Eine eigene kleine Smart Factory zum Üben – darüber freut sich ab sofort das Berufskolleg Uerdingen in Krefeld. 150.000 Euro hat sich die Stadt das Modell der Firma Lucas-Nülle kosten lassen – mit einem konkreten Ziel, wie Schulleiter Sven Mundry betont: „Die Berufsbildung am Berufskolleg Uerdingen lebt die Handlungs- und Problemorientierung in enger Abstimmung mit den Ausbildungsbetrieben. Unerlässlich ist es daher auch, in der Schule an realistischen und modernen Anlagen zu trainieren, zu schulen und damit die Auszubildenden auf die neuen beruflichen Herausforderungen optimal vorzubereiten.“
Damit reagiert das Berufskolleg auf die veränderten Bedingungen in der Industrie, wo zunehmend intelligente Systeme die Produktionsprozesse grundlegend verändern und über die gesamte Wertschöpfungskette automatisieren. Und genau das simuliert das Modell der Smart Factory in Krefeld, wie Mundry weiter ausführt: „Das Besondere an dieser didaktisch aufbereiteten Modellanlage ist der modulare Aufbau, so dass sie in der Berufsschule vom 1. bis zum 4. Ausbildungsjahr und auch in der Fachschule für Technik genutzt werden kann.” Besonders angehende Elektroniker, Mechatroniker und Fachinformatiker würden von der Lernfabrik 4.0 in der Uerdinger Schule profitieren.
Positive Beispiele gefragt – wie in Krefeld
Krefeld ist ein positives Beispiel, das dringend deutschlandweit Schule machen muss. Denn Fach- und Führungskräfte für die Smart Factory werden in der Industrie händeringend gesucht. Arbeitsplätze in der Produktion verschwinden nicht, sie verändern sich nur, weshalb die Bedeutung von qualifizierten Mitarbeitern steigt.
Darauf muss die Aus- und Weiterbildung ebenso ausgerichtet werden wie das Studium. Allerdings sinken beispielsweise die Zahlen der Studienanfänger in den Ingenieurwissenschaften seit gut fünf Jahren deutlich, attestiert die Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik, WGP. Hält der Trend an, betrifft das sowohl die Universitätsinstitute, die keine Forschung mehr betreiben könnten, als auch die Industrie, die schon heute Schwierigkeiten hat, gut ausgebildeten Nachwuchs zu finden. Auf der Frühjahrstagung des WGP wurde das von Dr. Jörg Schaupp, Leiter des Airbus-Standorts Stade, bestätigt. In den kommenden zwölf Monaten könnte der Konzern 1.000 Ingenieurinnen und Ingenieure einstellen. Woher die Kandidatinnen und Kandidaten allerdings kommen sollen, wusste Schaupp nicht. „Auch unsere Ausbildungsplätze bieten wir an wie sauer Bier.“
Beim WGP setzt man daher auf eine Art „Smart-Factory-Früherziehung“. Auf der Weltleitmesse für Produktionstechnologie EMO im September in Hannover startete die Schülerrallye „TECHventure – Technik ist mehr als Mathe“. Man müsse mehr junge Menschen für Technik begeistern – und auch mehr Frauen, bläst der Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbau, VDMA, in dasselbe Horn. In einer Studie attestiert der Verband, dass es einen Wandel in verschiedenen Bereichen des Bildungs- und Arbeitslebens braucht, um mehr Frauen für technische Berufe zu gewinnen. „Wir brauchen mehr Schülerinnen und Studentinnen, Facharbeiterinnen und Ingenieurinnen, die in unserer Industrie Zukunft produzieren wollen“, betont Henrik Schunk, VDMA-Vizepräsident. „Dabei ist es wichtig, die Vielfältigkeit und Sinnhaftigkeit des Ingenieurberufs zu vermitteln – denn der Maschinenbau entwickelt Zukunftslösungen, von erneuerbaren Energien über die klimaneutrale Produktion bis hin zur nachhaltigen Ernährung der Weltbevölkerung.“
Damit mehr Arbeitskräfte für die neu entstehenden Smart Factories qualifiziert werden, gilt es jedoch auch, bestehenden Produktionsmitarbeitern neues Wissen zu vermitteln. Das machen Unternehmen derzeit vor allem in Eigenregie und mit internen Weiterbildungsangeboten. So wurde der Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen beispielsweise für die bisher größte Qualifizierungsinitiative der Unternehmensgewichte mit dem Deutschen Personalwirtschaftspreis 2022 in der Kategorie Talent & Learning ausgezeichnet. Die ZF „E-Cademy“ soll Beschäftigte mittels verschiedener Lernformate auf Elektromobilität vorbereiten und durch Weiterqualifizierung neue Perspektiven eröffnen. Und auch bei Audi stellt man bis 2025 eine halbe Milliarde Euro für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen bereit, um die Belegschaft fit für „Zukunftsarbeitsplätze“ in den Bereichen IT, Automatisierung und Elektromobilität fit zu machen.
Fit für künftige Aufgaben sollen gleichzeitig auch die Führungskräfte werden, deren Job im Produktionsmanagement immer anspruchsvoller wird. Individualisierte Waren, digitale Produktion und Lieferketten in einer global vernetzten Welt stellen mittlerweile Herausforderungen dar, die mit dem reinen Hochschulwissen und ersten Berufserfahrungen kaum zu bewerkstelligen sind.
Abhilfe sollen hier neue MBA-Programme schaffen, die sich speziell auf das Produktionsmanagement konzentrieren und Absolvierenden der Ingenieurswissenschaften die Management-Skills vermitteln, die es in der Smart Factory der Zukunft braucht. Und das seien Fachleute mit Kenntnissen in Betriebswirtschaft, Technik und Informatik, die mit allen reden, Herausforderungen global betrachten und jene Aufgaben, die sich daraus ableiten, disziplinübergreifend lösen können, betont Sigrid Wenzel. Sie ist wissenschaftliche Leiterin des 120 ECTS-Masterstudiengangs Industrielles Produktionsmanagement, IPM, an der Universität Kassel. Dort ist der Masterstudiengang wie an den meisten Hochschulen berufsbegleitend organisiert. Und das sei ein großer Vorteil, wie Henning Wortmann bestätigt, der den Master in Kassel absolvierte: „Bei theoretischen Ausführungen hat es nie lange gedauert, bis der erste die Hand hob und sagte: ,Das hat bei uns so nicht geklappt. Wir haben das so gelöst.‘ Das ist etwas anderes als in einer Gruppe von 20-Jährigen, die keinerlei praktische Erfahrungen mitbringen.“
Wortmann selbst ist ein gutes Beispiel. Er hatte drei Jahre sein duales Studium beim Landtechnikhersteller Claas abgeschlossen. Mit dem Master of Science im IPM wechselte er in die Corporate IT der Claas-Gruppe, wo er sich mittlerweile mit Prozessberatung und Anwendungsentwicklung beschäftigt.