Zukunft Wasserstoff

Die Umstellung der deutschen Energiewirtschaft auf eine „Wasserstoffwirtschaft“ gilt als einer der wichtigsten Bausteine im Kampf gegen den Klimawandel.

Illustration: Chiara Lanzieri
Illustration: Chiara Lanzieri
Verena Kern Redaktion

Wie weit sind wir schon auf diesem Weg? Und in welchen Bereichen ist es überhaupt sinnvoll, auf Wasserstoff als Energieträger zu setzen?

Noch vor wenigen Jahren war das nicht denkbar. In Deutschlands energie- und klimapolitischer Debatte herrscht mittlerweile ein bemerkenswerter Konsens, was die grundsätzliche Ausrichtung des zukünftigen Energiesystems betrifft. Erneuerbare Energien werden dem-
nach die zentrale Rolle spielen – und Wasserstoff.

Gerade hier liegen die größten Hoffnungen. Wasserstoff gilt als die Schlüsseltechnologie, wenn es darum geht, Industrieprozesse klimafreundlich zu machen. Bei der Herstellung von Stahl, Zement oder Kunstdünger beispielsweise kann Wasserstoff den Einsatz von Kohle ersetzen. Auch Anwendungen im Flug- und Schiffsverkehr sind möglich, bis hin zum Beheizen von Gebäuden, wo derzeit noch überwiegend Erdöl und Erdgas verfeuert werden. Nur mit Wasserstoff, so viel ist klar, werden sich die Klimaziele erreichen lassen.

Dieser Konsens ist ein wichtiger Fortschritt. Er gibt dem Zukunftsthema Wasserstoff den notwendigen Rückenwind und treibt nun auch die Politik an. Zwar hat die Bundesregierung schon 2008 das erste Förderprogramm für Wasserstofftechnologien aufgelegt. Durch seine Konzentration auf Brennstoffzellen-Autos und eine unentschiedene Zielsetzung entfaltete das Programm jedoch nur wenig Wirkung. Gut zehn Jahre später waren lediglich 100 Wasserstoff-Tankstellen entstandensowie eine kleine Anzahl von Pkw, Bussen und Zügen wasserstoffgetrieben unterwegs.

Mitte 2020 beschloss die Bundesregierung schließlich die Nationale Wasserstoffstrategie und nahm dafür auch deutlich mehr Geld in die Hand. Acht Milliarden Euro an Fördermitteln fließen nun in gut 60 einzelne Projekte. Die Zielsetzung ist klar formuliert. Es geht um einen „schnellen Markthochlauf“ von grünem Wasserstoff und seinen Folgeprodukten. Dies soll zum Erreichen der Klimaziele „wesentlich“ beitragen.

Fast zeitgleich hat auch die Europäische Union eine „Wasserstoffstrategie für ein klimaneutrales Europa“ beschlossen. Ein dreistufiger Fahrplan definiert, was die EU in den kommenden Jahren erreichen will. Bis 2024 sollen Elektrolyseure für erneuerbaren Wasserstoff mit einer Leistung von mindestens sechs Gigawatt installiert sein sowie bis zu einer Million Tonnen an grünem Wasserstoff erzeugt werden. Bis 2030 sind 40 Gigawatt Leistung respektive bis zu zehn Millionen Tonnen ge-plant. Bei der Elektrolyse wird Wasser mithilfe von Strom in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgeteilt. Wird dabei Strom aus erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne verwendet, spricht man von grünem Wasserstoff.

