Tierwohl fängt im Supermarkt an

Solange Fleisch dermaßen billig angeboten wird, können Landwirte nur über Masse ihr Geschäft machen. Was dabei zwangsläufig auf der Strecke bleibt, ist das Tierwohl – wenn man überhaupt davon sprechen kann.

Illustration: Sophie Mildner
Illustration: Sophie Mildner
Julia Thiem Redaktion

Die Bilder, die Tierschützer in Südafrika jetzt im Februar auf einem Frachter machten, sind nichts für schwache Nerven. Wobei man auf ihnen vermutlich nur einen Bruchteil dessen erahnen kann, was an Bord wirklich los war. Denn Auslöser der Kontrolle an Bord war ein wohl ekelhafter Güllegestank, über den sich die Anwohner in Kapstadt beschwert hatten. Kein Wunder, denn auf dem Frachter Al Kuwait waren auf einem separaten Deck 19.000 Rinder eingepfercht und das seit über zwei Wochen. Entsprechend standen sie laut Aussagen der Tierschützer, die an Bord waren, meterhoch in Gülle und Ammoniak. Die Bedingungen an Bord seien schrecklich, heißt es. Und die Qual für die Tiere war in Kapstadt noch nicht vorbei. Im Gegenteil: Dort hatten sie erst etwa die Hälfte ihrer (Tor-)Tour von Brasilien in den Irak hinter sich.


LEBENDTRANSPORT IST BILLIGER


Wer jetzt denkt, hierbei handele es sich um einen schrecklichen Einzelfall, der irrt. Dafür ist die Nachfrage nach Fleisch einfach zu groß. Laut Zahlen von Statista wurden 2023 weltweit knapp 580.000 Tonnen Rindfleisch, knapp eine Million Tonnen Hühnerfleisch und 115 Millionen Tonnen Schweinefleisch verzehrt. Auch Deutschland gehört zu den großen Exporteuren. Laut Zahlen der Animal Welfare Foundation wurden 2017 rund 770.000 Rinder und 2,2 Millionen Schweine exportiert. Spitzenreiter sind wir beim Geflügel, wo 2017 370 Millionen Tiere exportiert wurden. Warum die Tiere dabei fast ausschließlich lebend transportiert werden, ist ebenso einfach erklärt: Es ist billiger.

Nun gibt es in Deutschland klare Regeln in puncto Tierwohl, sodass auch der Tiertransport streng limitiert ist. So dürfen Rinder, Schafe und Ziegen beispielsweise nur 14 Stunden am Stück transportiert werden. Dann ist eine Stunde Ruhezeit Pflicht, bevor es für 14 Stunden weitergehen darf. Ob die Tiere diese Ruhezeit auch als solche empfinden, ist fraglich. Sie bleiben nämlich auf dem Transportfahrzeug. Für Schiffstransporte gelten diese Regeln hingegen nicht, was auch die Tierschutzorganisation Peta scharf kritisiert. Denn die Zeit auf den Schiffen gilt nicht als offizielle Transportzeit – vielleicht ein Kreuzfahrtliebhaber, der sich das ausgedacht hat.


NIEDRIGE ERZEUGERPREISE


Neben der großen Nachfrage sind vor allem die Erzeugerpreise ein Grund, warum es um das Wohl der Tiere trotz vieler Bemühungen nicht sonderlich gut steht. Die Initiative Tierwohl, ein Zusammenschluss von Partnern aus Landwirtschaft, Fleischwirtschaft, Lebensmittelhandel und Gastronomie, hat erst im vergangenen Jahr angekündigt, ihre Bemühungen 2024 auch über das eigentliche Programmende hinaus fortzuführen. In einer entsprechenden Erklärung gibt es dann auch Empfehlungen, welche Preisaufschläge Landwirte für die Teilnahme an der Initiative nehmen können: 2,75 Cent pro Kilogramm Lebendgewicht bei Hühnchen, immerhin 4 Cent bei Putenhähnen (bei Hennen bitte nur 3,25 Cent). Lukrativer sind da Schweine, für die der Aufschlag immerhin bei 5,28 Euro liegt. Hier muss man kein Unternehmer sein, um zu verstehen, dass sich der Mehraufwand, der für bessere Haltungsbedingungen nötig ist, nur rechnet, wenn auf Masse gesetzt wird. Und genau diese Massentierhaltung hat nur wenig mit wirklichem Tierwohl zu tun. Auch wenn Schweine, Rinder und Geflügel im Rahmen der Initiative immerhin auch mal die Sonne sehen und den Wind durch offene Tore spüren können.


