Sie wäre die wohl effektivste Stellschraube, um die Folgen des Klimawandels noch im Rahmen zu halten: eine international konzertierte, nachhaltige Energiepolitik. Gleichzeitig scheint nichts schwieriger und damit ferner, weil in puncto Energie die Partikularinteressen der jeweiligen Länder in der Regel überwiegen. Denn mit dem Zugang zu und vor allem dem Preis für Energie steht und fällt die Wirtschaftskraft eines Landes – gerade, wenn die von energieintensiven Industrien geprägt ist.
Bestes Beispiel sind die G7: Ende April haben sich die Energieminister der führenden Industrienationen im Grundsatz auf einen Ausstieg aus Kohlestrom bis 2035 verständigt. Für den britischen Energiestaatssekretär Andrew Bowie war das eine historische Übereinkunft, wie er gegenüber dem Nachrichtensender CNBC sagte. Der grundsätzliche Beschluss der G7, dem Kohlestrom den Rücken zu kehren, war nämlich bereits 2023 gefasst worden. Nur auf ein konkretes Datum konnte man sich bis dato nicht einigen. Japan hatte sich bisher erfolgreich gesperrt, weil das Land etwa ein Drittel seines Stroms aus Kohle bezieht.
Und was für die Briten schon historisch ist und für die Japaner vermutlich ein harter Einschnitt wird, ist für Deutschland wiederum ein Rückschritt. Denn der Koalitionsvertrag der Ampelregierung sieht einen Kohleausstieg bis 2030 vor. Diesen „faulen Kompromiss“ kritisiert Greenpeace-Energieexperte Karsten Smid: „Statt sich an schwache G7-Kompromisse zu klammern, sollte die Bundesregierung alles daran setzen, den Ausbau der Erneuerbaren so zu beschleunigen, dass das Land spätestens Ende des Jahrzehnts ohne den schmutzigsten Energieträger auskommt. Die Klimakrise erlaubt keinen Aufschub.“
GRÜN WÄCHST LANGSAM
Tatsächlich erlaubt die Klimakrise keinen Aufschub, wie auch wir in den Industrienationen mittlerweile immer deutlicher zu spüren bekommen. Dennoch sorgt die Energiewende alleine durch ihre Initialkosten und die zunächst steigenden Preise eben auch dafür, dass die Wirtschaft im jeweiligen Land schwächelt. Deutschland ist da keine Ausnahme. Zwar verkündete Bundeswirtschaftsminister Habeck stolz, dass Deutschland in Sachen Energiewende „auf Kurs“ sei, schließlich habe man 2023 so wenig Kohle für Strom verbrannt, wie seit 60 Jahren nicht. Laut der Denkfabrik Agora Energiewende liegt das aber vor allem am Einbruch der Industrieproduktion sowie den Stromimporten aus dem Ausland. Und die gesunkenen Emissionen 2023 – übrigens der niedrigste Stand seit 70 Jahren – seien „überwiegend kein klimapolitischer Erfolg“. Den Agora-Berechnungen zufolge sind nur rund 15 Prozent des CO2-Rückgangs langfristige Einsparungen, die sich vor allem aus dem Zubau Erneuerbarer Energien, Effizienzsteigerungen sowie dem Umstieg auf CO2-ärmere oder klimafreundliche Brennstoffe beziehungsweise Alternativen ergeben.
Wie schwer eine nachhaltige Energiewende wirklich ist, zeigt sich in China. Das Land ist nämlich, anders als viele vermuten, ein echter Vorreiter in Sachen grüne Energie, attestiert das Risikomanagement-Unternehmen DNV in seinem „Energy Transition Outlook China“. Zum einen sei der Ausbau der erneuerbaren Energien im Land „konkurrenzlos“. Zugleich exportiere China viele Technologien für erneuerbare Energien. Dennoch gehen die Experten von DNV davon aus, dass auch die chinesische Wirtschaft nicht ohne fossile Brennstoffe auskommen wird, wenn sie weiterhin wachsen will. Selbst 2050 wird ihr Anteil an Chinas Energiemix noch immer ganze 40 Prozent betragen.
Dafür geht es bei den Emissionen vorwärts – oder vielmehr rückwärts. Denn während China 2023 noch für ein Drittel der weltweiten energiebedingten CO2-Emissionen verantwortlich war, werde dieser Anteil laut DNV bis 2050 auf ein Fünftel sinken. In absoluten Zahlen läge der Rückgang sogar bei 70 Prozent, womit China seinem Ziel der Kohlenstoffneutralität bis 2060 sehr nahekäme.
WIE VIEL ZEIT BLEIBT?
Ob wir tatsächlich noch so viel Zeit haben, um die Energiewende zu schaffen, ist indes eine andere Frage. Denn während die 1,5-Grad-Marke für die Erderwärmung lange eine symbolische war, haben wir die nun längst geknackt. Ob nachhaltig oder nicht, wird sich erst in ein paar Jahren zeigen. Allerdings war 2023 laut dem Erdbeobachtungsprogramm Copernicus das wohl wärmste Jahr seit rund 100.000 Jahren.
Wir müssen bei Klimaschutz und Energiewende also weltweit deutlich mehr Ehrgeiz an den Tag legen als bisher. Partikular- und auch wirtschaftliche Interessen müssen deutlich stärker in den Hintergrund rücken. Und vermutlich müssen wir die heilbringende neue Energiequelle auch noch entdecken. Denn auch hier gehen die verschiedenen Nationen unterschiedliche Wege. Wind- und Solarenergie erfreuen sich als Alternativen weltweit großer Beliebtheit, werden aber nicht ausreichen, um den aktuellen Energiebedarf zu decken. Zudem ist auch hier das Problem der Energieverteilung noch nicht final gelöst.
In der EU versucht man deshalb nach wie vor, Wasserstoff in die Energiewende einzubeziehen. Erst Ende Mai haben die EU-Wettbewerbshüter ein mit 1,4 Milliarden Euro von sieben Ländern finanziertes Wasserstoffprojekt genehmigt. Deutschland, Estland, Frankreich, Italien, die Niederlande, die Slowakei und Spanien sind beteiligt. Zusätzlich sollen weiter 3,3 Milliarden Euro an privaten Investitionen in das Projekt fließen. Und auch große Konzerne wie Airbus, BMW oder Michelin sind involviert. Geplant sind mehrere Entwicklungen, etwa eine Hochleistungs-Brennstoffzelle für Schiffe oder Züge sowie stabile Wasserstofftanks, die auch in Flugzeugen eingesetzt werden können. Vor allem wenn der Wasserstoff grün ist – also aus erneuerbaren Energien hergestellt wird – könnte er maßgeblich zur Energiewende beitragen. Derzeit ist die Herstellung allerdings noch so energieintensiv, dass die theoretischen Potenziale nicht gehoben werden können.
Woran beim Stichwort „Wende“ bisher auch noch keiner denkt, ist eine Wachstumswende, ein „Langsamer, tiefer, kürzer“. Vielleicht sorgt der Klimawandel schneller dafür, als wir denken – weil wir bei der Energiewende zu langsam sind.