Herr Achtelik, was ist die Rolle der Vorentwicklung bei der Entwicklung nachhaltiger Materialien?
Die Vorentwicklung ist das Bindeglied zwischen Forschung und Entwicklung. Wir greifen Innovationen aus anderen Fachbereichen und direkt aus dem Markt auf. Wir entwickeln und prüfen sie für einen potenziellen Serieneinsatz, noch unabhängig von spezifischen Fahrzeugprojekten. Wenn eine Innovation dann einem konkreten Fahrzeugprojekt zugewiesen wird, übergeben wir an die Serienentwicklung.
Welche Materialien haben die größte Chance den Schritt in die Entwicklung zu schaffen?
Es gibt Anforderungen der Kund:innen, des Marktes und des Gesetzgebers – wenn wir diese Prämissen mit unseren Innovationen verknüpfen können, hat eine Neuerung gute Aussichten. Konkret schauen wir uns an, was in einigen Jahren ins Auto kommen könnte. Wir konzentrieren uns auf die passenden Werkstoffe für das jeweilige Bauteil. Dazu zählt nicht nur der CO2-Fußabdruck des Materials an sich, sondern auch, dass möglichst wenig Material zum Einsatz kommt. Zudem achten wir darauf, dass Materialien effizient entwickelt werden, etwa was ihre Hitze- und Kratzbeständigkeit oder die Vermeidung von Over-Engineering angeht.
Wie kann man sich Ihre Arbeit genauer vorstellen?
Unser Bereich ist eine gute Mischung aus praktischer Arbeit im Labor sowie computergestütztem Ausprobieren und Erproben. Im Labor verfügen wir über diverse werkstofftechnische Instrumente, beispielsweise Zugprüfmaschinen und Emissionskammern oder Geräte zur Analyse von Belichtung, Abriebsfestigkeit und Kratzbeständigkeit. Ergänzend sind Simulationen am Computer wichtig. Wir sind zunehmend digital unterwegs, indem wir Datenbanken mit sämtlichen Automotive-Materialien und deren Kennwerten generieren. Damit lassen sich Materialien schnell vergleichen und sie sind hilfreich bei der Auswahl geeigneter Werkstoffe für ein Bauteil.
Welche Rolle spielen Anregungen von außen?
In der Werkstofftechnik stehen wir täglich in engem Kontakt mit den Akteuren des Rohstoffmarkts, die neue Lösungen aus Kunststoff, Metall oder Textilien anbieten. Wir integrieren technologische Neuerungen kontinuierlich in unsere Innovationsprozesse und bewerten, ob unter den Aspekten der Nachhaltigkeit, Kosten und unserer Spezifikationen eine Weiterverfolgung sinnvoll ist. Finden wir ein Material interessant, stellen wir es den anderen Fachbereichen vor. Da alle Fachbereiche von Design, Konstruktion, Beschaffung bis zum Vertrieb andere Anforderungen haben, ist dieser Prozess oft diskussionsintensiv, bis ein guter Kompromiss im besten Sinne der Kund:innen gefunden wird.
Wie identifizieren Sie neue Materialien?
Beim Scouting neuer Materialien sind wir ganz offen. Sie können aus der Möbel-, Textil-, Elektronik-, Rohstoff- oder Recyclingindustrie kommen. Mit unserem Design arbeiten wir eng zusammen, denn auch aus diesem Fachbereich kommen viele wertvolle Impulse. Wichtig sind hier neue Denkweisen, um die Tür für innovative und kreative Lösungen aufzumachen und potenziellen Materialien eine Chance zu geben.
Wie wichtig ist Nachhaltigkeit bei Ihrer Arbeit?
Materialnachhaltigkeit ist bei uns zentral. Wir betrachten sie unter ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten. Ökologisch bedeutet, dass wir auf sekundäre oder biologische Rohstoffe setzen, aber auch darauf schauen, was am Ende des Lebenszyklus geschieht – sind die Werkstoffe kreislauffähig, kann man sie aufbereiten, trennen, welchen CO2-Fußabdruck hinterlassen sie? Ökonomische Nachhaltigkeit bezieht sich auf akzeptable Kosten und die Verfügbarkeit, woher und wie der Werkstoff bezogen wird. Ebenso wichtig ist die soziale Komponente.