MINT schafft Innovation

Deutsche Energie-Start-ups sorgen mit neuen Innovationen auch international für Aufmerksamkeit. Damit das so bleibt, braucht es mehr Nachwuchs in den Naturwissenschafts- und Technik-Fächern.

Illustrationen: Cristina Franco Roda
Illustrationen: Cristina Franco Roda
Julia Thiem Redaktion

Ganze 7,4 Milliarden Euro an Wagniskapital gab es 2024 für deutsche Start-ups – vier Prozent mehr als im Vorjahr, rechnet die Förderbank KfW in ihrem aktuellen Venture-Capital-Dashboard vor. Und eine Branche sticht dabei besonders hervor: Energie. Mit 1,2 Milliarden Euro floss das meiste Geld vor allem in jene Startups, die sich an neuen Lösungen zur nachhaltigen Energieerzeugung oder -speicherung versuchen. 

Was an den KfW-Zahlen außerdem auffällt: 30 Prozent des Investitionsvolumens kommt von amerikanischen Investoren, acht Prozent von britischen. Das unterstreicht, welches Innovationspotenzial in deutschen Energie-Start-ups steckt. Und tatsächlich hat die von der Politik eingeleitete Energiewende einige neue Unternehmen entstehen lassen, deren Lösungen weltweit auf Interesse stoßen dürften. Ein Beispiel hierfür ist Pulsetrain. Das Münchner Unternehmen entwickelt ein KI-gesteuertes Batteriemanagement für Elektrofahrzeuge, das die Lebensdauer der Batterien um bis zu 80 Prozent verlängern soll. 6,1 Millionen Euro Anschubfinanzierung in einer sogenannten Seed-Runde gab es dafür im März von Investoren, die von dem ebenfalls in München ansässigen Vsquared Ventures und dem Berliner Investor Planet A angeführt wurden.
 

DIESES START-UP SETZT AUF KERNFUSION


München hat jedoch auch noch deutlich futuristischere Start-ups zu bieten – etwa Proxima Fusion. Das auf Kernfusion spezialisierte Unternehmen sorgt gerade mit einem neuen Finanzierungsrekord innerhalb Europas für Schlagzeilen. 130 Millionen Euro gab es jetzt im Juni in einer Serie-A-Runde, die vom Berliner Fonds Cherry Ventures sowie dem US-Fonds Balderton Capital angeführt wurde. Beteiligt hat sich außerdem Silicon-Valley-Investor Lightspeed, einer der größten Risikokapitalgeber der USA. 

Wissenschaftler forschen seit einem halben Jahrhundert daran, mit der Kernfusion Energie zu gewinnen. Vereinfacht ausgedrückt sollen nach dem Vorbild der Sonne dafür Wasserstoffkerne mit Heliumkernen verschmolzen werden, wobei Energie freigesetzt wird. Proxima Fusion will mit dem nun eingesammelten Kapital einen ersten Prototypen für einen „Supermagneten“ bauen, der das Herzstück eines zukünftigen Reaktors bildet. In den 2030er-Jahren soll dann auch der Reaktor-Prototyp selbst bereits stehen, hat das Spin-off des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) angekündigt. Und eine solche Zuversicht ist durchaus begründet. Zwar steht die Energiegewinnung durch Kernfusion noch ganz am Anfang und es ist auch keinesfalls sicher, dass das Unterfangen gelingen wird, mit der aktuellen Finanzierungsrunde habe man jedoch deutlich mehr Kapital eingesammelt als erwartet und sei deshalb bis Ende 2027 durchfinanziert, berichtet Proxima-Fusion-Mitgründer Francesco Sciortino. 

Proxima Fusion steht jedoch nicht nur stellvertretend für die Innovationskraft deutscher Energie-Startups, sondern auch für den Weg, über den sie ihren Platz am Markt finden. Denn gerade im Energiesektor haben viele innovative Ideen ihre Wurzeln in Forschung und Wissenschaft. Besonders viele Ausgründungen aus dem Energiesektor kommen vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, der TU Darmstadt, dem Forschungszentrum Jülich oder der HAW Hamburg und dahinter steckt System. Seit Ende der Neunziger unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Gründungsnetzwerke, Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen mit dem Förderprogramm EXIST bei innovativen Ausgründungen.
 

MEHR MINT-STUDIERENDE


Allerdings braucht es für eine derartige „Nachwuchsförderung“ natürlich auch den entsprechenden Nachwuchs. Und hier zeigt sich tatsächlich ein gemischtes Bild. Das Positive zuerst: Es gibt wieder mehr Studienanfänger in den sogenannten MINT-Fächern, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Laut Statistischem Bundesamt Destatis haben sich im Studienjahr 2023 über 50.000 Studierende im ersten Semester für ein MINT-Studiengang eingeschrieben. Das sind rund 13 Prozent mehr als noch vor 20 Jahren. Und viele dieser Studienanfänger halten auch durch, wie die Destatis-Zahlen ebenfalls zeigen. 2022 entfielen 36 Prozent aller Master- und gleichwertigen Abschlüsse auf ein MINT-Fach. Im EU-Durchschnitt sind es nur rund 26 Prozent aller Abschlüsse. 

Die Zahl der Absolventen reicht jedoch bei weitem noch nicht aus, um die aktuelle Lücke an MINT-Fachkräften zu schließen – geschweige denn neue Innovationen in einer Ausgründung zur Marktreife zu bringen. Das zeigt der aktuelle MINT-Report, der zweimal jährlich vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln im Auftrag der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall und dem Verein „MINT Zukunft schaffen“ erstellt wird. Demnach fehlen in Deutschland aktuell 163.600 Fachkräfte. Prof. Dr. Christoph Meinel, Vorstandsvorsitzender von MINT Zukunft schaffen, kommentiert die Zahlen so: „Der MINT-Report 2025 zeigt: Wir müssen Chancen im Bildungssystem verbessern, die digitale MINT-Bildung voranbringen und die Qualität des Unterrichts sichern. Das gelingt nur mit pädagogisch durchdachten Konzepten, gezielter Förderung und Lehrkräften, die wir für die Zukunft stark machen – denn die MINT-Fachkräftelücke beginnt in der Schule.“
 

NEUE POTENZIALE ERSCHLIESSEN


Jedoch endet sie dort nicht, wie der Report ebenso unterstreicht. Deutschland müsse zudem die Potenziale der Frauen, der Älteren und auch der Zuwanderung heben. Und gerade der Weiterbildung komme dabei eine entscheidende Rolle zu. Berufsbegleitende Studiengänge und mehr Angebote zur akademischen Weiterbildung könnten ein Schlüssel sein. 

Denn auch das fällt bei den erfolgreichen Energie-Start-ups auf: Kommen die Gründer nicht aus dem universitären Umfeld, ist in der Regel jahrelange Branchenerfahrung vorhanden. Pulsetrain-Mitgründer Leopold König hat mit CustomCells bereits einen führenden Hersteller von Batteriezellen gegründet – genau wie sein Mitgründer Thomas Plaschko mit Enfas einen Spezialisten für elektrische Antriebssysteme. Und Niclas Lehnert hat mit Bavertis das Vorgängerunternehmen von Pulsetrain aufgebaut. In jedem Fall ist es der Wille, ein Problem zu lösen, der Gründer antreibt – ob von wissenschaftlicher Neugier oder einer praxisorientierten Problemlösung angetrieben, ist dabei nebensächlich, wenn die Wissensbasis stimmt.

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