365 Meter, fast so hoch wie der Berliner Fernsehturm, wird das größte Windrad der Welt sein. Es geht im kommenden Sommer in Schipkau in der Lausitz in Betrieb. Der sogenannte„Höhenwindturm“ steht auf einer neuartigen Stahlgitterstruktur für extreme Höhen. Er soll bis zu 70 Prozent mehr Energie liefern als herkömmliche Windkraftwerke. „In dieser Höhe wehen konstante und stärkere Winde“, so erklärte es Jochen Großmann, der die Betreiberfirma des Windrads, Gicon, gegründet hat. „Der Wind hat in dieser Höhe nicht nur höhere Mittelwerte, sondern auch eine breitere Verteilung, was zu deutlich mehr Volllaststunden bei Windenergieanlagen in dieser Höhe führt. Die Leistung liegt damit im Bereich von Offshore-Anlagen, aber bei Onshore-Betriebsverhältnissen.“
Und die sind deutlich wirtschaftlicher als auf hoher See. Die Leistung des Höhenwindturms soll doppelt so hoch sein wie die herkömmlicher Windräder. Das Dresdner Unternehmen mit seiner patentierten Technologie sei derzeit das einzige, das solche Windräder errichten könne, zitiert der Landesverband Erneuerbare Energie Sachsen den Gicon-Chef Jochen Großmann: „Mit dem Höhenwindturm schreiben wir Geschichte. Nach über zehn Jahren Forschung und Entwicklung können wir nun den Grundstein für ein neues Zeitalter der Windenergie legen.“ Höhenwindkraftanlagen könnten in Zukunft zwei Windkraftanlagen an Land ersetzen. Und sie sind selbst eine touristische Attraktion. Die Akzeptanz in der Region für das neue Windrad sei hoch, sagen die Betreiber. Es gebe viel Unterstützung für das Projekt, die Anwohner seien neugierig auf die Innovation.
ENERGIEWENDE BLEIBT EIN WECHSELBAD
Solche Rekordbauwerke können die Akzeptanz für Windenergie steigern, wenn es nicht zu viele werden. Und sie sind ein Beispiel für die Innovationskraft deutscher Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien. Deren Ausbau kommt voran: Im ersten Halbjahr 2025 stammten rund 55 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Energien, vor allem aus Wind und Photovoltaik. Allein 2024 wurden rund 20 Gigawatt neue Erzeugungsleistung installiert – ein Rekordwert, der zeigt, wie stark der Ausbau in den letzten zwei Jahren angezogen hat. Allerdings bleiben Windenergie, Netze und vor allem die Wärmewende hinter den Zielen zurück.
Die Ausbauziele für 2030 und 2045 bleiben unter der neuen Bundesregierung unverändert ambitioniert. Bis 2045 soll die Energieversorgung klimaneutral sein, der Stromsektor schon deutlich früher nahezu vollständig auf erneuerbare Quellen umgestellt werden. Für 2030 ist im EEG verankert, dass 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus Erneuerbaren kommen sollen – ein Ziel, das aus Sicht von Expertengremien erreichbar ist, aber nur, wenn das derzeit hohe Ausbau-tempo nicht abreißt. Ob dieses Ziel erreichbar ist, entscheidet sich also erst in den nächsten Jahren: mit Genehmigungen, Netzausbau und der Akzeptanz vor Ort.
Treiber der aktuellen Zuwächse ist vor allem die Photovoltaik: 2024 wurden netto etwa 17 Gigawatt zugebaut, womit das Ausbauziel des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) nicht nur erreicht, sondern leicht übertroffen wurde. In Summe nähert sich Deutschland damit der Marke von rund 100 Gigawatt installierter PV-Leistung, sodass die Diskussion sich langsam von „zu wenig Solar“ hin zu Fragen der Systemintegration, Speicher und Flexibilität verschiebt. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es bei Photovoltaik in den nächsten Jahren netto jährlich rund 19 Gigawatt Zubau, bei Windenergie an Land und auf See zusammen etwa 12 Gigawatt – Werte, die deutlich über den bisherigen Ausbaumengen liegen. Gleichzeitig müssen Netze, Speicher und flexible Verbraucher wie E-Autos, Wärmepumpen und industrielle Lasten so eingebunden werden, dass der wachsende Anteil fluktuierender Energien die Versorgungssicherheit nicht gefährdet.
