Zukunft Wasserstoff

Grüner Wasserstoff gilt als teuer und ineffizient – noch. Für die Energiewende ist das mittels erneuerbaren Energiequellen hergestellte Gas aber ein unverzichtbarer Rohstoff. Es kann überall dort eingesetzt werden, wo Elektrifizierung auf absehbare Zeit nur sehr schwer möglich sein wird. Durch die nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung soll Deutschland bei Wasserstofftechnologien eine globale Vorreiterrolle einnehmen.

Illustration: Emanuela Carnevale
Illustration: Emanuela Carnevale
Lena Bulczak Redaktion

In Mannheim werden die Mülltonnen jetzt emissionsfrei geleert. Denn das neueste Abfallsammelfahrzeug der Stadt wird allein mit Wasserstoff angetrieben – in den kommenden Jahren sollen vier weitere Wasserstoff-Lkw hinzukommen. Der Müllwagen fährt batterieelektrisch, sinkt der Batteriestand unter 75 Prozent, schaltet sich die Brennstoffzelle zu. Sie wandelt Wasserstoff in Strom um und versorgt so die Batterie mit frischer Energie. 

Bis zu 250 Kilometer ist der neue Müllwagen mit einer Füllung unterwegs; durch die kontrollierte Reaktion von Wasserstoff mit Sauerstoff stößt er lediglich Wasser aus. Im Vergleich zum zuvor genutzten Diesel-Lkw spart das Fahrzeug jedes Jahr mindestens 22 Tonnen des Klimagases CO2 ein. „Wo batteriegestützte Elektromobilität bei schweren Nutzfahrzeugen an ihre Grenzen stößt, können Brennstoffzellen und Wasserstoff eine emissionsfreie klimafreundliche Alternative sein. Mit dem ersten wasserstoffbetriebenen Abfallsammelfahrzeug gehen wir einen weiteren Schritt auf unserem Weg, die Stadt Mannheim klimaneutral zu machen“, betonte Oberbürgermeister Christian Specht bei der Vorstellung des neuen Nutzwagens. 

Fakt ist: Die Herstellung von klimaneutralem Wasserstoff aus grünem Strom ist noch immer teuer und ineffizient – bei der Umwandlung geht viel Energie verloren. Fakt ist aber auch: Für die Energiewende und eine emissionsfreie Welt wird grüner Wasserstoff eine zentrale Rolle spielen. Denn das Gas, hergestellt aus überschüssigem Strom aus regenerativen Quellen, kann anstelle kohlenstoffhaltiger fossiler Energieträger wie Kohle oder Erdgas als Roh- und Brennstoff zum Einsatz kommen. Sinnvoll ist das überall dort, wo die Industrie den Rohstoff als Ausgangsprodukt benötigt oder wo Elektrifizierung in absehbarer Zeit nicht möglich oder rentabel ist. So wollen vor allem große Konzerne der Stahl- oder Chemieindustrie, aber auch industrielle Mittelständler aus Branchen wie Glas, Papier oder Keramik, Gießereien oder Verzinker über klimaneutralen Wasserstoff ihren CO2-Fußabdruck reduzieren.
 

Essenziell für die Industrie
 

Und das ist auch dringend nötig, weiß Volker Quaschning, Ingenieur und Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin: „Wir brauchen Wasserstoff für die Industrie. Wir können keinen klimaneutralen Stahl herstellen, ohne auf Wasserstoff zu setzen. Und auch in der chemischen Industrie werden wir viele Produkte ohne grünen Wasserstoff nicht klimaneutral produzieren können“, sagte Quaschning kürzlich gegenüber der Tagesschau. „Zudem brauchen wir Wasserstoff für die Stromspeicherung von Solar- und Windstrom.“

Denn in Form von Wasserstoff lasse sich die Energie gut speichern. Um diesen Wasserstoff dann wieder zu verstromen, brauche es neben Leitungen und Speicher vor allem die entsprechenden Kraftwerke. Und zu guter Letzt könne Wasserstoff für den Schiffs- und Flugverkehr genutzt werden. In Form von E-Fuels im Straßenverkehr oder auch in der Gasheizung sei der Einsatz von Wasserstoff Quaschning zufolge dagegen nicht sinnvoll. 

