»Jeder Tropfen fossiler Kraftstoff, den wir einsparen, ist gut«

 Ein Gespräch über das Potenzial von HVO100 und synthetischen Kraftstoffen mit Dr. Andreas Menne vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik.

Dr. Andreas Menne, Leiter Low Carbon Technologies, Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht)
Dr. Andreas Menne, Leiter Low Carbon Technologies, Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht)
Axel Novak Redaktion

Herr Dr. Menne, der Trend für Fahrzeugantriebe geht eigentlich zur Elektrifizierung – auch in der Logistik und bei schweren Fahrzeugen. Ist ein pflanzenbasierter Kraftstoff wie HVO100 da noch sinnvoll?


Jeder Tropfen fossiler Kraftstoff, den wir einsparen, ist gut. Aber man muss das richtig einordnen: HVO100 ist eine gute Möglichkeit, wenn es nachhaltig produziert wird, also aus Altfetten und nicht aus frischem Palm- oder Rapsöl. Palmöl ist nicht erlaubt, obwohl es prozesstechnisch eigentlich das beste wäre. Von den Verbrennungseigenschaften her ist HVO100 dem Diesel sehr ähnlich, in manchen Bereichen sogar besser, da weniger Ruß und weniger Stickoxide (NOX) bei der Verbrennung entstehen.
 

Gibt es Alternativen zu HVO100?

Ja, es gibt andere Möglichkeiten wie nicht essbare Öle, beispielsweise aus der Jatropha-Pflanze. Daran wird schon seit einigen Jahren geforscht, aber bisher gibt es keine großtechnische Produktion und Verfügbarkeit.
 

Kann HVO100 die Logistikbranche wirklich grün machen?

Zur Einordnung: In Deutschland haben wir einen Dieselverbrauch von rund 30 Millionen Tonnen pro Jahr, während in Europa nur etwa 2 Millionen Tonnen HVO100 basierend auf nachhaltigen Rohstoffen produziert werden könnten. Das reicht also nicht einmal, um 10 Prozent des deutschen Dieselbedarfs zu decken. Auf europäischer Ebene ist es noch schwieriger, da der Verbrauch dort etwa viermal so hoch ist. Ein weiteres Problem ist der Import von Ölen, beispielsweise aus China. Dabei verliert man die Kontrolle darüber, ob es sich wirklich um gebrauchtes Altöl handelt oder um falsch deklariertes Palmöl. Zudem sind solche Anwendungen sinnvoller, wenn sie regional produziert und dort genutzt werden. Importierte Rohstoffe machen in diesem Zusammenhang wenig Sinn, zumal China vor allem für den eigenen Markt produzieren könnte. Bedarf an Diesel gibt es weltweit und das bei der Verbrennung entstehende CO2 macht nicht an Ländergrenzen Halt.
 

Warum gilt HVO100 als Biokraftstoff?

Aus Altfetten kann nicht nur Dieselkraftstoff hergestellt werden, sondern mit etwas mehr Aufwand auch synthetisches Kerosin für die Luftfahrt. Die Elektrifizierung der Luftfahrt ist ungleich schwieriger als die des Straßenverkehrs. Deshalb sollten synthetische Kraftstoffe dort eingesetzt werden, wo es keine anderen Alternativen gibt, also in der Luftfahrt, der Schifffahrt oder bei schweren Land- oderBaumaschinen, die nicht so leicht elektrifizierbar sind.
 

Warum ist HVO100 teurer als herkömmlicher Diesel?

Die Herstellung ist aufwendiger, und die Grundstoffe sind teurer. Sollte sich HVO100 auf dem Markt durchsetzen, wird der Preis weiter steigen, da die Nachfrage das begrenzte Angebot übersteigt. Vollständig grüne Lieferketten können damit nicht erreicht werden, aber es ist eine Möglichkeit, die Logistik zumindest teilweise nachhaltiger zu gestalten. Deshalb sollte man diese Option nutzen.
 

Gibt es Potenzial für andere Grundstoffe, wie beispielsweise Algenöle?

Das Potenzial ist gigantisch, weil es keine Flächennutzungskonkurrenz gibt. Allerdings fehlen noch die großtechnischen Möglichkeiten. Ich habe 2006 als Student angefangen, mich mit alternativen Kraftstoffen zu beschäftigen, auch mit Algenöl, aber bis heute hat sich das nicht in eine großtechnische Umsetzung übertragen lassen. Das Öl der Algen ist schwer zu extrahieren und verhält sich anders als Raps- oder Palmöl. Zudem variieren die Eigenschaften stark.

Illustrationen: Cristina Franco Roda
Illustrationen: Cristina Franco Roda

Was geschieht mit den Produkten, die derzeit Altöle verwenden?

Es ist nicht so, dass große Branchen durch diese Veränderung ernsthafte Probleme bekommen. Zum Teil werden sie in Biogasanlagen genutzt, die eine Vielzahl von Stoffen verwerten können. Altfett ist ein guter Rohstoff, der bisher auch zur Biodieselproduktion verwendet wurde. Allerdings hat dieser Biodiesel eine geringere Qualität und Haltbarkeit.
 

Welche ernst zu nehmenden Alternativen gibt es noch?

Eine Möglichkeit sind E-Fuels aus CO2 und Wasserstoff. Diese Brennstoffe sind vergleichbar mit herkömmlichen Kraftstoffen, werden aber noch nicht im industriellen Maßstab produziert. In Deutschland ist die Herstellung von Wasserstoff über Wasserelektrolyse derzeit zu teuer, sodass die Kosten für diese Kraftstoffe etwa drei- bis sechsmal so hoch sind im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen. Oder vielleicht ist unser fossiler Kraftstoff einfach zu günstig? Solche Alternativen sind Methanol, das in Benzinern oder Schiffsmotoren genutzt werden kann, sowie synthetische Kraftstoffe aus der Fischer-Tropsch-Synthese. Diese Kraftstoffe sind praktisch frei von Schwefel- und Stickstoffverbindungen und haben geringere Abgasemissionen als herkömmlicher Diesel. Neben E-Fuels gibt es auch die Möglichkeit, Reststoffe oder Kunststoffe über Vergasung, Fischer-Tropsch-Synthese oder Pyrolyse wieder in Kraftstoffe zu verwandeln. Diese Verfahren befinden sich teilweise bereits in großtechnischer Anwendung.
 

Hat die Entwicklung synthetischer Kraftstoffe eine Zukunft?

Definitiv. Elektrifizierung ist das wichtigste Ziel, um den Kraftstoffverbrauch drastisch zu senken – wir müssen mindestens zwei Drittel des Verbrauchs einsparen. Wenn Deutschland beispielsweise nur noch 10 Millionen Tonnen flüssige Kraftstoffe pro Jahr benötigt, dann haben synthetische Kraftstoffe eine echte Berechtigung. Denn nicht alles kann elektrifiziert werden. Auch der Import solcher Energieträger wird wichtig, da erneuerbarer Strom, für beispielsweise E-Fuels, in anderen Regionen der Welt deutlich günstiger ist.
 

Wie sieht die Zukunft des Öls aus?

Es ist möglich, dass Öl in Zukunft teurer wird oder in 50 bis 60 Jahren schlicht nicht mehr in ausreichender Menge verfügbar ist. Deshalb ist es wichtig, jetzt nach Alternativen zu suchen und die Entwicklung nachhaltiger Kraftstoffe voranzutreiben.

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