Wenig innovativ, aber fleißig

Die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz in der industriellen Fertigung steigt – auf allen Ebenen.

Illustration: Alissa Thaler
Illustration: Alissa Thaler
Axel Novak Redaktion

Wer gespannt auf ein Auto ist, das von einer Künstlicher Intelligenz (KI) entworfen wurde, könnte enttäuscht werden. BMW ließ eine selbstlernende Software zwei SUV für eine fiktive Dschungelwelt entwerfen: „Hey A.I. – Show us a jungle adventure on a different planet“, hieß die Aufforderung an die KI-Systeme. Das Ergebnis unterscheidet sich kaum von den von Menschenhirnen entworfenen Fahrzeuge: ein bulliger Kraftprotz, dystopisch und im Aggro-Look, lässt sich auf Instagram unter #bmwai besichtigen. So wenig Neues kommt also heraus, wenn Maschinen ihrerseits Maschinen planen?

Längst hat KI die Produktion und den Betrieb von Produkten revolutioniert. KI hilft, Anomalien zu erkennen und fehlerhafte Teile auszusortieren. In der Automobilindustrie sind die Systeme integraler Bestandteil verschiedener Prozesse geworden. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) ist das Potenzial, dass KI den Autobauern allein in der Softwareentwicklung ermöglicht, enorm: Demnach könnten Autohersteller ihre eigene Software durch den Einsatz generativer KI um 55 Prozent schneller entwickeln und dabei bis zu 95 Prozent ihrer Kosten sparen.

»KI könnte helfen, die enormen Mengen an Software für Fahrerassistenzsysteme zu schreiben.«

Im BMW-Werk Dingolfing prüft KI die Fahrgeräusche frisch montierter 7er-Fahrzeuge, bevor sie an den Kunden ausgeliefert werden. Geräusche werden so objektiv und messbar nach einem Standard bewertet. Doch auch bei der Erstellung von Codes, also der Entwicklung von Software, sind KI-gestützte Tools dabei. Sie bekommen keine Regeln oder Vorgaben vorgesetzt, sondern lernen selbständig anhand verfügbarer Daten und Programmiersprachen-Beispiele. Weil das Schreiben von Programm-Codes eine klar definierbare, von der Syntax eingegrenzte Aufgabe ist, können sie nun neuen, funktionierenden Code erzeugen.

Bei der Fehlerdiagnose und vorausschauenden Wartung, aber vor allem auf dem Weg zum autonomen Fahren könnte KI helfen, die enormen Mengen an Software für Fahrerassistenzsysteme (ADAS) wie Spurhalteassistent, Geschwindigkeitsregelung und Notbremsung zu schreiben: KI-Algorithmen analysieren von Fahrzeugen erfasste Sensordaten, erkennen Muster und treffen Vorhersagen. Diese Daten fließen dann bei der Generierung von Code ein. Ein Manager der VW-Software-Tochter Cariad sagte kürzlich im „Handelsblatt“, dass Sprachmodelle – wie zum Beispiel der Chat-Bot ChatGPT – „erstaunlich gut auch im Automotive-Umfeld programmieren“ könnten: „Wir gehen davon aus, dass die Tools ein wichtiges Hilfswerkzeug für unsere Entwickler sein werden und beispielsweise von repetitiven Programmieraufgaben befreien oder als Co-Entwickler mitwirken.“

Das sind für die großen Autohersteller in Deutschland beruhigende Perspektiven. Bislang hinken sie vor allem bei der Softwareentwicklung der Konkurrenz von Tesla oder neuen chinesischen Elektroautos hinterher, obwohl sie in den vergangenen Monaten hohe Summen in den Erwerb von neuen IT-Unternehmen oder Zulieferern gesteckt haben. „Wir sind überzeugt, dass generative KI einen wertschöpfenden Beitrag leisten kann, um die Produktivität und das Entwicklungstempo zu steigern“, heißt es bei BMW.

