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Die Aussichten für das kommenden Jahr sind mäßig. Viele Hindernisse müssen aus dem Weg geräumt werden. Aber dann könnte es mit der Wirtschaft wieder aufwärts gehen.

Illustration: Marcela Bustamante
Illustration: Marcela Bustamante
Mirko Heinemann Redaktion

Die Welt ist unsicher geworden. Keine Regierung zu haben, ist für die größte Volkswirtschaft Europas ein destabilisierender Faktor. Und trotzdem hat man das Gefühl, dass seit dem Bruch der Ampelregierung ein Aufatmen durchs Land geht. Nach langem Niedergang, der in der Entlassung des Bundesfinanzministers durch den Bundeskanzler seinen Tiefpunkt erreichte. 

Dabei hatte die Koalition einen guten Start. Die Ernüchterung kam schleichend. Das erste Jahr war geprägt durch den Angriff Russlands auf die Ukraine. Ein Schock, dann die schnelle, fast panikhafte Reaktion. Das russische Gas musste ersetzt werden, durch LNG, viel davon stammt ausgerechnet aus dem riskanten Fracking. Der Kniefall vor den Scheichs. Die Wut der Raffinerie-Arbeiter. Dann kam das schlampig vorbereitete Heizungsgesetz. Und sonst? Kriechgang bis Stillstand auf allen Ebenen, außer Verteidigung. Kein Geld mehr für Verkehr, Digitalisierung, Bauen, Wissenschaft, Familie. Reaktion seitens Finanzen: Klappe zu. Das konnte nichts mehr werden.

Und nun steht Deutschland da. Mit der Perspektive, 2025 wieder Schlusslicht beim europäischen Wachstum zu werden. Die Europäische Kommission erwartet für Deutschland beim Bruttoinlandsprodukt ein Plus von 0,7 Prozent, als geringstes Wachstum aller Euro-Länder. Nach einem BIP-Schrumpfen um 0,1 Prozent in diesem Jahr. Nach einem Minus von 0,3 Prozent in 2023. Und überall Krise: Die Automobilindustrie kämpft gegen sinkende Umsätze. Bosch entlässt zu Tausenden. Stahlindustrie am Abgrund. Der Mittelstand ist stinksauer. Die Bauern sind auf den Barrikaden. Nur der Waffenindustrie geht es blendend.

Und die Deutschen sparen. Der private Konsum bleibt zurück, obwohl die Reallöhne zuletzt deutlich stiegen. Was das bedeutet: Viele Haushalte legen ihr Geld lieber auf die hohe Kante, als es auszugeben, trotz der im Jahresverlauf gesunkenen Inflationsrate. „Pessimistische Erwartungen über die weitere wirtschaftliche Entwicklung und eine Verlangsamung der Reallohnsteigerungen dürften dazu führen, dass die privaten Konsumausgaben auch im Jahr 2025 nur wenig steigen werden“, fürchtet der Sachverständigenrat für Wirtschaftsfragen. Also auch hier: wenig Licht am Horizont.
 

»Daten erheben und sie nutzen – das ist das Geschäftsmodell der Zukunft.«


Woanders schon: Siemens vermeldet für sein letztes Geschäftsjahr einen Umsatzanstieg um drei Prozent auf knapp 76 Milliarden Euro. Mit 9 Milliarden Euro wurde ein Rekordgewinn erzielt. Warum: Siemens-Chef Roland Busch und dessen Vorgänger Joe Kaeser hatten den Münchener Industriekonzern zu einer Softwarefirma umgebaut, mit dem Ziel, Produktion und digitale Welt miteinander zu vernetzen. Und nun investieren Staaten und Unternehmen in digitale Lösungen – in der Infrastruktur, beim Aufbau und der Modernisierung von Schienenverkehr und in der Industrie. Daten erheben und sie nutzen – das ist das Geschäftsmodell der Zukunft. Der digitalskeptische Mittelstand in Deutschland sollte sich dies zum Vorbild nehmen. 

