»Der Klimawandel ist ein globales Gerechtigkeits problem«

Ein Beitrag unserer Redaktion

Illustration: Chiara Lanzieri
Illustration: Chiara Lanzieri
Interview: Klaus Lüber Redaktion

Als der Weltklimarat IPCC im Sommer 2021 seinen bislang sechsten Bericht zu aktuellen Erkenntnissen rund um den Klimawandel veröffentlichte, war die Nachricht: Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, Dürren oder massive Überschwemmungen haben in allen Teilen der Welt zugenommen und werden in Zukunft immer weiter zunehmen. Dass diese Veränderungen in der Gegenwart bereits viele Menschenleben und Lebensgrundlagen gekostet haben, und welche Bevölkerungsgruppen am meisten leiden, ist Thema des Ende Februar veröffentlichten zweiten IPCC-Teilberichts. Die Klimaforscherin Prof. Dr. Friederike Otto vom Grantham Institute des Imperial College London hat an beiden mitgearbeitet.

Frau Otto, Sie sind Expertin für Extremwetterereignisse, also jene Phänomene, für die Gesellschaft und Wirtschaft Jahr für Jahr einen hohen Preis bezahlen. Welchen Einfluss hat der Klimawandel hierbei?

Für viele Extremereignisse bedeutet der Klimawandel eine Steigerung von dem, was wir schon haben. Allerdings wird nicht jedes Ereignis unbedingt schlimmer. Es gibt auch Extremereignisse, die weniger dramatisch werden oder sich nicht ändern. Bei vielen aber erhöht sich die Wahrscheinlichkeit des Auftretens, bei den meisten sind die Änderungen eher moderat. Extremniederschläge etwa werden doppelt oder dreimal so wahrscheinlich, dabei steigt die Intensität um 15 Prozent. Es gibt allerdings eine Ausnahme.
 

Welche ist das?

Hitze. Hier ist der Klimawandel ein absoluter Gamechanger. Nach allem, was wir aktuell wissen, werden Hitzewellen durch die Erderwärmung bis zu tausendmal wahrscheinlicher.
 

Warum können wir das inzwischen überhaupt so gut quantifizieren? Lange hieß es doch, aus Einzelereignissen Aussagen über komplexe Wetterveränderungen abzuleiten, wäre überhaupt nicht möglich.

Das hat uns die Fossil-Industrie über die letzten Jahrzehnte erfolgreich eingeredet: Klimaforschung, das ist etwas ganz Besonderes und sehr Unsicheres. Das ist aber Quatsch! Natürlich hat jedes Extremwetterereignis komplexe Ursachen. Eine ist immer die chaotische Variabilität des Wetters. Aber auch diese Wettersysteme sind abhängig von dem Klima, in dem sie stattfinden. Man könnte auch sagen, das Klima gibt den Rahmen möglichen Wetters vor. Durch den Klimawandel verschieben wir diesen Rahmen. Das bedeutet dann nicht, dass wir es mit komplett anderem Wetter als bisher zu tun haben. Aber die Häufigkeiten und Intensitäten verschieben sich eben. Und das kann man mithilfe der sogenannte Attributionsforschung sehr wohl quantifizieren.

Illustration: Chiara Lanzieri
Illustration: Chiara Lanzieri
Illustration: Chiara Lanzieri
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Sie zählen zu den Begründer:innen dieses noch recht jungen Forschungsbereichs, der auch im kürzlich veröffentlichten zweiten aktuellen Teilbericht des Weltklimarats IPCC eine wichtige Rolle spielt. Worum geht es im Bericht?

Es geht um die Frage, inwieweit der Klimawandel relevant ist und was der für unsere globale Gesellschaft bedeutet. Und es ist richtig, dass die Attributionsforschung dazu einen entscheidenden Beitrag leisten kann. Denn sie hat es geschafft, zwei in der Klimaforschung bislang recht unabhängig voneinander operierende Gruppen zusammenzubringen. Diejenige, die sich mit Beobachtungsdaten beschäftigt, also der Frage, was wir in der echten Welt erleben. Und eine andere Gruppe, die untersucht, wie sich das Klima unter verschiedenen Emissionsszenarien verändern wird, also wie die Zukunft aussehen könnte.
 

Könnte man sagen, die Attributionsforschung holt den Klimawandel von der Zukunft in die Gegenwart?

Ja, genau darum geht es. Sie bringt das, was wir in der realen Welt erleben, mit unserem Verständnis zusammen, wie sich durch den Klimawandel das Wetter verändert. Emotional, weil wir über Extremereignisse sprechen, die Menschen erlebt haben. Aber auch methodisch, indem wir statistische Modelle basierend auf Beobachtungsdaten mit Klimamodellen zusammenbringen. Diese Verbindung und diese Beweisführungskette, die man damit zur Verfügung hat, zieht sich durch den gesamten IPCC-Report.


Wird sich dadurch auch die öffentliche Wahrnehmung des Klimawandels verändern?

