»SCHON BALD WIRD MAN EINE INDIVIDUALISIERTE IMMUNTHERAPIE DURCH- FÜHREN KÖNNEN«

 Molekulare Therapien, Immuntherapien, zelluläre Therapien und personalisierte Antigen-getriggerte Tumorvakzinierungen: Die letzten 20 Jahre haben fundamentale Veränderungen im Verständnis, in der Diagnostik und in der Therapie von Krebs- erkrankungen gebracht. Ein Interview mit Prof. Dr. Reinhard Büttner, Professor für Pathologie an der Universität Köln und Vorsitzender des Deutschen Krebskongresses 2024, über moderne Behandlungsoptionen von Krebspatienten.

Illustration: Ivonne Schulze
Illustration: Ivonne Schulze
Petra Lahnstein Redaktion

Herr Professor Büttner, Chemotherapie, Strahlenmedizin und Operation – das sind die Therapieformen, die den meisten Menschen in den Sinn kommen, wenn sie an Krebs denken. Sind das im Jahr 2024 noch die ersten Mittel der Wahl, oder werden sie von Immuntherapien und zielgerichteten Therapien abgelöst?

Das sind in der Tat die traditionellen Pfeile im Köcher der Krebstherapie und bei vielen Tumoren immer noch die Mittel der Wahl. Hinzugekommen ist aber eine Vielzahl weiterer moderner Therapien, die hochwirksam Zielstrukturen in Krebszellen angreifen können. Dazu zählen molekular gerichtete Therapien, Immuntherapien, zelluläre Therapien, etwa CAR-T-Zellen, monoklonale Antikörper und Antikörper-Drug-Konjugate und in sehr naher Zukunft wahrscheinlich auch komplett individualisierte Krebsvakzine, also Impfstoffe.


Worin unterscheiden sich Operationen, Bestrahlungen und Chemotherapien im Jahr 2024 von denen vor 20 Jahren?

Auch hier, bei den sogenannten traditionellen Therapieformen, haben wir eine ungeheure Weiterentwicklung gesehen. Viele Operationen werden heute minimalinvasiv und Robotik-gestützt durchgeführt. Wir kennen hochentwickelte Präzisionsstrahlentherapien, wie das CyberKnife, Linearbeschleuniger, die viel präziser geworden sind, und auch Chemotherapien werden heute zum Teil personalisiert angepasst. In anderen Situationen kennen wir Testverfahren, die uns anzeigen, ob ein Patient oder eine Patientin überhaupt von einer Chemotherapie profitiert oder ob das ausgelassen werden kann.


CyberKnife? Können Sie das kurz skizzieren?

Ja, gerne: Beim CyberKnife handelt es sich um eine Hochpräzisionstechnologie zur punktgenauen Bestrahlung. Eine Strahlenquelle, die einen sehr scharf umschriebenen Strahl erzeugt, rast in hoher Geschwindigkeit wie auf der Oberfläche einer Kugel um den Patienten herum, sodass die höchste Strahlendosis in einem sehr kleinen Punkt im Patienten erzielt wird. So kann man beispielsweise eine Hirnmetastase oder einen kleinen Lungentumor „wegstrahlen“, wir sprechen hier von Radioablation. Beim Linearbeschleuniger wird ein Strahlenfeld erzeugt, das mit hoher Präzision nur in einem kleinen Gebiet in der Tiefe des Tumors mit dem Gewebe in Wechselwirkung treten kann; auch hier ist der Effekt eine viel höhere Präzision gegenüber einer traditionellen Strahlentherapie, die neben dem Tumor- immer auch normales umgebendes Gewebe mit trifft.
 

Können Sie uns kurz das Wirkprinzip und die Vorteile zielgerichteter molekularbiologischer Therapien erläutern?

Genetische Veränderungen im Krebsgenom (Mutationen, Genumlagerungen oder Genvermehrungen) führen häufig zur erhöhten Aktivität dieser Gene und im Resultat zu einer dauerhaften, unkontrollierten Stimulation von zellulärem Wachstum. Molekular gerichtete Therapien erkennen diese fehlerhaften Signalmoleküle und schalten deren Aktivität wieder ab. Wir sprechen hier von zielgerichteten Präzisionstherapien, da diese Genmutationen ja nur in Krebszellen, nicht aber in den normalen Körperzellen vorliegen.