Wie auch die Grundhaltung hinter dem Erfolg: „Ich glaube an die Innovationskraft Deutschlands“, hatte Siemens-CEO Roland Busch m Sommer in einem Podcast mit dem Bitkom-Präsidenten Ralf Wintergerst erklärt. Es gehe darum, die starken, gewachsenen „Ecosysteme“ in die Zukunft zu bringen. Diese Ecosysteme gruppierten sich um Technologieplattformen, deren Basis Daten sind. Wenn jemand das schaffe, dann Deutschland mit seiner industriellen Basis. Busch weiß, dass nicht alles optimal läuft. „Ich bin optimistisch, aber wir haben auch Hausaufgaben zu machen.“ 

Siemens ist in diesem Jahr eine Ausnahme. Eine erfolgreiche. Die trotzdem auf den Standort Deutschland setzt. Von 2 Milliarden Investitionen im Jahr 2023 floss die Hälfte nach Deutschland. Etwa in den Bau eines neuen Stadtquartiers in Berlin. Die „Siemensstadt Square“ soll mit „modernen Lösungen und Technologien ihren Beitrag leisten und Vorbild für ein besseres Morgen sein“, so die Eigendarstellung. Das neue Stadtviertel soll CO2-neutral sein. Einstellungen wie diese machen den Unterschied. Und es sind nicht immer die Stimmen der Jugend, die den Aufbruch anmahnen. Häufig gehe die Rede von einer Rezession, sagte der 70-jährige Werner Brandt aus dem Siemens-Aufsichtsrat im Februar auf der Hauptversammlung. „Eine Rezession ist aber auch eine Chance für eine Transformation, eine Chance, sich neu zu erfinden und die Zukunft mitzugestalten.“

Und welche Rolle werden die USA unter einem Präsidenten Donald Trump spielen? Jede seiner zweifellos reaktionären Personalentscheidungen wird mit geradezu leidenschaftlich ausgemalten Untergangsszenarien illustriert. Die Doomsday-Propheten haben Konjunktur. Aber die Gefahren, die vom Protektionismus und einem großspurigen Präsidenten ausgehen, sind bereits bekannt. Gefährlicher sind panische Autokraten, deren fossile Geschäftsmodelle, wie sie bereits ahnen, dem Untergang geweiht sind. 

Deutschland hat brillante Unternehmer. Deutschland verfügt über ein hochkarätiges Ausbildungssystem, um das es die Welt beneidet (siehe Seite 4). Es hat anpassungsfähige Strukturen und eine Arbeitskultur, die sich den Bedürfnissen der Menschen anpasst (siehe Seite 6). Eine begeisterungsfähige Community, die daran arbeitet, wie Künstliche Intelligenz industrielle Prozesse noch viel effizienter machen kann. Und Deutschland hat bald eine neue – und hoffentlich stabile – Regierung. Die hoffentlich endlich Ernst macht mit Deregulierung und Entbürokratisierung. Auf dass den vielen Menschen, die Lust haben, etwas zu bewegen, diese Lust nicht ausgetrieben wird. Sie brauchen Raum für Neugierde und den Anreiz, erfolgreich zu sein.

Unternehmerinnen und Unternehmern den Anreiz zu geben, Geschäftsmodelle zu gründen, zu wachsen und zum Abheben zu bringen. Vorhandenen Unternehmen auf dem Weg in die digitale und nachhaltige Transformation Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Forschung, Innovationsgeist, Lust aufs Machen als hohe Güter zu begreifen und sie entsprechend zu honorieren – das sollte der Weg und damit eine gute Perspektive für 2025 sein.

Erster Artikel
Wirtschaft
Dezember 2024
Illustration: Feline Pessey
Redaktion

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Natürlich sind die Umwälzungen in der Automobilindustrie fundamental. Aber sie müssen sein. Ein Kommentar.