Das hoffe ich. Vor allem müssen wir aufhören, immer nur von bestimmten Parametern zu sprechen, ohne das Problem in seiner ganzen Komplexität zu betrachten. Wenn man ehrlich ist, hören sich 1,5 Grad globale Mitteltemperatur ja nicht besonders bedrohlich an. Und es sind auch nicht die 1,5 Grad an sich, die uns gefährlich werden. Sondern die Effekte, die die Temperatursteigerung auf extreme Ereignisse wie Hitzewellen hat. Und diese Hitzewellen, die bringen einen wirklich um. Besonders dann, wenn man sich nicht ausreichend gegen sie schützen kann. In Europa sind sie die mit Abstand tödlichsten Extremereignisse. Und wahrscheinlich auch weltweit, nur haben wir dazu leider nur recht wenige Daten.
 

Warum?

Bei einer Hitzewelle sterben arme Menschen in schlecht isolierten Häusern, während zum Beispiel bei einer Überschwemmung versicherte Infrastruktur zerstört wird. Und leider interessiert sich die Versicherungswirtschaft nur für Letzteres. Es gibt tatsächlich bis heute keine verlässlichen Zahlen zu den allumfassenden Kosten von Hitze-Extremereignissen.
 

Ist der Klimawandel also auch ein soziales Problem?

Ich würde fast sagen, er ist fast ausschließlich ein soziales Problem. Den Klimawandel als ein rein physikalisches Phänomen zu begreifen, wie es auch die aktuelle Debatte dominiert, führt viel zu kurz. Die wahre Herausforderung ist der Effekt des Klimawandels auf eine Gesellschaft, die sich in Hunderten von Jahren an ein sehr stabiles Klima angepasst hat und deshalb auch für kleine Veränderungen sehr anfällig ist. Wäre der Klimawandel ein rein physikalisches Phänomen oder die Welt ausschließlich von reichen, weißen Männern bewohnt, bräuchten wir uns um ihn keine Sorgen zu machen. Es werden nicht die Reichen und Gebildeten sein, die in zehn Jahren noch immer an den Folgen der Ahrtal-Überschwemmung leiden.


Sie glauben also nicht, dass allein durch das veränderte Wetter weite Teile der Welt in Zukunft unbewohnbar werden? Dieses apokalyptische Bild ist ja unter Klimaaktivist:innen weit verbreitet.

Nein. Nach allem, was wir wissen, und das ist eigentlich eine gute Nachricht des IPCC-Berichts, werden die Folgen des Klimawandels im Wesentlichen linear mit dem Temperaturanstieg zunehmen. Das heißt, auch wenn wir etwa bei 1,7 Grad ankommen, geht die Welt nicht unter. Wir haben es dann vielleicht mit heißeren Hitzewellen zu tun, aber nicht mit einem komplett anderen Wetter und einer unbewohnbaren Welt. Das heißt, es ist im Prinzip durchaus möglich, sich anzupassen.
 

Haben wir uns bislang zu sehr auf die Vermeidung des Klimawandels statt auf die Anpassung an ihn fokussiert?

In Wirklichkeit ist das nie eine Entweder-oder-Frage gewesen, obwohl es immer als eine solche betrachtet wurde. Es ist tatsächlich so, dass sich bislang fast die gesamte politische Diskussion darum dreht, wie wir am schnellsten aus fossilen Energien aussteigen können. In diesem Sinne wird der Klimawandel immer noch vor allem als ein zukünftiges Problem gesehen, das man versuchen, zu vermeiden, indem man heute etwas dagegen tut. Dabei zeigt der aktuelle Bericht des Weltklimarats ganz deutlich: Schäden und Verluste durch den Klimawandel sind längst in der Gegenwart angekommen. Wir müssen Treibhausgase auf netto null reduzieren, keine Frage. Aber wir müssen auch lernen, uns dem veränderten Wetter anzupassen, das wir heute schon erleben …
 

… und damit den Klimawandel als Gerechtigkeitsproblem zu identifizieren?

Ganz genau. Das ist auch wichtig in der aktuellen Debatte um geostrategischen Einsatz von Energiepolitik im Zuge des Ukrainekrieges. Unabhängig zu werden von russischem Öl und Gas löst leider weniger Probleme, als man denkt – auch wenn dies dazu führt, dass der Ausbau erneuerbarer Energien einen Schub bekommt. Wenn man akzeptiert, dass der Klimawandel ein globales Gerechtigkeitsproblem ist, kann die Antwort darauf nur sein, die Energieversorgung so fair wie möglich zu machen, und zwar in einem globalen Maßstab.
 

Was heißt das konkret?

Dass man sich etwa bewusst macht, dass sich für die Minenarbeiter in Südamerika nur wenig ändert, wenn sie jetzt unter schlechten Arbeitsbedingungen immer mehr Lithium für die weltweite E-Auto-Flotte fördern, statt Kohle abzubauen. Deshalb sind energiepolitische Entscheidungen ja auch so anspruchsvoll, weil man im Grunde ein ganzes Bündel global relevanter Faktoren gegeneinander abwägen muss. Ich kann nur hoffen, dass man aus der Krise lernt, Energie-, Umwelt-, Entwicklungs- und Außenpolitik in Zukunft viel stärker zusammen zu denken.

 

Prof. Dr. Friederike Otto ist Klimaforscherin am Grantham Institute des Imperial College London. Die Physikerin und Philosophin ist Mitbegründerin der Zuordnungsforschung (attribution science), die den Anteil des Klimawandels an Extremwetterereignissen berechnet.

 

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