 

Was genau versteht man unter zellulären Therapien, etwa CAR-T-Zellen? Bei welchen Tumoren finden sie heute Anwendung?

Unter zellulären Therapien verstehen wir Behandlungsformen, bei denen körpereigene Immunzellen des Krebspatienten so umgebaut werden, dass sie sich gegen Krebszellen richten. Das können Lymphozyten des Patienten sein. CAR steht für die Abkürzung „chimärer Antigen-Rezeptor“. Dieser Antigenrezeptor wird aus unterschiedlichen Bestandteilen zusammengesetzt, die eigentlich nicht zusammengehören – dies bezeichnet man als Chimäre. Der CAR wird dann in T-Lymphozyten exprimiert und zurück in den Patienten gespritzt. Er richtet sich dann gegen Oberflächenmoleküle von Tumorzellen und bringt diese zum Absterben. Bei bestimmten Formen des weißen Blutkrebses, wie akuten Leukämien und aggressiven Lymphomen, sind diese CAR-T-Zelltherapien inzwischen gut etabliert und werden häufig eingesetzt.

PROF. DR. REINHARD BÜTTNER ist Direktor des Instituts für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie an der Uniklinik Köln, Professor und Lehrstuhlinhaber für Pathologie an der Universität zu Köln und Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
PROF. DR. REINHARD BÜTTNER ist Direktor des Instituts für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie an der Uniklinik Köln, Professor und Lehrstuhlinhaber für Pathologie an der Universität zu Köln und Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaf

Die Idee, Krebszellen mithilfe des eigenen Immunsystems zu bekämpfen, ist mehr als hundert Jahre alt. Inzwischen scheint es markante Erfolge zu geben, etwa bei der Bekämpfung des schwarzen Hautkrebses, an dem heute dank Immuntherapien kaum noch jemand verstirbt. Wie funktioniert eine Immuntherapie in Theorie und Praxis?

Es gibt drei unterschiedliche Wirkprinzipien: Zum einen kennen wir sogenannte Immuncheckpoints, das sind Interaktionen etwa zwischen Tumorzellen und Immunzellen, die zur Blockade der Immunantwort auf den Tumor führen. Monoklonale Antikörper, die diese Checkpoint-Interaktionen aufbrechen, nennen wir Immuncheckpoint-Inhibitoren – wie zum Beispiel PD1-Antikörper, für deren Entdeckung vor einigen Jahren der Nobelpreis verliehen wurde. Dann gibt es künstlich veränderte zytotoxische T-Zellen, die man so verändern kann, dass sie sich hocheffektiv gegen Tumorzell-Oberflächen richten. Solche CAR-T-Zellen werden immer intelligenter und sind aus der Therapie aggressiver Lymphome und Leukämien nicht mehr wegzudenken. Zum dritten gibt es monoklonale Antikörper, die auf Tumorzelloberflächen binden und dort eine Komplement-vermittelte Immunreaktion auslösen können, manchmal sogar in Kombination mit einem Zytostatikum.


Welche Studien und Forschungsansätze im Bereich der Immuntherapie halten Sie für richtungsweisend? Auf welche Durchbrüche darf man sich in naher Zukunft freuen?

Ich denke, in Kürze wird jedes Krebsgenom sequenziert werden, um alle Mutationen im Krebs und mögliche Zielstrukturen für das Immunsystem zu ermitteln. Dann wird man eine komplett individualisierte Tumorvakzine herstellen, um angepasst an das patienteneigene Immunsystem eine Immuntherapie durchzuführen.


Sie haben gemeinsam mit Prof. Dr. Jürgen Wolf und Prof. Dr. Roman Thomas den Deutschen Krebshilfe-Preis für das Jahr 2023 erhalten. Die Auszeichnung erkennt damit ihre herausragenden Arbeiten auf dem Gebiet der Diagnostik und der personalisierten, individuell zugeschnittenen Therapie bei Lungenkrebs an. Was hat es damit auf sich?

