Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Und so dürfen wir für 2026 schon einmal eine totale Sonnenfinsternis als Highlight in den Kalender eintragen. Am 12. August ist es so weit – allerdings nur in Teilen Spaniens, Islands oder Grönlands. In Deutschland ist die „Sofi“, wie Fans sie nennen, nur partiell zu beobachten und auch nur kurz vor Sonnenuntergang. Mit 88 Prozent in Frankfurt am Main und 85 Prozent in Berlin ist es jedoch die größte Verdunkelung der Sonne seit 1999, die in Deutschland zu beobachten ist. So viel zu dem, was für das kommende Jahr sicher ist. Danach wird es spekulativ – vor allem deshalb, weil sich nicht alles so verlässlich berechnen lässt wie die Umlaufbahnen der Himmelskörper.
Beispiel Wirtschaftswachstum: Einig sind sich die Experten, dass es 2026 wieder aufwärts gehen dürfte, wenn auch nur moderat. Die Bundesregierung hat sich ein Wachstumsziel von 1,3 Prozent gesetzt und auch die EU-Kommission hat mit 1,2 Prozent eine ähnliche Prognose für Deutschland. Beim Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung hatte man Anfang dieses Jahres noch mit 1,7 Prozent Wachstum für 2026 gerechnet. Mittlerweile sind die Expertinnen und Experten dort bei 1,4 Prozent angekommen, eine erneute Senkung im Vergleich zur Juni-Prognose, die der wissenschaftliche Leiter des Instituts, Prof. Dr. Sebastian Dullien, dennoch positiv begründet: „Die deutsche Wirtschaft ist nach langer Durststrecke wieder auf dem Weg nach vorne. Wichtige Faktoren dafür sind die zu erwartende solide Lohnentwicklung, vor allem aber die politische Entscheidung, endlich den enormen öffentlichen Investitionsstau in Deutschland aufzulösen.“ Deutlich kritischer ist das Kiel Institut für Weltwirtschaft, welches seine Prognose für das BIP-Wachstum 2026 ebenfalls von 1,6 auf nunmehr 1,3 Prozent korrigiert hat, weil laut dortigem Konjunkturchef Stefan Kooths die „Triebkräfte für einen selbsttragenden Aufschwung“ weiterhin schwach sind. Er mahnt die Politik daher: „Ohne ambitionierte Strukturreformen dürften die fiskalischen Impulse über konjunkturelle Strohfeuereffekte kaum hinauskommen.“
ROTE LATERNE BEIM WACHSTUM
Zwei Schlagwörter sind hier wichtig: Strukturreformen und Lohnentwicklung. Denn Rezession und Stagnation in Deutschland der letzten Jahre sind nicht alleine auf die geopolitische Lage zurückzuführen. Ja, der Ukrainekrieg sowie die Zollpolitik der USA haben für Unsicherheit gesorgt, die mit einem mitunter unberechenbaren Präsident Trump auch anhalten dürfte. Und eine Exportnation wie Deutschland ist davon sicherlich überproportional betroffen. Dennoch zeigt die BIP-Prognose für 2025 von 0,2 Prozent: Deutschland ist eines der Schlusslichter innerhalb der EU, nur Finnland mit 0,1 Prozent wird im laufenden Jahr wohl weniger wachsen. Für die Experten des Internationalen Währungsfonds IWF liegt das an „mangelnder Produktivitätsentwicklung infolge lange verschleppter struktureller Reformen.“ Heißt übersetzt: Deutschland hat nicht nur verschlafen, auf den zunehmenden Exportwettbewerb zu reagieren, sondern auch die Binnennachfrage zu stärken. Und das funktioniert aus ökonomischer Sicht vor allem mit Konsumanreizen für die Bevölkerung. Oder anders ausgedrückt: Höhere oder zumindest stabile Löhne führen zu mehr Konsum. Überhaupt müsse die deutsche Politik hier reagieren, heißt es vom IWF. Deutschland altert schneller als die anderen G7-Länder, womit immer weniger Menschen arbeiten wollen und können.
»Veränderung tut weh, während sich ihre positive Wirkung nur selten unmittelbar zeigt. Und doch ist sie dringend nötig.«
Deutschland müsse auch deshalb etwas gegen die hohe Teilzeitquote – vor allem bei Frauen – unternehmen, wofür der IWF verlässliche Betreuungs- und Pflegeangebote, eine Reform des Ehegattensplittings und niedrigere Grenzsteuersätze für Zweitverdiener vorschlägt. Genauso sieht es übrigens DIW-Präsident Marcel Fratzscher, der im Mai dieses Jahres die Aussage von Bundeskanzler Friedrich Merz, dass die Deutschen wieder mehr arbeiten müssten, heftig kritisierte und den Schlüssel für mehr Arbeitsstunden im Land in „der Gleichstellung von Frauen und Männern, bei einer gezielten Zuwanderung und der besseren Integration der über drei Millionen Geflüchteten, bei mehr Investitionen ins Bildungssystem sowie bei Reformen in den Unternehmen selbst“ sieht.
KURZFRISTIGE ZIELE VS. ECHTE VERÄNDERUNG
Spätestens hier zeigt sich: Die kurzfristigen Ziele von Politikern – nämlich Wahlen gewinnen – scheinen derzeit nur schwer mit jenen Themen vereinbar zu sein, die für echte Veränderung sorgen könnten. Das liegt in der Natur der Sache: Veränderung tut in der Regel weh, während sich ihre positive Wirkung nur selten unmittelbar zeigt. Und doch ist sie dringend nötig. So fällt die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) in ihrem Jahresausblick 2026 beispielsweise ein harsches Urteil über die EU: „Politisch und militärisch schwach sowie technologisch im Hintertreffen, tut sich Europa schwer in der neuen Umgebung“, womit die Autoren Matthias Krieger und Sandro Pannagl auf die veränderten Rahmenbedingungen des globalen Handelns anspielen. Dabei gebe es neue Möglichkeiten. Mercosur in Südamerika, Indien, viele asiatische Staaten oder Australien hätten großes Interesse, Handelsabkommen mit der EU zu schließen – alles Länder mit großer Bevölkerung, beachtlichen Ressourcen an strategischen Rohstoffen und hohen Wachstumsraten, wie die LBBW zu bedenken gibt. „Die EU muss diese Chancen nutzen und täte gut daran, auch innerhalb ihrer eigenen Grenzen Handelshemmnisse abzubauen.“ Womit wir zurück bei der eingangs erwähnten Sonnenfinsternis wären – und zwar als Metapher. Wir alle wissen, die Sonne verdunkelt sich nur kurz, weshalb es genau dieser Moment ist, in dem alle gebannt hinschauen, mit offenem Mund das Spektakel bestaunen. Genauso sicher scheint sich die Politik in Deutschland und Europa, dass es sich bei der schwächelnden Wirtschaft ebenfalls nur um eine Momentaufnahme aufgrund der geopolitischen Umstände handelt. Wie sonst ist das Festhalten an alten Strukturen und Industrien zu erklären? Doch während Sonne, Mond und Erde auf ihren jeweiligen Umlaufbahnen verlässlich ihrer Wege gehen, braucht Wirtschaftswachstum eine solide Basis aus technischem Fortschritt, Investitionen in Sach- und Humankapital sowie politische Stabilität. Und ob wir diese Voraussetzungen 2026 erreichen, steht aktuell noch in den Sternen.