FLASCHENHALS WINDENERGIE
Die Schwachstelle der Stromwende bleibt die Windkraft: 2024 wurden an Land und auf See zusammen nur rund 3,3 Gigawatt netto zugebaut – deutlich weniger, als für den 2030-Pfad nötig wäre. Hauptbremse sind nach wie vor langwierige Genehmigungsverfahren, Flächenknappheit, Abstandsregeln und Klagen, auch wenn Bund und Länder die Ausweisung von zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft beschlossen haben. Immerhin gibt es Anzeichen für einen kommenden „Wind-Schub“: Seit Anfang 2024 wurden Genehmigungen für Windprojekte mit rund 26 Gigawatt Leistung erteilt, die in den nächsten Jahren realisiert werden sollen. In der Praxis bedeutet das: In Regionen wie Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder Brandenburg entstehen neue „Windcluster“, während südliche Bundesländer wie Bayern weiter hinterherhinken und nun verstärkt Repowering alter Anlagen und neue Flächenmodelle nutzen müssen.
Bei der Photovoltaik ist der Boom unübersehbar – auf Einfamilienhausdächern ebenso wie auf Gewerbehallen und Freiflächen entlang von Autobahnen und Bahntrassen. 2024 wurden die EEG-Ausbauziele übertroffen, und auch 2025 setzt sich die Nachfrage fort, befeuert durch gesunkene Modulpreise, vereinfachte Netzanschlüsse und steuerliche Entlastungen. In der Praxis entstehen in vielen Kommunen kleine „Solar-Ökosysteme“: Stadtwerke entwickeln Bürgerenergieprojekte, bei denen Anwohner Anteile an Solarparks zeichnen, während Mittelständler ihre Dachflächen mit PV belegen und den Strom direkt in Produktion und E-Mobilität vor Ort nutzen. Ein typisches Beispiel: Ein Maschinenbauunternehmen mit großer Hallenfläche kann mit einer Anlage im Megawatt-Bereich tagsüber einen erheblichen Teil seines Strombedarfs decken und Überschüsse in Batteriespeicher oder die Ladung eines eigenen E-Fuhrparks lenken.
WÄRMEWENDE: MAMMUTAUFGABE HEIZUNGSKELLER
Während der Stromsektor auf der Überholspur ist, kämpft die Wärmewende mit Startschwierigkeiten: Rund ein Drittel des deutschen Endenergieverbrauchs entfällt auf das Heizen, und noch immer dominieren Gas- und Ölwärme. Politisch sollen Gebäude bis 2045 klimaneutral beheizt werden – dafür muss der Einsatz fossiler Heizungen in den kommenden zwei Jahrzehnten weitgehend enden. Das zentrale Instrument ist das Gebäudeenergiegesetz (GEG), oft verkürzt als „Heizungsgesetz“ bezeichnet: Seit 1. Januar 2024 müssen neu eingebaute Heizungen grundsätzlich mindestens 65 Prozent erneuerbare Energien nutzen. Gefordert sind damit Technologien wie Wärmepumpen, klimafreundliche Fernwärme, Solarthermie, Biomasseheizungen oder hybride Systeme, während reine Öl- und Gasheizungen perspektivisch auslaufen.
