Verkehr der Zukunft

Urbane Mobilität ist reformbedürftig. Kommunen und Unter- nehmen basteln an neuen Lösungen, der private PKW wird höchstwahrscheinlich nicht dazugehören.
Illustration: Wyn Tiedmers
Kai Kolwitz Redaktion

Berlin wird voller. Das merkt man nicht nur am heiß gelaufenen Wohnungsmarkt der Stadt, sondern auch im Verkehr ist der Trend unverkennbar: Die Stadt wächst, außerdem boomt der Tourismus. Immer mehr Menschen drängen sich auf den Straßen, den Bürgersteigen, in den Bahnen.


Allerdings gibt es in der Stadt im Jahr 2019 auch deutlich mehr Möglichkeiten, sein Ziel zu erreichen, als noch vor zehn oder 20 Jahren. Wo die Frage damals im Wesentlichen nur lautete „Auto oder U-Bahn?“, lassen sich heute elektrische Motor- und bald auch Tretroller mieten, es gibt Sharing-Autos, die Verkehrsbetriebe bauen gerade ein Sammeltaxi-System auf – und das Radfahren ist von der Behelfslösung zum Lifestyle in der Stadt geworden.


Damit wird die Wahl des Fortbewegungsmittels immer mehr zur Frage des persönlichen Lebensentwurfs – Individualisierung hat schon 2017 das Zukunftsinstitut im Auftrag des ADAC in der Studie „Die Evolution der Mobilität“ als Megatrend der kommenden Jahrzehnte ausgemacht: „Er bestimmt insbesondere wie kaum eine andere Entwicklung den Wandel der Mobilität und die Nachfrage nach neuen Mobilitätsangeboten“, heißt es da.


Das bedeutet aber auch: Je jünger und städtischer das Milieu, desto geringer wird der Stellenwert des Autos, vor allem des eigenen, das man finanzieren und um das man sich kümmern muss. Wer schon einmal freitagabends in Köln-Ehrenfeld oder München-Neuhausen einen Parkplatz finden musste, weiß, was gemeint ist. Auch in der ADAC-Studie ist vermerkt: Das Auto „verliert seine einstigen Vorteile gegenüber anderen Verkehrsmitteln, insbesondere seine eigentliche Funktion: Angenehm und schnell von A nach B zu kommen gelingt mit ihm angesichts überfüllter Straßen und staugeplagter Städte nicht mehr überall.“


Für ein Land, dessen Wohlstand nicht zuletzt von der Autoindustrie abhängt, ist das eine Herausforderung. Und den Herstellern ist sehr bewusst, dass sie in Zukunft neue Erlösmodelle benötigen werden. Überall ist die Absicht spürbar, vom reinen Autobauer zum integrierten Mobilitätsdienstleister zu werden: Eine Mercedes-Beteiligung betreibt gemeinsam mit den Berliner Verkehrsbetrieben den Sammeltaxi-Service „Berlkönig“, mit „Moia“ bastelt VW an einem ähnlichen Angebot. Bosch vermietet in immer mehr Städten unter dem Namen „Coup“ elektrische Motorroller, BMW und Mercedes haben gerade ihre Carsharing-Töchter „DriveNow“ und „Car2Go“ zusammengeführt, um schlagkräftiger agieren zu können.


Die neue Welt bietet Chancen: die Demokratisierung von Luxus zum Beispiel. „Die Zahl der Menschen, die sich einen 7er BMW kaufen können, ist sehr überschaubar“, sagte der zuständige BMW-Vorstand Peter Schwarzenbauer jüngst dem Spiegel. „Aber wenn ich mir so ein Auto ein paar Mal im Monat nach Minutenabrechnung mieten kann (...), dann sieht das schon ganz anders aus.“ Doch mit den neuen Geschäftsfeldern wächst auch neue Konkurrenz, am sichtbarsten derzeit wohl „Uber“, die sich in immer neue Felder der Mobilitätsdienstleistungen drängen. In Berlin verleiht der US-Konzern inzwischen auch E-Bikes. Und wird Autonomes Fahren irgendwann marktreif, dann werden die Karten wohl noch einmal völlig neu gemischt.


Auch für die Kommunen ist der Wandel der städtischen Mobilität nicht einfach zu begleiten und zu steuern. Denn wo der Verkehr diverser wird, da werden es auch die Anforderungen an die Verkehrsflächen: Ob Fußgänger, E-Biker oder Carsharing-Nutzer, jeder will schnell und vor allem sicher an sein Ziel. Mit der steigenden Zahl der Radfahrer zum Beispiel in Berlin steigt auch die Zahl der schweren Unfälle – vor allem derer zwischen Radlern und schweren LKW, für deren Fahrer es immer schwieriger wird, im Durcheinander der engen Stadtstraßen noch den Überblick zu behalten.


Deutlich zeigen sich hier die Probleme einer Infrastruktur, die seit Jahrzehnten vor allem an die Bedürfnisse des Autos angepasst wurde. Dem allein wird die Zukunft aber nicht gehören. Neben den gesellschaftlichen Trends ist das auch das Ergebnis simpler Mathematik. Der private PKW hat bei weitem den höchsten Flächenverbrauch pro Person. Wenn es also eng wird, liegt es nahe, möglichst viele Menschen zum Umsteigen auf andere, platzsparendere Verkehrsmittel zu motivieren.


In allen Details weiß niemand, wie so eine Stadt der Zukunft aussehen könnte. Aber der Aufbruch dorthin ist eine Frage politischen Willens und einer Vision. In vielen deutschen Städten scheint man das zwar grundsätzlich erkannt zu haben, trotzdem ist in der lokalen Politik Zaghaftigkeit spürbar. Geschützte Radwege zum Beispiel müssen in Berlin neben immer mehr Radlern auch E-Bikes und in Zukunft auch E-Roller aufnehmen. Trotzdem entstehen nur wenige und in der Regel nur da, wo man dem motorisierten Verkehr dafür nicht viel wegnehmen muss. Auch Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr wurden jahrelang verschleppt. Man hat den Eindruck, dass die Prozesse der Politik von der Dynamik des Wandels schier überrollt werden.


Und: Viele neue Möglichkeiten der Fortbewegung machen die Welt zunächst einmal unübersichtlich. Nehme ich denn nun die Bahn, das Sammeltaxi oder das E-Bike? Oder wie kombiniere ich sie am sinnvollsten? Vielleicht ist die spannendste Frage von allen deshalb diejenige, wem es gelingen wird, die eine App zu etablieren, die all diese Möglichkeiten bündelt, sie einfach buch- und abrechenbar macht? Autokonzerne wie Mercedes sind hier ebenso engagiert wie die Bahn, die Berliner Verkehrsbetriebe und viele mehr. Ein wirklicher Standard scheint aber noch in weiter Ferne. Flankieren könnte das intelligente Routing-Software, die dafür sorgt, dass die Ressourcen im Verkehrsraum optimal ausgenutzt werden.


In Sachen Mobilität sind die Zeiten spannend wie selten. Nicht auf jede Frage gibt es die eine Antwort. Vermutlich muss man den Verantwortlichen in allen Bereichen zugestehen, dass sie Dinge ausprobieren und Fehler machen. Aber was es braucht, ist ein wirklicher Aufbruch, raus aus dem Stau und den überfüllten Bussen und Bahnen.


Und der ADAC, die deutsche Autofahrer-Lobby? Die erledigt in Berlin die Pannenhilfe inzwischen teilweise per Lasten-E-Bike. Damit die Gelben Engel besser durchkommen.

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