Die große Freiheit

Mit dem Wohnmobil durch Schweden – das ist der Traum. Die Wirklichkeit ist besser.
Illustration: Monika Jurczyk
Illustration: Monika Jurczyk
Olaf Strohm Redaktion

Der Sprung ins kalte Wasser ist eine Erlösung. Diesmal im Skagerrak. Wir erreichen die Meerenge zwischen Schweden und Dänemark nach einer anstrengenden Fahrt durch das Binnenland bei 35 Grad im Schatten. Eine Klimaanlage haben wir nicht. Unser Bulli schlängelt sich entlang kurviger Küstenstraßen, wir überqueren mehrere Brücken. Dann liegt sie da, die blaue See, direkt vor der Windschutzscheibe unseres Reisemobils. Eine kleine Seebrücke mit Sprungbrett zeigt an, dass die Stelle zum Baden gedacht ist. Also Klamotten runter, rauf auf das Brett, und hinein in die Fluten!

 

Im Wasser wird binnen einer Millisekunde klar, dass Schweden nicht am Mittelmeer liegt und dass die Schären keine Ägäisinseln sind. Schnell raus aus der eisigen Flut! Aber wir sind ja auch keine Strandtouristen, sondern moderne Nomaden. Wir haben zum ersten Mal in unserem Leben ein Wohnmobil gemietet und sind in den Norden gezogen. Sind von Magdeburg aus über Autobahnen in Richtung Hamburg gefahren, dann auf die Insel Fehmarn. Dort rumpelten wir auf die Fähre nach Dänemark, Vogelfluglinie. Tief unten in der Ostsee tummelten sich Schweinswale. Oben im blauen Himmel, der hier so hoch wirkt, hießen uns Möwen schreiend willkommen.

 

Im Schiffsbauch, welch ein Gefühl, steht unser Volkswagen-Bulli, der zum Wohnmobil ausgebaut ist. Ein bisschen klein ist er für Mama, Papa, Kind, aber alles Nötige ist an Bord: Ein Alkoven mit Bett über der Fahrerkabine, eine kleine Toilette mit Dusche, ein Herd und im Heck ein Tisch mit Bänken, der sich zum Bett umbauen lässt. Unten im Stauraum liegt ein aufblasbares Kanu, Campingstühle und ein Tisch, und hinten am Heck hängen unsere drei Fahrräder.   

 

Okay, wir sind nicht die einzigen unserer Art an Bord. Ehrlich gesagt, stehen im Autodeck der Fähre fast ausschließlich Reisemobile: Camper, Wohnmobile, SUV mit Wohnwagenanhänger. Umgebaute Feuerwehrautos, ehemalige Lastwagen, allradgetriebene Hanomags, Landrover mit Safari-Aufbau, Reisemobile in allen Größen, Farben, Formen. Manche sind zweistöckig, manche können sogar Kleinwagen in eigenen Laderäumen mitnehmen. Und die meisten sind, natürlich, Deutsche.

 

Denn Deutsche lieben Camping, und sie lieben es bequem. Was bedeutet: Zelt ist von gestern, Wohnmobil ist angesagt. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Binnen fünf Jahren legte der Bestand an Wohnmobilen in Deutschland um 50 Prozent zu  – von gut 390.000 auf knapp 590.000 im Jahr 2020. Wer rechtzeitig zugeschlagen hat, kann sich glücklich schätzen. Denn in den Corona-Lockdowns haben die Reisemobile ihre Vorzüge ausgespielt. Hotels oder Ferienwohnungen interessieren WoMo-Reisende nicht. Ist auch der Campingplatz geschlossen, stellt man sich eben für eine Nacht auf den Rastplatz. Das ist erlaubt, solange man keine Jalousien ausfährt oder Tische und Stühle draußen aufstellt. Was man nicht darf: an ein idyllisches Plätzchen in der Natur anfahren und dort bleiben.