Ähnlich sind die Chancen im Maschinenbau. Auch die Hersteller von großen und komplexen Anlagen nutzen künstliche Intelligenzsysteme, um Code schneller und effizienter zu erstellen. Wofür Menschen viele Wochen brauchen, benötigen KI-gestützte Tools nur wenig Zeit: Sie
durchforsten riesige Datenmengen wie Baupläne, Konstruktionsspezifikationen und Leistungsparameter, um anschließend Code für komplexe Maschinen vorzuschlagen.

Zum Beispiel für CNC-Maschinen: Diese Werkzeugmaschinen – CNC steht für Computer Numerical Control – stellen mithilfe von Steuerungstechnik Werkstücke automatisch und mit hoher Präzision auch für komplexe Anwendungen her. KI-Tools helfen, die CNC-Programme zu erstellen, indem die Algorithmen die Konstruktionsspezifikationen genauso analysieren wie Echtzeit-Sensordaten und historischen Leistungsprotokolle. So genieren sie einen optimierten Code, in den Systemparameter wie Temperatur, Druck und Geschwindigkeit für einen optimalen Betrieb einfließen. Die Folge: Weniger Fehler, mehr Präzision und weniger Materialeinsatz und Energieverbrauch.

Klar, dass sich der Einsatz von KI auf die Arbeitsplätze auswirkt. Vor allem Programmierer könnten davon betroffen sein - meist sogar im positiven Sinne, wie sich schon heute in den USA zeigt. Fast alle Softwareprogrammierer großer US-Unternehmen nutzen KI, hat eine Umfrage der Codeverwaltungsplattform GitHub ergeben. Zwei Drittel der Befragten sagten, dass ihre Produktivität und die Qualität ihrer Codes dank KI signifikant gestiegen seien. Als Grund gaben sie an, dass die KI vor allem bei routinierten und repetitiven Prozessen hilft.  Entwickler verbringen meist gleich viel Zeit damit, Code zu schreiben und darauf zu warten, dass der Code in Anwendungen und Tests umgewandelt wird. Diese Wartezeit wiederum fehlt, um seine eigenen Kenntnisse weiterzuentwickeln, zum Beispiel wenn es darum geht, Aufträge so an die KI zu formulieren, dass das Ergebnis der Erwartung entspricht.

Diese Fähigkeiten aber sind dringend notwendig. Denn die Crux ist, dass der Umgang mit KI nachlässig macht. Eine Studie der Stanford University zeigt, dass Programmierer, die mit
KI-Tools arbeiten, mehr Fehler machen und mehr Angriffsfläche für Hacker bieten als Programmierer ohne Hilfe. „Überraschenderweise haben wir auch festgestellt, dass Teilnehmer, die Zugang zu einem KI-Assistenten hatten, eher glaubten, dass sie sicheren Code geschrieben haben, als diejenigen, die keinen Zugang zum KI-Assistenten hatten“, heißt es in der Studie.

Der Siegeszug der Algorithmen wird nicht aufzuhalten sein. Die Grenzen von KI aber sind noch strittig: Hätte man hypothetisch ein KI-System vor 140 Jahren damit beauftragt, Droschken zu optimieren, wären die Pferdekutschen sicher stromlinienförmiger geworden, leichter und besser zu steuern. Aber der dreirädrige Benz Patent-Motorwagen, Typ 1,
das allererste Auto, wäre sicherlich nicht entstanden.

Illustration: Alissa Thaler
Illustration: Alissa Thaler

TERMINE

Zukunft Personal Europe
12. bis 14. September 2023, Koelnmesse
www.zukunft-personal.com

SPS
14. bis 16. Oktober 2023, Messe Nürnberg
sps.mesago.com

IT-SA
10. bis 12. Oktober 2023, Messe Nürnberg
www.itsa365.de

ELIV
18. bis 19. Oktober 2023, Bonn World Conference Center
www.vdi-wissensforum.de

Deutscher Maschinenbau-Gipfel
07. bis 08. November 2023, Berlin
www.maschinenbau-gipfel.de

                                                      PMREXPO
                                                            28. bis 30. November 2023, Messe Köln
                                                            www.pmrexpo.com

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