachbegriff dafür ist Selbstwirksamkeit und ist sehr wichtig im Entrepreneurial Mindset. Gleichzeitig ist noch eine weitere Haltung von Bedeutung, die auch als „dynamisches Selbstbild“ bezeichnet wird. Sie beschreibt den Glauben an unsere eigene Entwicklungsfähigkeit.
Was bedeutet das in der Praxis?
Erfolgreiche Gründerinnen und Gründer vertrauen darauf, dass sie auf dem Weg lernen, was sie brauchen, um wirksam zu werden. Leider ist uns diese Einstellung in der Gesellschaft etwas abhandengekommen. Wir haben oft den Anspruch, vorab schon alles können zu wollen. Dinge, die wir nicht können, die machen wir auch nicht – das ist unbequem, weil wir vielleicht scheitern könnten oder negatives Feedback erhalten. Alles wird im Vorfeld durchanalysiert, um jedes Risiko zu vermeiden. Das ist aber unrealistisch. Wir müssen wieder mehr eine Haltung entwickeln, die uns Wachstum ermöglicht. Anstatt von Anfang an perfekt zu sein, sollten wir dem Prozess vertrauen. Und daran glauben, dass wir die Fähigkeiten und das Wissen, um ein Problem in der Zukunft zu lösen, auf dem Weg lernen werden.
Was brauchen Unternehmen für Rahmenbedingungen, damit Mitarbeitende ein solches Mindset entwickeln können?
Innovation und Entrepreneurship sind in den vergangenen Jahren zentrale Treiber des Wandels der gesamten Wirtschaft gewesen. Unternehmen erkennen immer stärker, dass sie in sich ständig verändernden Marktumfeldern innovativ und agil sein müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Um das zu schaffen, brauchen sie eine Unternehmenskultur, in der Ideen und auch Fehler willkommen sind, wie gerade schon erwähnt. Durch Schulungen und Workshops können wir Mitarbeitenden neue Methoden vermitteln, aber ein Kulturwandel braucht seine Zeit. Das führt mich zum nächsten Punkt: die nötigen Ressourcen. Denn Innovation ist kein Abfallprodukt, das nebenbei entsteht, sondern kostet Zeit und Geld. In Gesprächen mit Managern und Managerinnen erlebe ich oft die Vorstellung, es reiche aus, ab und zu mal einen inspirierenden Speaker zu holen oder einen Innovationstag im Jahr durchzuführen. Doch wenn ich in meinem Alltag mit meinem Tagesgeschäft vollständig ausgelastet bin, dann habe ich keine kognitiven Kapazitäten, um mich auf etwas Neues einzulassen.
Was sollten Unternehmen stattdessen tun?
Unternehmen müssen Freiräume schaffen, die nicht vorstrukturiert werden. Google macht das beispielsweise so: 20 Prozent der Arbeitszeit können sich die Mitarbeitenden mit ihren eigenen Ideen und Projekten beschäftigen. Glaubt man Google, stammen aus dieser freien Zeit Innovationen wie Gmail oder Google News. Last but not least ist Kollaboration sehr wichtig. Die interne Zusammenarbeit zwischen Abteilungen und in interdisziplinären Teams, aber auch die Zusammenarbeit mit externen Akteuren, wie Universitäten oder Start-ups. Auch hier sind die Erwartungshaltungen oft anders als die Realität. Nur weil ein Unternehmen einen Accelerator aufmacht, hat es im nächsten Jahr nicht gleich drei neue tolle Technologien entwickelt. Diese Zusammenarbeitsmodelle sind eher dafür geeignet, langfristige Veränderungsprozesse im Unternehmen anzustoßen.
Wie erreicht die von Ihnen beschriebene Unternehmenskultur, in der Ideen und Fehler willkommen sind, alle Mitarbeitenden im Unternehmen? Also auch die in der Kantine oder im Reinigungsservice? Gerade in großen Konzernen ist das keine leichte Aufgabe.
