»Ruhe bewahren«

Viele Anleger sind bei der Geldanlage derzeit noch vorsichtiger als sonst. Für Dr. Markus Demary vom Institut der deutschen Wirtschaft gibt es dafür allerdings keinen triftigen Grund. Er rät: Ruhe bewahren.
Illustration: Oliver Navarro Schrøder
Illustration: Oliver Navarro Schrøder
Julia Thiem Redaktion

Herr Dr. Demary, der weltweite Covid-19-Ausbruch hat die Finanzmärkte zunächst auf Talfahrt geschickt. Dann ging es jedoch auch relativ schnell wieder aufwärts, während die konjunkturellen Aussichten weiter verhalten blieben. Sind Anleger vielleicht zu optimistisch?
Das denke ich nicht. Die Märkte sind eingebrochen, als klar wurde, dass wir es mit einer globalen Pandemie zu tun haben, die die gesamte Weltwirtschaft negativ beeinflussen wird. In welchem Ausmaß, war zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar und eine hohe Unsicherheit führt in der Regel zu fallenden, mindestens aber zu schwankenden Märkten. Mit dem beherzten Eingreifen der Politik – nicht nur in Deutschland – und den Maßnahmen der großen Zentralbanken ist ein Großteil dieser Unsicherheit genommen worden. Anleger antizipieren einen v-förmigen Konjunkturverlauf – also einen starken Einbruch gefolgt von einer starken Erholung – und zum jetzigen Zeitpunkt ist das nicht unrealistisch.
 

Weil Sie die Zentralbankpolitik ansprechen: Die Währungshüter sind international schon seit langem sehr entgegenkommend mit ihren Maßnahmen und pumpen Liquidität in den Markt. Können die Antworten auf die Coronakrise da überhaupt noch Wirkung zeigen?
Die Coronakrise hat es noch einmal verdeutlicht: Obwohl es bereits viel Liquidität am Markt gibt und die Banken einen hohen Anteil an Zentralbankgeldern in ihren Bilanzen haben, reicht diese Liquidität nicht aus. Daher ist es ein gutes und wichtiges Signal, dass die großen Zentralbanken in der Krise reagieren und zeigen: „Wir können“. Und weil sie in der Lage sind, relativ schnell wirksame Maßnahmen umzusetzen, haben die Zentralbanken auch eine so wichtige Rolle für die Volkswirtschaft und eine herausragende im Krisenfall.
 

Halten die Unternehmen dann vielleicht zu wenig Liquidität für den Krisenfall vor?
Auch dem würde ich so nicht zustimmen. Die Unternehmen haben nach der Finanzkrise ihre Liquiditätsreserven stark ausgebaut. Allein schon die Bankenregulierung fordert das. Denn für Kredite ist ein gutes Rating nötig, das es nur mit hohen Eigenkapitalquoten gibt. Der Liquiditätsengpass, den wir mit Ausbruch von Covid-19 gesehen haben, ist tatsächlich der Schwere der Krise geschuldet.
 

Haben wir die Krise denn jetzt überstanden?
An sich sind die Zahlen derzeit gut, was auch daran liegt, dass wir die Situation hier in Deutschland verhältnismäßig gut unter Kontrolle haben und Kontakte mittlerweile nachverfolgen können. Allerdings bleibt die Unsicherheit nach wie vor hoch. Und aus globaler Perspektive wird uns Corona noch lange beschäftigen, weshalb Anleger mindestens noch dieses und nächstes Jahr mit einer hohen Unsicherheit rechnen müssen, die sich in stärkeren Kursschwankungen auswirken wird.
 

Welche Sektoren sind vor diesem konjunkturellen Hintergrund überhaupt interessant?
Die Krise hat nicht alle Branchen gleichermaßen hart getroffen. Einige haben sogar profitiert wie beispielsweise IT oder E-Commerce. Und auch der Großteil der internationalen Lieferketten funktioniert bereits wieder. Zudem ist das Kurzarbeitergeld in Deutschland ein wichtiges und wirksames Instrument, da keine Mitarbeiter entlassen werden müssen und die Produktion so bei Bedarf schnell wieder hochgefahren werden kann. In anderen Bereichen ist aus Anlegersicht vermutlich eher eine gewisse Skepsis ratsam, was beispielsweise für die Tourismusbranche gilt.
 

