Stresstest für den Mittelstand

Dekarbonisierung, Bürokratisierung, steigende Energie- und Rohstoffpreise und gestörte Logistik – das sind nur einige der Herausforderungen, denen sich deutsche Mittelständler angesichts der schwierigen Weltlage 2026 gegenübersehen.

Illustrationen: Marga Castaño
Illustrationen: Marga Castaño
David Schahinian Redaktion

Der Mittelstand ist nicht nur Rückgrat, sondern Zukunft unseres Landes“, sagte die Parlamentarische Staatssekretärin Gitta Connemann (CDU), als sie Ende Oktober das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) besuchte. Einige Zahlen des Instituts verdeutlichen die Aussage: Mehr als 3,4 Millionen Unternehmen in Deutschland zählen zu den kleinen und mittleren, das sind etwa 99 Prozent aller Unternehmen der Privatwirtschaft. Mehr als die Hälfte aller abhängig Beschäftigten arbeiten für sie, auch die Ausbildung von Fachkräften findet zu 69,4 Prozent in Unternehmen dieser Größenklasse statt.

Allerdings zeigt sich in Umfragen immer wieder, dass die Mittelständler, frei nach Ranger aus „Der Schuh des Manitu“, mit der Gesamtsituation unzufrieden sind. Viele aktuelle Herausforderungen treffen zwar nicht nur sie, doch sind sie aufgrund ihrer Größe oder ihrer Spezialisierung besonders stark davon betroffen. Am deutlichsten wird das an einem Schlüsselaspekt jeder wirtschaftlichen Tätigkeit, der Innovation. „Die Innovationstätigkeit in der Breite des Mittelstands hat in den zurückliegenden Jahren abgenommen“, stellt die Förderbank KfW fest. Das liegt an einem ganzen Bündel an Hemmnissen, allen voran bürokratischen. Dazu zählen Regulierungen etwa im Steuer-, Arbeits-, Umwelt- oder Datenschutzrecht. Hinzu kommen finanzierungsbezogene Hemmnisse, etwa die Forderung hoher Renditen oder ausreichender Sicherheiten für Innovationsprojekte. Kompetenzbezogene Hemmnisse entstehen unter anderem aus dem Fachkräftemangel oder fehlendem Know-how für die Umsetzung.

Die komplizierte Weltlage macht das Ganze nicht besser. Im großen Stil zu automatisieren oder Ressourcen ins Ausland zu verlagern, wollen oder können viele Mittelständler nicht, sind sie doch häufig stark in einer Region verwurzelt, für die sie eine besondere Verantwortung empfinden.

Bei der Bewältigung der Herausforderungen auf die Politik zu setzen, scheint eine fragliche Strategie. Dr. Hans-Jürgen Völz, Chefvolkswirt bei Der Mittelstand - BVMW, nennt als ein Beispiel das weiterhin gültige, wenn auch abgeschwächte deutsche Lieferkettengesetz: „Versprochen hatte die Bundesregierung im Koalitionsvertrag die komplette Abschaffung.“ Mit dem neuen Entgelttransparenzgesetz und dem Tariftreuegesetz drohe 2026 „weiterer bürokratischer Irrsinn“. Mittelständische Betriebe besäßen nicht die gleichen Ressourcen wie Großunternehmen, um bürokratische Hürden professionell zu managen.
 

JETZT ERST RECHT!


Wenn der Mittelstand jedoch eines immer wieder bewiesen hat, so ist es seine Widerstandskraft, seine Ärmel-hoch-Mentalität. Professor Dr. Friederike Welter, Präsidentin des IfM, weist darauf hin, dass der Mittelstand in geopolitisch unsicheren Zeiten von seiner Flexibilität profitieren kann. So biete beispielsweise der expandierende Verteidigungsbereich auch Chancen für Unternehmen, die bereit sind, ihr Geschäftsmodell entsprechend zu verändern.

Eine weitere Stärke, die 2026 noch deutlicher zum Tragen kommen kann, ist der ausgeprägte Zusammenhalt und die Vernetzung. „Wir geben unseren Mitgliedern Halt und Orientierung durch unser Netzwerk und die dadurch gebündelte Expertise“, verspricht Dr. Hans-Jürgen Völz für den BVMW. Darüber hinaus gibt es etwa mit dem Deutschen Mittelstandsbund oder den Familienunternehmern weitere einflussreiche Verbände. Kooperationen und Allianzen von Mittelständlern rücken ebenfalls stärker in den Fokus. Schließt man sich mit Start-ups zusammen, können beide Unternehmenskulturen davon profitieren. Ein Beispiel ist die baden-württembergische Ansmann AG, die sich auf mobile Energieprodukte spezialisiert hat. Mit dem Münchener Start-up Telusio fand man einen Dienstleister als Partner, der sich auf die Berechnung des CO2-Fußabdrucks spezialisiert hat. Die Werte dienen dem 1991 gegründeten Unternehmen nicht nur dazu, die Geschäftspraxis nachhaltiger zu gestalten. Mit ihnen ist es auch gut auf künftige regulatorische Anforderungen zum Emissionsschutz vorbereitet. Ein gutes Beispiel von vielen: Trotz historisch niedriger Investitionsquote wurden allein im vergangenen Jahr 207.000 neue Arbeitsplätze im Mittelstand geschaffen, wie die KfW berichtet.
 

CHANCEN SEHEN UND ERGREIFEN


Da keine schlagartigen Veränderungen zu erwarten sind, sind die kleinen und mittleren Unternehmen ohnehin schon längst dabei, sich noch schlagkräftiger aufzustellen. „Sie diversifizieren ihre Lieferketten, setzen auf Nearshoring und die Verringerung einseitiger Abhängigkeiten von Absatzmärkten“, betont Dr. Hans-Jürgen Völz. Nearshoring bezeichnet die Verlagerung von Unternehmensaktivitäten in geografisch nahe gelegene Länder. Eine Umfrage der Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Bundes bestätigt dies: Die Unternehmen würden unter anderem neue Lieferanten für kritische Rohstoffe suchen: Sie „verabschieden sich damit vom kostengünstigen Just-in-time-Ansatz“.

Viele sehen zudem in den Milliardenpaketen für die Bundeswehr und die Infrastruktur große Chancen, so Dr. Hans-Jürgen Volz weiter. Potenzial biete auch der Einsatz von KI. Der Mittelstand zögerte in diesem Bereich zwar lange, erkennt aber zunehmend, dass an der Technologie künftig kein Weg vorbeiführt. Es wird spannend zu beobachten, ob er sie „nur“ zur Optimierung bestehender Prozesse einsetzt, oder ob er sie nutzt, um sich neue Geschäftsbereiche zu erschließen. 

Trotz aller Bemühungen sind dem Mittelstand durch die geltenden Rahmenbedingungen Grenzen gesetzt. „Der Mittelstand gibt alles“, verspricht Dr. Hans-Jürgen Völz. Neben den bekannten Forderungen an die Politik – substanzieller Bürokratieabbau, weniger Regulierungen, niedrigere Steuern und sinkende Energiekosten – würde er sich auch wünschen, dass den Unternehmen nicht ständig Misstrauen entgegengebracht wird, sondern ein Vertrauensvorschuss: „Es wird Zeit, dass der Mittelstand wieder mehr gesellschaftliche Anerkennung bekommt.“

 

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