Wichtig für den Professor ist allerdings, dass ausschließlich grüner Wasserstoff zum Einsatz kommt: „Grauer Wasserstoff ist sehr dreckig. Ein Prozent der weltweiten CO2-Emissionen stammt aus der Herstellung von Wasserstoff aus Erdgas.“ Die Klimabilanz von blauem Wasserstoff sei, je nachdem, wie viel CO2 aufgefangen und gespeichert wird, etwas besser. „Aber sie wird nicht gut, deswegen ist auch blauer Wasserstoff sehr kritisch zu betrachten.“

Blauer Wasserstoff wird gleich grauem Wasserstoff aus Erdgas hergestellt. Das entstehende CO2 wird jedoch zumindest teilweise abgeschieden und eingelagert. Es können bis zu 90 Prozent des Treibhausgases gespeichert werden. „Wenn wir über klimaneutralen ökologischen Wasserstoff reden, dann müssen wir auf grünen Wasserstoff setzen, der über Elektrolyse aus Solar- und Windstrom hergestellt wird. Der ist im Vergleich zu den anderen Varianten allerdings noch sehr teuer“, so Quaschning.
 

Illustration: Emanuela Carnevale
Illustration: Emanuela Carnevale
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Illustration: Emanuela Carnevale

Deutschland will Vorreiter beim Wasserstoff werden
 

„Nur mit grünem Wasserstoff kann Deutschland seine Klimaziele bis 2045 erreichen“, weiß auch Judith Pirscher, Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Gleichzeitig würden wir unserer Wirtschaft einen Schub verleihen. „Dafür muss Deutschland Wasserstoff im großen Stil in sein Energiesystem integrieren.“ Damit das in absehbarer Zeit funktioniert, investiert das BMBF mehr als zwei Milliarden Euro in die Forschung und Entwicklung entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette. In Wasserstoff-Leitprojekten entwickeln Wirtschaft und Wissenschaft gemeinsam Lösungen, um die deutsche Wasserstoffwirtschaft schnellstmöglich einsatzfähig zu machen.

Ziel sei es, so die Bundesregierung, dass Deutschland bei Wasserstofftechnologien eine globale Vorreiterrolle einnimmt. Möglich werden soll das durch ein Bündel an Maßnahmen, die im Rahmen der nationalen Wasserstoffstrategie festgelegt und ständig erweitert werden. So hat das Bundeskabinett bei der Fortschreibung der nationalen Wasserstoffstrategie in diesem Sommer festgelegt, dass bis 2030 der Markthochlauf von Wasserstoff und den entsprechenden Anwendungstechnologien deutlich beschleunigt und das Ambitionsniveau entlang der gesamten Wertschöpfungskette massiv gesteigert werden solle. 

Die heimische Elektrolysekapazität soll auf mindestens zehn Gigawatt erhöht, der darüber hinausgehende Bedarf durch Importe gedeckt werden. Bis 2028 soll ein Wasserstoffleitungsnetz mit mehr als 1.800 Kilometern in Deutschland und 4.500 Kilometern in der EU, das sogenannte European Hydrogen Backbone, entstehen. Bis 2032 soll es auf 11.000 Kilometer anwachsen und alle großen Erzeugungs-, Import- und Speicherzentren verbinden. Und nicht zuletzt solle Wasserstoff bis 2030 in der Industrie, bei schweren Nutzfahrzeugen sowie zunehmend im Luft- und Schiffsverkehr zum Einsatz kommen und im Stromsektor zur Energieversorgungssicherheit beitragen.
Künftig günstiger?
 
Noch stammt jedoch weniger als ein Prozent des weltweit produzierten Wasserstoffs aus erneuerbaren Quellen, schätzt der Analyst Adithya Bhashyam von BloombergNEF. Das Problem: Die Herstellung von Wasserstoff ist energieintensiv. Rund 60 Kilowattstunden Strom sind nötig, um ein Kilogramm davon herzustellen. Dieses wiederum enthält nur 33,3 Kilowattstunden Energie. Bei der Herstellung geht also viel Energie verloren.

Zwischen vier und acht Euro je Kilogramm kostet grüner Wasserstoff laut dem Wasserstoffpreisindex Hydex derzeit. Bis 2030 sollen die Herstellungskosten auf unter 3 Euro je Kilogramm sinken. „Grüner Wasserstoff könnte in den kommenden Jahren dank erwarteter technologischer Fortschritte und mehr Effizienz in der Lieferkette wettbewerbsfähiger werden“, meint Aaron Bryant, Energie-Analyst bei der Wirtschaftskanzlei White & Case. Schließlich gebe es große Förderungen und politische Unterstützung – nicht nur in Deutschland und der EU, auch die USA fördern den Aufbau der Wasserstofftechnologie mit sieben Milliarden Dollar.