Neue Versicherungswelt

Die Digitalisierung macht auch vor der Versicherungsbranche nicht halt. Das Ergebnis sind neue, kundenzentrierte Services und branchenfremde Kooperation.
Illustration: Oliver Navarro Schrøder
Illustration: Oliver Navarro Schrøder
Julia Thiem Redaktion

Wann braucht man eigentlich eine Versicherung? Richtig, wenn man sich beispielsweise ein neues, nicht ganz günstiges E-Bike kauft und diese Investition gegen Diebstahl oder auch gegen Unfälle und Vandalismus versichern will. Oder, wenn morgen ein neues Auto – vielleicht auch hier ein Elektrofahrzeug oder Hybrid – in die Garage einzieht und für das neue Gefährt nur die Vollkaskoversicherung gut genug ist. Oder aber, wenn man gerade frisch seinen neuen Mietvertrag unterschrieben hat und der Vermieter schon andeutet, dass man definitiv alle Schäden, die die Dogge am Gebäude anrichten wird, auch begleichen muss. Wie gut wäre da eine Tierhalterhaftpflicht?

Diese Liste ließe sich natürlich beliebig weiterführen. Der entscheidende Punkt bei all diesen Szenarien: Ich bin bereits mit einem Verkäufer oder Vertragspartner im Gespräch – mit dem Fahrradhändler, einem Autoverkäufer oder Immobilienverwalter. Warum also nicht direkt mit dem Kauf des E-Bikes die passende Versicherung abschließen? Genau an dieser Stelle sieht das Swiss Re Institute in einer aktuellen Studie großes Potenzial für Versicherer. Und auch die Unternehmensberatung Accenture hat schon in ihrem Report „Technology Vision for Insurance 2019“ betont, dass 59 Prozent der Versicherer bereits Partnerschaften außerhalb des traditionellen Bereichs eingehen. So können Kunden beim schwedischen Möbelhaus Ikea mittlerweile eine Hausrat- oder Haftpflichtversicherung abschließen. Und auch bei Tchibo gibt es von der Krankenzusatzversicherung bis zur OP-Versicherung für das Haustier gleich eine ordentliche Portion Versicherung zum Pfund Kaffee mit dazu.

Selbst der Mobilfunkanbieter Vodafone ist ins Versicherungsgeschäft eingestiegen und verkauft gemeinsam mit dem Berliner Startup Emil Kfz-Versicherungen. Die Idee dahinter: Wer wenig fährt, baut weniger Unfälle und zahlt daher auch weniger. Hier werden also Versicherungs-Know-how und Datenanalyse kombiniert, deren Basis wiederum von Vodafone kommt.

Deren Driving Academy-App misst und analysiert beispielsweise über zwei Wochen den Fahrstil eines potenziellen Versicherungskunden – etwa auch, ob er während der Fahrt unerlaubter Weise sein Smartphone am Steuer nutzt. Wer hier gut abschneidet, kann seinen Versicherungsbeitrag noch einmal um weitere 20 Prozent senken.

Kunden sind auch deshalb bereit, sich auf solche Rabatt-Vorschläge einzulassen, weil Technologie mittlerweile eine so prominente Rolle in unser aller Leben spielt, ja sogar tief in nahezu allen Aspekten unseres Alltags verwurzelt ist, wie 52 Prozent der befragten Kunden des aktuellen Reports „Technology Vision for Insurance 2020“ von Accenture bestätigen. Wir befinden uns also in einer Post-Digitalen-Welt – zumindest aus Kundensicht. Unternehmen müssen hier in vielen Bereichen noch aufschließen, auch die Versicherer.

Laut der Studie von Swiss Re wandelt sich die Aufgabe der Versicherer demnach auch kontinuierlich. Sie bieten längst keinen reinen Absicherungsmechanismus mehr für Verluste, sondern nehmen immer mehr eine beratende Rolle ein, bei der Risikoprävention und -reduktion im Fokus stehen. „Mit einer stärker digital vernetzten Wertschöpfungskette werden Versicherer sowohl die verschiedenen Kundensegmente als auch ihre Partner besser verstehen. Damit können sie sich nahezu in Echtzeit anpassen“, sagt Jonathan Anchen, Head of Swiss Re Institute Research & Data Support. „Versicherer werden künftig ununterbrochen auf Daten zugreifen müssen – auf Daten von vernetzten Objekten, Plattformanbietern, auf verhaltensrelevante Daten zum Kunden oder Umweltdaten, um nur ein paar zu nennen.“

Damit steht fest: Die Versicherungslandschaft, wie wir sie heute kennen, wird es morgen nur in abgewandelter Form geben. Wer heute jedoch schon wissen will, in welche Richtung es gehen könnte, muss nur nach China gucken. Dort ist mit Ping An – chinesisch für Sicherheit und Ruhe – in den letzten 30 Jahren eines der weltweit zehn größten Unternehmen entstanden, dessen Bilanz 2018 deutsche Versicherungsriesen in den Schatten stellt. Zum „Ping An Imperium“ gehören zahlreiche Gesundheitsdienstleister, ein Cloud Anbieter, die größte Krankenversicherung des Landes, das führende Gebrauchtwagenportal sowie eine Bonitätsauskunft. Und mit ZhongAn, dem ersten reinen Online-Versicherer Chinas, hat sich Ping An 2013 mit niemand geringerem als den beiden Digital-Giganten Tencent und Alibaba zusammengetan.

Diese Auflistung zeigt: Ping An scannt vor allem seine Kunden und bringt deren Daten aus ganz unterschiedlichen Lebensbereichen zusammen.

Schätzungsweise jeder siebte Chinese ist bei Ping An versichert. Und mit zusätzlichen Services wie Ping An Good Doctor, einer Plattform für Gesundheitsdienste, machen die Chinesen genau das, was die Studie von Swiss Re für die Zukunft der Branche als so wichtig erachtet: Zugang zu Fakten, Transparenz und einer personalisierten Kundenerfahrung schaffen. Über die Plattform werden Online-Konsultationen, Überweisungen oder Termine in Krankenhäusern abgewickelt. Und das funktioniert: Allein durch den Ausbruch von Covid-19 in China hat Ping An Good Doctor Rekordzuwächse verzeichnen können: Zwischen Dezember 2019 und Januar 2020 sind die Nutzerzahlen um fast 900 Prozent gestiegen.

Mittlerweile streckt Ping An auch seine Fühler in Richtung Europa aus. Beispielsweise haben sich die Chinesen bei der britischen Bank HSBC eingekauft – offiziell als Anlageobjekt für die zu verwaltenden Versicherungsgelder. Denn HSBC zahle eine gute Dividende. Experten sehen an der Beteiligung jedoch ein strategisches Investment, vor allem, weil Ping An zu den größten Investoren der Bank zählt. Und auch in Deutschland ist der Versicherer bereits aktiv. 2018 hat sich Ping An mit 41,5 Millionen Euro an der Berliner Fintech-Schmiede Finleap beteiligt und sich damit Zugang zu vielversprechenden Startups aus der Finanzbranche verschafft. Im September letzten Jahres flossen dann beispielswiese sowohl Gelder zur Wachstumsfinanzierung als auch Tech-Know-how von Ping An in ein neues Vergleichsportal aus dem Finleap-Universum namens Joonki.

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