Illustration: Chiara Lanzieri
Illustration: Chiara Lanzieri

Die Ziele aus dem EU-Fahrplan zeigen auch für Laien eines ganz deutlich: Der angestrebte Markthochlauf steckt nach wie vor noch in den Startlöchern – auch wenn in der Fachpresse fast täglich über neue Wasserstoff-Projekte in vielen Regionen Deutschlands berichtet wird. „Wir sind komplett am Anfang, obwohl wir seit über 30 Jahren über die Wasserstoffwirtschaft debattieren“, sagt die Berliner Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Tatsächlich werden in Deutschland bereits rund 55 bis 60 Terawattstunden Wasserstoff produziert. „Allerdings handelt es sich hierbei überwiegend um grauen Wasserstoff aus Erdgas und lediglich zu etwa fünf Prozent um grünen Wasserstoff“, teilt der Bundesverband Erneuerbare Energien mit. Zum Vergleich: Allein der Strombedarf liegt heute bei 560 Terawattstunden – und wird unter anderem durch den Zuwachs bei der Elektromobilität weiter steigen. Eine Terawattstunde entspricht einer Milliarde Kilowattstunden.

Um möglichst schnell eine grüne Wasserstoffwirtschaft aufzubauen, muss die Politik also Lösungen für eine ganze Reihe von Problemen finden: geringe Verfügbarkeit, fehlende Infrastruktur, Engpässe bei der Elektrolysekapazität, unklare Kostenentwicklung. Keine einfache Aufgabe. Vor allem, da man die Entwicklung nicht dem Markt überlassen kann, sondern eine rasche Hochskalierung mit gezielter Förderung und einem klaren regulatorischen Rahmen ermöglichen muss.

Erschwerend kommt hinzu, dass zwar das Ja zur grünen Wasserstoffwirtschaft Konsens ist. Doch in grundlegenden Fragen gibt es weiterhin erhebliche Differenzen. Fachleute sprechen von „harten Konfliktlinien“ und „konkurrierenden Leitbildern“.
Soll grüner Wasserstoff vor allem importiert werden, etwa aus afrikanischen Ländern, quasi als Wasserstoff-Version des Wüstenstrom-Projekts „Desertec“? Oder soll man doch in erster Linie auf die heimische Produktion setzen? Dann müssten Wind- und Solarenergie deutlich schneller ausgebaut werden als bislang.

In welchen Sektoren und Anwendungen sollte grüner Wasserstoff eingesetzt werden? Nur in der Industrie, im Schwerlastverkehr, auf Schiffen und zum Fliegen? Oder auch zum Heizen von Gebäuden und im Pkw-Verkehr? Soll er Erdgas beigemischt oder nur in „reiner“ Form verwendet werden?

Zahlen von Michael Liebreich, dem Gründer der Denkfabrik Bloomberg New Energy Finance (Bnef) in London, zeigen: Um den aktuellen Bedarf an grünem Wasserstoff etwa für die Düngerproduktion zu decken, würde der gesamte Strom aus erneuerbaren Quellen weltweit benötigt. Liebreich geht deshalb davon aus, dass Wasserstoff nur in den Sektoren eingesetzt wird, in denen es unumgänglich ist, allen voran bei Kunstdünger, Schiffstransport und Lang-
streckenflügen.

Energieexpertin Kemfert nennt Wasserstoff den „Champagner unter den Energieträgern“. Weil seine Herstellung besonders energieintensiv ist, sei es „immer ökonomisch und ökologisch effizient, den Ökostrom direkt zu nutzen, sei es in der Wärmepumpe oder in der Elektromobilität“.

Und was ist schließlich mit der „Brückentechnologie“ blauer Wasserstoff? Dabei wird wie beim grauen Wasserstoff Erdgas verwendet, das anfallende CO2 aber abgeschieden und im Untergrund verpresst. Nach neuen Studien kann dies unter bestimmten Umständen in etwa so klimafreundlich sein wie grüner Wasserstoff und somit den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur unterstützen.

Bis zum 24. Februar war das eine gute Nachricht. Seitdem ist Deutschlands große Abhängigkeit von russischem Erdgas zum Problem geworden. „Die Farbspiele beim Wasserstoff sind mit dem Krieg gegen die Ukraine zerplatzt“, heißt es beim Branchenverband BEE. „Grüner Wasserstoff ist die klimapolitisch einzig sinnvolle Alternative.“

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