 

»In Schweden gibt es das Jedermannsrecht«

 

Das darf man in Schweden, jedenfalls fast. Das so genannte Jedermannsrecht, laut dem man sich in der schwedischen Natur frei bewegen und übernachten darf, gilt zwar nicht für Fahrzeuge. Dafür aber hat Schweden zahlreiche unbewirtschaftete Stellplätze ausgewiesen, wo Camper und Wohnmobile stehen dürfen. Die liegen entweder am Rand oder abseits von Ortschaften und verfügen in der Regel über tolle Aussicht auf Meer, Wald oder Seen. Je weiter man nach Norden kommt, desto einsamer sind diese Plätze. Auf vielen steht man ganz allein. Campingplätze gibt es natürlich auch. Und zumindest alle paar Tage ist ein Besuch dort auch angebracht, um die Toilette und das Brauchwasser auszuleeren, Frischwasser nachzufüllen und mit anderen Reisenden zu plauschen.

 

Bevor wir in die schwedische Wildnis abbiegen, besuchen wir die Heimat einer literarischen Figur. Nein, nicht Pippi Langstrumpf, sondern Kurt Wallander. Der Kommissar aus den Krimis von Henning Mankell treibt im südschwedischen Ystad sein Unwesen. Und hier zeigen sich endlich mal die Vorteile der geringen Größe unseres Reisemobils. Unseren VW-Bulli manövrieren wir problemlos auf einen Bezahlparkplatz in der Innenstadt. Nur das Hinterteil mit den angehängten Fahrrädern ragt ein wenig hervor. Aber alles im Rahmen, finden wir, als wir unser Fahrzeug zuschließen und in die Altstadt von Ystad aufbrechen.

 

Stadt? Vielmehr: Städtchen. Riesig sind in Ystad nur die Waffeln mit dem Kugeleis, die Touristen vor sich her tragen. Alles andere ist klein und niedlich. In den stuckverzierten Häuschen der Fußgängerzone befinden sich kleine Lädchen, die pfiffige Geschenkideen anpreisen. Nachmittags setzen wir uns vor eine Konditorei und essen Kladdkaka. Was im Deutschen gewöhnungsbedürftig klingt, ist so etwa der beste Schokoladenkuchen, den es auf der Welt gibt. Gen Abend, die Sonne neigt sich langsam dem Horizont zu, schlendern wir gemächlich wieder in Richtung Parkplatz. Das ist der Vorteil beim Reisen mit Wohnmobil: Statt uns um ein Hotel zu bemühen, fahren wir los. Immer nach Norden, hinein in die schwedischen Wälder. In die Wildnis.   

 

Es ist dunkel geworden. Wir fahren seit Stunden durch dichten Wald. Im Licht der Scheinwerfer sehen wir am Straßenrand eines der blauen Schilder, das auf einen WoMo-Platz hindeutet. Wir verlassen die Straße und rumpeln einen Waldweg entlang. Der öffnet sich zu einer Wiese, und irgendwo hinten ahnen wir mehr als wir es sehen: Wasser. Wir schaffen es nicht mehr, die Keile unter die Reifen zu schieben, um das Wohnmobil auszutarieren. Todmüde fallen wir in die Kojen.

 

»Draußen vor dem Fenster liegt ein See«

 

Der Morgen weckt uns mit Sonnenstrahlen, die durch die Vorhänge fallen. Vogelgezwitscher. Und draußen vor dem Fenster liegt ein See. Das Bild ist so schön, dass wir erst einmal hier bleiben. Ab jetzt fängt der Tag für uns nicht mit einem Kaffee in der Küche an, sondern mit einem erfrischenden Bad im See. Das wird in den nächsten Wochen bei uns zum Standard. Wo immer wir übernachten, stets ein Badesee vor der Tür oder in der Nähe.

 

Nur einen Elch haben wir nicht gesehen. Den werden wir das nächste Mal aufstöbern. Dann wollen wir noch weiter in den Norden fahren, bis dorthin, wo die Sonne im Sommer nicht mehr untergeht, wo die Wildgänse rasten und die nordpolare Kaltluft weht. Das ist jedenfalls der Traum. Aber wir wissen ja schon: Die Wirklichkeit wird besser.

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