Weniger Dienstreisende, mehr digitale Nomaden

Die Arbeitswelt flexibilisiert sich. Welche Freiräume sind Mitarbeitenden wichtig? Über die richtige Balance zwischen Büro und Homeoffice. 

Illustration: Malcolm Fisher
Illustration: Malcolm Fisher
Lars Klaaßen Redaktion

Begrünte Dach- und Fassadenflächen sowie Urban Farming: Das zählte für ein Viertel der Arbeitnehmenden zu den Wünschen für ihre Arbeitsplatzumgebung von morgen. Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO hat 2022 gemeinsam mit der Euroboden GmbH und Engel & Völkers Commercial Berlin 1.000 Personen zum Büro der Zukunft befragt und die Antworten als Basis für ihre Publikation „Back to the office“ genutzt. Die Studie hinterfragt, wie Verantwortliche den Anforderungen einer sich wandelnden Arbeitswelt gerecht werden und wie sie attraktive Angebote für das Büro der Zukunft machen können.

„Der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit hat sich als enorm wichtig herausgestellt“, sagt Katharina Dienes, Wissenschaftlerin am Fraunhofer IAO und Mitautorin der Studie. „Die Symbiose zwischen Natur und Gebäude ist gefragter denn je.“ So befürworten 30 Prozent der Befragten, dass Büroflächen mit öffentlich unzugänglichen Arbeitsorten im Grünen ausgestattet werden. Sie wollen diese auch außerhalb der Arbeitszeit als Naherholungsorte nutzen. Auf Klimaschutz und nachhaltiges, ökologisches Handeln legen vor allem die unter 30-Jährigen Wert. Hierbei sind die Grenzen zu einem anderen Trend fließend, der die Arbeitswelt gerade in den vergangenen zwei Jahren rasant verändert hat: Im Zuge der Corona-Pandemie haben wir bereits vorhandene Instrumente der Digitalisierung erstmals umfassend genutzt – und damit Arbeit räumlich entgrenzt. Dies wiederum flexibilisiert auch die Arbeitszeit in zunehmendem Maße.

60 Prozent der vom Fraunhofer IAO befragten gaben an, dass sich ihr Arbeitsstil in Zukunft in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht ändern wird. Statt im Büro wird häufiger im Homeoffice oder woanders gearbeitet. Auch nach der Pandemie wird sich die Frage stellen, welche Dienstreisen noch absolviert werden sollen. Wenn ohnehin fast alle daran gewöhnt sind, sich nicht mehr ständig im Büro über den Weg zu laufen, sondern weit verstreut zu arbeiten und sich im Videocall kurzzuschließen, dann lässt sich auch mancher Trip finanziell und zeitlich einsparen. Hybrides Arbeiten lässt selbst die Grenze zwischen der Fahrt ins Büro und der Dienstreise verschwimmen. Wer nicht zwingend in die Firma fahren muss, weil man auch anderswo arbeiten kann, äußert zudem auch dort andere Ansprüche.
Bei der Bewertung einer Büroimmobilie zeigt sich daher neben harten zunehmend die Bedeutung weicher Standortfaktoren. Knapp ein Viertel der Befragten wünscht sich etwa eine kreative Umgebung. In der jungen Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen standen bei 30 Prozent vor allem Faktoren wie eine digitale Infrastruktur und ein inspirierendes Umfeld ganz oben auf der Agenda. Hierbei treffen sich technologischer Wandel – der nach zögerlichem Vorlauf nun schnell in den Alltag einzieht – und eine Bewusstsein für Nachhaltigkeit, das nebenher mit Aspekten der Work-Life-Balance einhergeht.

Damit wandelt sich das Nutzungskonzept von Büroflächen. 26 Prozent der Befragten befürworten ein Office, das zukünftig vor allem als Kommunikations- und Begegnungszone genutzt werden kann. Still- und Fokusarbeiten hingegen verlagern sich in das Homeoffice. Hier kommt es jedoch sehr auf die persönliche Lebenssituation an. Mit kleinen Kindern im Haushalt ist an Still- und Fokusarbeiten kaum zu denken. Hinzu kommt die Platzfrage. Optimal wäre ein separates Arbeitszimmer. Angesichts steigender Mieten und Kaufpreise im Wohnsegment haben viele Menschen jedoch kaum den finanziellen Spielraum für die entscheidenden Quadratmeter mehr. Je weniger Platz in den eigenen vier Wänden vorhanden ist, desto unattraktiver wird das Homeoffice. Extrem steigende Energiepreise machen es ebenfalls attraktiver, wieder ins Büro zu fahren – oder anderswo hin.

Da verwundert es nicht, dass sogenannte Third Places als Alternative zu zentralen Unternehmensstandorten sowie Homeoffice zunehmend nachgefragt werden. So begrüßen 22 Prozent der Befragten die Bereitstellung eines „Working-in-the-City-Pass“, der es ermöglicht, für einen festgelegten Zeitraum in Cafés, Bibliotheken und ähnlichen Einrichtungen zu arbeiten. Jede Bürofachkraft kann zum digitalen Nomaden werden. Dennoch sei davon auszugehen, so die Studie „Back to the office“, dass der physische Austausch und die Interaktion wichtige Bestandteile in der Büro- und Arbeitswelt blieben. Dafür muss die Typologie Bürogebäude allerdings neu erfunden werden.
Der anstehende Wandel beschränkt sich nicht nur auf das Konzept Büro. Auch stadträumliche Strukturen bleiben von der Flexibilisierung der Arbeit nicht unberührt. Wenn verstärkt zu Hause gearbeitet wird und sich das werktägliche Pendeln dadurch auf eine oder zwei Touren pro Woche reduziert, nehmen Pendler auch längere Strecken in Kauf. Das macht sie bei der Suche nach bezahlbarem Wohnraum flexibler. Mit zunehmendem Abstand zu den Stadtzentren sinken die Mieten und Kaufpreise. Dort ist dann vielleicht auch das zusätzliche Arbeitszimmer wieder bezahlbar. Auch viele Konzerne siedeln sich in Randlagen an und prägen damit die Stadtentwicklung. „Arbeiten, Wohnen und Mobilität verändern sich“, sagt Aissatou Frisch-Baldé, Leiterin der Büroflächen bei Engel & Völkers Commercial Berlin, und prognostiziert, dass zu den großen innerstädtischen Bürokomplexen zukünftig vermehrt auch kleinere Satellitenbüros angemietet werden könnten.

Mit den neuen Möglichkeiten wachsen die Wünsche, anders zu arbeiten. Andere befürchten, dass durch die Entgrenzung der Arbeit alle anderen Lebensbereiche zu kurz kommen könnten. Künftig gilt wohl noch stärker als bislang: Je besser ein Mensch für den Arbeitsmarkt qualifiziert ist, desto mehr Gestaltungsfreiraum wird er nutzen können. Denn neben der Digitalisierung und der Pandemie prägt auch der demografische Wandel die Arbeitswelt. Die geburtenstarken Jahrgänge kommen nun langsam ins Rentenalter, der Fachkräftemangel macht sich schon jetzt bemerkbar und wird sich noch verschärfen. Damit können Arbeitnehmende ihre Ansprüche gegenüber Arbeitgebenden selbstbewusster formulieren. Wann und wo man arbeitet, wird in vielen Berufen zur Verhandlungssache. Die Flexibilität einer Firma und ihr gut gestaltetes Büro können den Ausschlag geben, ob gesuchte Fachkräfte sich gewinnen lassen.

 

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