Ja, das stimmt. Auch hier spielt der Freiraum wieder eine große Rolle. Wir wünschen uns oft mehr unternehmerisches Denken bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich glaube, wir denken eh schon zu viel. Was ich mir daher vielmehr wünsche, ist unternehmerisches Handeln. All die großen disruptiven Geschäftsmodelle, die im letzten Jahrzehnt erfolgreich geworden sind – wie Airbnb, Uber, PayPal oder Instagram – wurden mit etwas ganz anderem erfolgreich, als sie ursprünglich gestartet sind. Ihr Erfolg war nur möglich, weil sie einfach angefangen haben. Dann stellten sie fest, was funktioniert und was nicht und haben ihr Produkt immer wieder angepasst. Diese Vorgehensweise ist nicht nur für Innovationsabteilungen relevant, das geht auch im Reinigungsservice. Wenn ich als Angestellte auf operativer Ebene Fehler sehe und beheben möchte und dann aber erst jemanden fragen muss, ob ich das darf, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich es gleich lasse. Vielleicht ist es mir zu aufwendig. Oder ich bin auch schon mal enttäuscht worden, weil meine Vorschläge nicht verstanden wurden, da die Führungskraft gar nicht mit meiner Arbeitsrealität vertraut ist. Das führt dann dazu, dass meine Selbstwirksamkeit reduziert wird. Gestaltungsspielräume sind wirklich auf allen Ebenen des Unternehmens wichtig.
Wie lässt sich unternehmerisches Handeln von Mitarbeitenden außerdem noch erreichen?
Beim Werkzeughersteller Hilti haben alle Mitarbeitenden, meines Wissens nach, einen leistungsabhängigen Anteil von 20 Prozent in ihrem Gehalt. Diese 20 Prozent setzen sich aus dem Gesamterfolg des Unternehmens und dem Team-Erfolg zusammen. Das Team kann sich seine Leistungsziele selbst setzen.
Zum Beispiel könnte das Kantine-Team sich zum Ziel setzen, weniger Müll zu produzieren. So wird das Kollektiv gefördert, Eigenverantwortung gestärkt und es werden keine Einzelkämpfer belohnt. Das ist ein gutes Beispiel, wie Mitarbeitende im Unternehmen Selbstwirksamkeit erfahren können.
Nicht jede Führungskraft gibt gerne Entscheidungsspielräume und damit auch Kontrolle an ihr Team ab. Wie gehen Unternehmen damit um?
Momentan gibt es noch viele Führungskräfte in Unternehmen, die in eher hierarchischen Strukturen sozialisiert wurden. Aus ihrer eigenen Erfahrung heraus empfinden sie es als Verlust von Bedeutung oder Macht, wenn sie Gestaltungsspielraum an ihre Mitarbeitenden abgeben. Gleichzeitig beobachte ich aber, dass wir in der Führungskultur in Deutschland in den letzten Jahren einen Wandel durchlaufen haben. Das kann immer noch besser werden, aber ich sehe heute viel mehr flachere Hierarchien, partizipativere Führung und mehr Fokus auf Teamarbeit und Kollaboration. Grund dafür ist nicht nur die Digitalisierung und Globalisierung, sondern auch die Corona-Pandemie, die da wie ein Katalysator gewirkt hat. Viele Unternehmen mussten zwangsweise neue Kommunikationswege schaffen und haben dafür Kollaborations-Software wie Microsoft Teams oder Slack eingeführt. In meinem Forschungsteam an der Hochschule nutzen wir beispielsweise Slack. Wenn ich ein Feedback von meinem Team einholen möchte, dann lasse ich es über ein Plugin abstimmen. Was findet ihr besser, Option A oder Option B? Das geht sehr schnell und schon weiß ich, wie das Team etwas sieht, ohne eine lange Diskussion anstoßen zu müssen. Zusätzlich fühlt sich mein Team beteiligt. Ich glaube, das ist auch in vielen Unternehmen passiert. Durch die Hintertür der Software wurden Prozesse nicht nur digitalisiert, sondern verändert und Führungsstile kooperativer.