Wie immer beruhen große Projekte auf sehr simplen Ideen. Wir wollten 2010 einfach von jedem deutschen Lungenkrebspatienten eine Tumorgewebeprobe sequenzieren, dann analysieren, welche zielgerichteten molekularen oder immunologischen Therapieansätze es gibt, und dem vor Ort behandelnden Onkologen und seinem Patienten diese Information zur Verfügung stellen. Uns haben dann später die Deutsche Krebshilfe und die Deutschen Krankenkassen die Mittel in die Hand gegeben, dies auf ganz Deutschland effektiv auszurollen und immer weiter zu verfeinern und zu präzisieren.


Sie haben monoklonale Antikörper und Antikörper-Drug-Konjugate sowie individualisierte Krebsvakzinen angesprochen. Begriffe, die für viele Menschen erklärungsbedürftig sind. Was steckt dahinter und welcher Krebspatient darf auf diese Form der Therapie hoffen?

Monoklonale Antikörper sind Kopien eines einzigen Antikörper-Typs, die gentechnisch so verändert sind, dass man sie als Fremdeiweiße unbedenklich in großen Mengen Krebspatienten spritzen kann, ohne dass es zu einer allergischen Reaktion kommt. Die Antikörpermoleküle binden dann auf Zielstrukturen der Krebszellen und lösen dort eine Immunreaktion aus. Der wahrscheinlich älteste und bekannteste monoklonale Krebsantikörper ist das Herzeptin, das sich gegen Brustkrebszellen richtet. Von Antikörper-Drug-Konjugaten sprechen wird dann, wenn an diese Antikörper zusätzlich noch Chemotherapeutika-Moleküle gebunden sind, die nach Andocken auf der Krebszelloberfläche von diesen aufgenommen und „verschluckt“ werden. Damit kann man die Wirkung der Chemotherapeutika sehr gezielt ausrichten.

 

Seit 2011 sind Sie Professor und Lehrstuhlinhaber für Pathologie an der Universität zu Köln. Gibt es Vorlesungsskripte, die Sie bis heute verwenden können, oder ist das aufgrund der Schnelligkeit der modernen Forschung undenkbar?

Es gibt natürlich Fälle, die man auch heute noch zeigen kann, aber das Verständnis der Erkrankungsmechanismen hat sich so dramatisch gewandelt und erweitert, dass man die Texte heute nicht mehr zeigen kann.

 

Die häufigsten Krebserkrankungen mit Todesfolge bei Frauen sind bösartige Tumore in der Brust, Lungenkrebs und Darmkrebs. Bei Männern sind es Prostatakrebs und Darmkrebs. Mit welchen neuartigen Diagnoseverfahren und innovativen Behandlungen wird es in der Zukunft gelingen, diese Todesraten zu senken?

Ich glaube, wir müssen noch viel mehr in die Prävention und die Früherkennung investieren, auch in die Erkennung von Risikogruppen, die eine erhöhte Krebsinzidenz aufweisen. Hier stehen wir in vielen Bereichen noch ganz am Anfang der Forschungen.

 

Eine gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung und eine achtsame, möglichst stressarme Lebensweise. Viele Menschen versuchen, einer Krebserkrankung gezielt vorzubeugen. Eine weise Entscheidung oder sinnlos, weil man sich Umwelteinflüssen, erbbedingten Faktoren und scheinbar zufälligen Zellveränderungen ohnehin nicht widersetzen kann?

Absolut eine gute und korrekte Überlegung. Ein gesunder Lebensstil mit viel körperlicher Bewegung hilft ja nicht nur, aber eben auch, in der Krebsvermeidung. Wichtige exogene vermeidbare Faktoren sind Rauchen, UV-Strahlung, Alkohol, Übergewicht und Viren, gegen die man sich immunisieren kann, etwa Papillomviren.

 

Sie sind Kongresspräsident des 36. Deutschen Krebs Kongresses 2024, der jüngst in Berlin stattgefunden hat. Neben renommierten Wissenschaftlern und Experten, haben Sie auch gezielt den Forschungsnachwuchs eingeladen. Welche Vorträge, Studien und Erkenntnisse sind Ihnen von Ihren jungen Kollegen in besonderer Erinnerung geblieben?

Mir imponiert das Engagement und die Unvoreingenommenheit junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, große Probleme anzugehen, wie Künstliche Intelligenz und Data Sciences anzuwenden, aber auch in großen wissenschaftlichen Konsortien zu arbeiten. Wir haben da exzellente Vorträge und Diskussionen des Jungen Forums in allen Bereichen der Krebsmedizin gesehen.