Damit die Wärmewende nicht im individuellen Heizungskeller steckenbleibt, setzt der Gesetzgeber auf kommunale Wärmeplanung. Das Wärmeplanungsgesetz verpflichtet größere Städte bis Mitte 2026 und kleinere Kommunen bis 2028, eine Strategie für die zukünftige Wärmeversorgung auszuarbeiten – inklusive der Frage, wo Wärmenetze ausgebaut und wo individuelle Lösungen wie Wärmepumpen dominieren sollen. Für die Fernwärme gelten klare Erneuerbaren-Quoten: Bestehende Netze müssen ab 2030 mindestens 30 Prozent, ab 2040 mindestens 80 Prozent erneuerbare Energie oder unvermeidbare Abwärme liefern; neue Netze, die ab März 2025 in Betrieb gehen, müssen von Beginn an einen Anteil von 65 Prozent erneuerbarer oder Abwärme aufweisen. Für Stadtwerke bedeutet das einen tiefgreifenden Umbau – weg von kohle- oder gasbasierten Heizkraftwerken hin zu Großwärmepumpen, Solarthermie, Geothermie und industrieller Abwärme.
WÄRMEPUMPEN, FÖRDERUNGEN UND PRAXISBEISPIELE
Die Wärmepumpe gilt als Arbeitspferd der Wärmewende, stößt aber auf teils heftige Debatten um Kosten, Lärmschutz und Fachkräftemangel. Um den Umstieg zu erleichtern, können Hausbesitzer in vielen Fällen bis zu rund 70 Prozent der Investitionskosten über Zuschüsse und Boni refinanzieren, wenn sie zügig auf eine klimafreundliche Heizung umsteigen und bestimmte Einkommensgrenzen einhalten. In der Praxis entstehen gerade in Bestandsquartieren neue Wärmelösungen: Ein Beispiel ist der Anschluss ganzer Siedlungen an grüne Fernwärme, die durch Großwärmepumpen gespeist wird, die Flusswasser, Abwärme aus Rechenzentren oder industrielle Prozesse nutzen. Andernorts kombinieren kommunale Wohnungsbaugesellschaften Dach-PV, Wärmepumpen und gut gedämmte Gebäudehüllen, um ihre Bestände schrittweise in Richtung klimaneutraler Quartiere zu entwickeln.
INDUSTRIE UND MITTELSTAND ALS SCHLÜSSELAKTEURE
Für die Industrie und den Mittelstand ist die Energiewende längst mehr als Klimapolitik – sie ist ein Standortfaktor. Viele Unternehmen investieren in Eigenstromerzeugung, Effizienzmaßnahmen und alternative Wärmekonzepte, um sich gegen volatile Energiepreise abzusichern und CO2-Kosten zu senken. Typische Strategien reichen von großen PV-Anlagen auf Fabrikdächern über Abwärmenutzung und elektrische Prozesswärme bis hin zu Contracting-Modellen, bei denen spezialisierte Dienstleister Planung, Finanzierung und Betrieb von Energieanlagen übernehmen. Gerade energieintensive Betriebe stehen vor der Aufgabe, schrittweise von Erdgas auf elektrische oder wasserstofffähige Anlagen umzusteigen – ein Umbau, der hohe Investitionen erfordert, aber durch steigende CO2-Preise und Förderprogramme wirtschaftlich immer attraktiver wird.
Trotz messbarer Fortschritte bleibt der Weg zur Klimaneutralität eine Mammutaufgabe. Die bisherigen Zuwächse bei den Erneuerbaren reichen noch nicht aus, um die Lücke zu den 2030-Zielen sicher zu schließen; zugleich erschweren schleppender Netzausbau, Fachkräftemangel und lokale Widerstände den weiteren Ausbau. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, den Ausbau von Erzeugung, Netzen und Speichern zu synchronisieren und gleichzeitig Akteure vor Ort mitzunehmen – von Hauseigentümern über Stadtwerke bis hin zu mittelständischen Betrieben. Gelingt dies, kann die Energiewende nicht nur ein Klimaprojekt bleiben, sondern zu einem Modernisierungsprogramm für Wirtschaft, Gebäude und Infrastruktur werden, dessen Nutzen sich in niedrigeren Energiekosten, höherer Versorgungssicherheit und neuen Geschäftsmodellen niederschlägt.