Gilt es also, bei der Geldanlage jetzt noch selektiver zu sein?
Auf jeden Fall sollten Anleger ihren Investmenthorizont und das eigene Risikoprofil bei Anlageentscheidungen sehr genau berücksichtigen. Wir müssen noch eine Weile mit einer höheren Volatilität am Markt rechnen, sodass es nicht ratsam ist, Vermögen, auf das ich vielleicht kurzfristig zurückgreifen muss, am Kapitalmarkt zu investieren. Andererseits ist in volatilen Zeiten Sicherheit gefragt, was den Preis für diese Anlagen deutlich steigen und damit die Renditen sinken lässt. Selektiver bei der Auswahl der Geldanlage zu sein, ist also nicht verkehrt.
 

Eigentlich sind Aktieninvestments für den langfristigen Vermögensaufbau Pflicht. Nun sind die Deutschen jedoch nicht für ihre Aktienliebe bekannt. Wie viel zusätzliches Vertrauen ist durch den Fall Wirecard verloren gegangen?
Viele Privatanleger haben sich mit dem Platzen der Dotcom-Blase vom Aktienmarkt abgewandt und den Weg zurück nie wieder richtig gefunden. Ohne Frage ist die Entwicklung um Wirecard vor diesem Hintergrund ein denkbar schlechtes Signal. Daher ist mein dringender Appell, hier Ursachenforschung zu betreiben. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, die sicherstellen, dass sich so etwas nicht wiederholen kann. Dass man als Anleger am Aktienmarkt durchaus mal eine Rezession mitnimmt, gehört dazu. Die Insolvenz eines großen Dax-Unternehmens ist hingegen nur schwer zu verkraften. Anleger müssen sich auf die verfügbaren Zahlen und Daten verlassen können. Dieses Vertrauen gilt es wiederherzustellen.
 

Ist Wirecard auch ein Appell für eine breite Streuung des eigenen Portfolios?
Auch ohne Wirecard kann man gar nicht häufig genug betonen, wie wichtig eine breite Streuung des Portfolios ist. Nach Möglichkeit will man an den Entwicklungen des gesamten Marktes partizipieren, was nicht funktioniert, wenn man auf nur eine Aktie, einen Sektor, eine Anlageklasse oder ein Land setzt. Außerdem sollten sich Anleger mehr mit den zugrundeliegenden Werten auseinandersetzen, die sie kaufen, und welche Risiken damit einhergehen. Je mehr ich über meine Investments weiß, desto eher kann ich fundierte Entscheidungen treffen.
 

Allerdings machen es neue, technologiebasierte Anlageformen – beispielsweise auf Blockchain-Basis – Anlegern nicht unbedingt einfacher, die zugrundeliegenden Assets zu verstehen.
Das ist sicher richtig. Hier ist insbesondere die Regulatorik gefordert. Sie muss hinterfragen, welche Informationen Privatanleger brauchen, um in neue, digitale Anlageformen investieren zu können. Bestes Beispiel sind die sogenannten Initial Coin Offerings, kurz ICOs. Dabei verkauft ein kapitalsuchendes Unternehmen, in der Regel ein Startup, blockchainbasierte Coins oder Tokens gegen Krypto- oder normale Währungen, um sich zu finanzieren. Dieser Bereich ist bisher unreguliert und für Anleger daher nicht transparent. In anderen Bereichen machen blockchainbasierte Lösungen eigentlich illiquide Assets wie beispielsweise Immobilien erst teil- oder handelbar. Ich denke, wir stehen hier am Anfang einer interessanten und unter Umständen attraktiven Entwicklung.

Wie lange wird diese Entwicklung dauern?
Die Erfahrung zeigt: Neue Anlageklassen etablieren sich nicht über Nacht – zumal mit Blick auf die zugrundeliegenden Technologien auch schlicht Erfahrungswerte fehlen. Vorsichtig geschätzt, würde ich denken, dass es gut fünf Jahre dauern kann, bis der Markt vollständig reguliert ist. Dann ist es allerdings durchaus vorstellbar, dass hier neue und attraktive Anlageprodukte entstehen.
 

Was geben Sie Anlegern mit auf den Weg, die Kapitalanlagen aufgrund der Unsicherheit derzeit eher meiden?
Zunächst einmal ist es wichtig, nur das Geld zu investieren, das ich nicht gleich morgen für eine dringende Investition benötige. Verkaufen zu müssen, kann in einer Situation, wie wir sie gerade erleben, durchaus schmerzhaft sein. Ansonsten gilt: Ruhe bewahren und Schwankungen einfach mal aushalten. Denn gerade mit einem langfristigen Anlagehorizont ist eine Krise gar nicht so schlimm. Im Gegenteil: Wer in der Krise zukauft, bekommt relativ günstig Zugang zu an sich attraktiven Anlagen. Eine Krise ist also immer auch eine Chance.