Programmierter Kollaps

 Straßen mit tiefen Schlaglöchern, Stolperfallen auf Rad- und Fußwegen – der Verfall der Verkehrsinfrastruktur schreitet voran.

Illustrationen: Cristina Franco Roda
Illustrationen: Cristina Franco Roda
Eike Schulze Redaktion

Es ist erschreckend, was die Transport & Environment (T&E) Deutschland gGmbH kürzlich verkündet hat. Alleine auf den Bundesautobahnen und Bundesstraßen seien derzeit 6.000 Brücken erneuerungsbedürftig, so Europas Dachverband für sauberen Verkehr und Energie. Dies würde einen Investitionsbedarf von 100 Milliarden Euro darstellen. Ob die Summe tatsächlich ausreicht, ist ungewiss. Allein der wirtschaftliche Schaden durch die seit 2021 bestehende Sperrung der Rahmedetalbrücke der A45 bei Lüdenscheid dürfte für die Region in Milliardenhöhe liegen. Erst mit der Erneuerung der Brücke ist ab 2027 Abhilfe zu erwarten.
 

VERKEHRSKOLLAPS STRASSE


Doch selbst ohne die maroden Brücken ist die Situation teilweise katastrophal. In Hamburg gab es allein im Januar vergangenen Jahres 59 Unfälle, die durch marode Straßen bedingt waren. Die Folge: 59 Verletzte. Dabei landen nur schwere Fälle in der Statistik, ein platter Reifen beim Durchfahren eines Schlaglochs wird gar nicht verzeichnet. Die Ursache für die Unfälle sind gerade in der dunklen Jahreszeit die nur schwer erkennbaren Schäden an Straßen. 

Obwohl der Bund, Länder oder Kommunen verantwortlich für den Erhaltungszustand von Straßen sind, ist es bei daraus resultierenden Unfällen kaum möglich, von den staatlichen Stellen eine Entschädigung zu bekommen, wie zahlreiche Urteile belegen. Zwar gaben Kommunen im vergangenen Jahr 10,8 Milliarden Euro für Wartung und Erneuerung aus, aber dies ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Fahrbahnen werden meist geflickt statt erneuert. Wie groß der Investitionsrückstand bei kommunalen Straßen ist, ermittelte die KfW-Bank: Allein 2024 waren es 48,3 Milliarden Euro, die fehlten. Die Summe dürfte sich in den nächsten Jahren bei gleicher Unterfinanzierung noch deutlich erhöhen.
 

VERKEHRSKOLLAPS SCHIENE


Kaputte Weichen und Schienen, Signalstörungen oder Stellwerkausfälle sind auf dem deutschen Schienennetz zur Normalität geworden. So ermittelte die Deutsche Bahn, dass für 2024 nur 62 Prozent der Fernverkehrszüge pünktlich waren. Hauptursache: die veraltete Infrastruktur. Zugunglücke treten als Folge mangelhafter Erneuerung des Schienennetzes auf. Verheerend war das Zugunglück 2022 bei Garmisch-Partenkirchen mit vier Toten und 78 Verletzten. Die Ursache lag in bröckelnden Betonbahnschwellen, die die Schienen nicht mehr in Position halten konnten, wie der Abschlussbericht 2025 zeigte. Normalerweise werden solche Stellen rechtzeitig entdeckt.

Die Folgen: Es werden Langsamfahrstellen eingerichtet, die die Belastung mildern sollen, aber Verspätungen verursachen. Dies kann für Passagiere erhebliche Konsequenzen haben, falls ein Bewerbungstermin oder Prüftermin an der Universität platzen sollte. Wenn Schäden an Bahnstrecken behoben werden, sind Baustellen notwendig, die mehr oder weniger lange erhalten bleiben. Ähnlich düster wie bei der Passagierbeförderung sieht es bei DB Cargo aus. Immerhin erreichen hier 69 Prozent der Züge ihren Bestimmungsort pünktlich. Die Deutsche Bahn veranschlagt einen Investitionsbedarf von 290 Milliarden Euro für die nächsten zehn Jahre
 

VERKEHRSKOLLAPS BINNENSCHIFFFAHRT


Auf den ersten Blick nicht sichtbar ist der schlimme Zustand der Binnenwasserstraßen. Bei den hauptsächlich für den Güterverkehr genutzten 7.300 Kilometer Wasserstraßen leidet die Infrastruktur unter fehlenden Investitionen. So wurde bereits im Jahr 2023 durch den Binnenschifffahrtsverband (BDB) geschätzt, dass 700 Schleusen, Wehre, Hebewerke und Brücken dringend saniert werden müssen, 2,5 Milliarden Euro sind hierfür jährlich nötig. Wie sehr die Investitionen vernachlässigt werden, machen zwei Punkte deutlich: Zum einen stammt der letzte vollständige Wasserstraßenbericht aus dem Jahre 2016, zum anderen sind gerade alte Klappbrücken nicht mehr für die heutige Höhe der Binnenschiffe geeignet; sie können nicht mehr unter einer ungeöffneten Brücke durchfahren. In Oldenburg steht ein solches Exemplar: Binnenschiffer müssen manchmal einen Tag warten, bis die Klappbrücke die Durchfahrt erlaubt. 
 

VERKEHRSKOLLAPS RAD- UND FUSSWEGE


Regelmäßig sorgen Radwege und Fußwege für Ärger. Risse, Kuhlen, hochstehende Gehwegplatten oder bröckelnde Bordsteine – all dies müssen Fußgänger im Blick haben, wenn es nach den Kommunen geht. Gerade bei schlechter Witterung oder Dunkelheit ist dies nicht immer möglich. Es ist offensichtlich, dass dies böse Folgen haben kann. So stürzte ein Senior in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs im Herbst 2024 aufgrund eines Lochs im Fußweg und brach sich die Schulter. 

Nicht viel besser sieht es bei den Radwegen aus. Nach Auswertungen der Unfallforschung der Versicherer steigt die Zahl der Alleinunfälle von Radlern an. Etwa 30 Prozent der Unfälle lassen sich auf ungenügende Verkehrsinfrastruktur zurückführen. Jedoch treten in der Statistik nur wenige Unfälle von Fußgängern oder Radfahrern auf, die Dunkelziffer ist hoch. Für Fuß- und Radwege sind in der Regel Kommunen und Landkreise zuständig. Zwar soll in Rad- und Fußwege nach Vorstellung der Bundesregierung weiter investiert werden. Es ist jedoch scheinbar nicht immer möglich, dies umzusetzen. So reduziert beispielsweise Berlin die Investition in neue Radwege von 7,2 Millionen Euro auf vier Millionen Euro im Jahr 2025.

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