ALTERNATIVEN SIND MÖGLICH


Zum Vergleich: In der konventionellen Geflügelmast leben etwa 30.000 Tiere zusammen. In einem Biobetrieb sind immerhin auch noch Gruppengrößen von knapp 5.000 Tieren erlaubt.

Einen ganz anderen Ansatz verfolgt hingegen Lars Odefey mit seiner 2017 gegründeten Landwirtschaft Odefey & Töchter in Niedersachsen. Hier umfasst die Geflügelmast nur rund 400 Tiere. Dafür ist das Konzept durchdacht. Das Geflügel schlüpft auf dem Hof, wird in Weidehaltung „gemästet“, auf dem Hof geschlachtet und direkt vermarktet. „Wir züchten Geflügel, wie es sein soll: Mit Respekt vor unseren Tieren, Bewusstsein für unsere Umwelt und zu Bedingungen, die für die besondere Qualität und den herausragenden Geschmack unserer Produkte notwendig sind“, sagt Odefey über die Vision hinter der Landwirtschaft. Was an dem Konzept von Odefey & Töchter außerdem besonders ist: Der Betreiber macht keinen Hehl daraus, dass auf seinem Hof Tiere geschlachtet werden. Im Gegenteil: Wer Fleisch essen will, muss sich auch mit dieser Tatsache auseinandersetzen. Deshalb findet man auf dem Instagram-Kanal des Unternehmens auch nicht ausschließlich idyllische Bilder von glücklichen Tieren in der Natur, sondern durchaus abgetrennte Köpfe mit viel Blut in der Schlachterei. Dennoch oder gerade deswegen hat sich Lars Odefey einen Namen mit seinem Betrieb gemacht. Viele, vor allem lokale Restaurants setzen auf das Geflügel von Odefey & Töchter – weil die Qualität stimmt und die Betreiber bei Ihren Gästen mit der Nachhaltigkeit punkten können.


VERBRAUCHER HABEN EINFLUSS


Allerdings hat das Fleisch aus dem Norden auch seinen Preis. Ein Weidehuhn mit einem Schlachtgewicht zwischen 1,4 und 1,8 Kilo kostet für Abnehmer netto 30,18 Euro. Für konventionelle Schlachthennen mit einem Gewicht zwischen 1,7 und 1,9 Kilo bekamen Landwirte laut Zahlen der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft mbH im Dezember 2023 gerade einmal 17 Cent.

Und wenn man dann einmal in die Kühltheken eines beliebigen deutschen Supermarktes schaut, findet man auf vielen Fleischverpackungen zwar das Tierwohl-Zeichen, das die Haltungsform näher klassifiziert – Verpackungen mit den „besseren“ Haltungsformen 3 (mit Außenklima) und 4 (Premium) allerdings nur sehr selten.

Mit anderen Worten: Es sind vor allem die Verbraucher, die sich für ein Mehr an Tierwohl einsetzen können. Und zwar indem sie nur selten Fleisch essen, dafür aber dann das deutlich artgerechter gehaltene Weidehuhn beim Bauern nebenan kaufen, anstatt beim abgepackten Fleisch im Supermarkt täglich zuzugreifen – auch wenn das Weidehuhn deutlich teurer ist. Und wer sagt, es schmeckt aber einfach zu gut, vor allem im Sommer zur Grillsaison, der sollte sich vielleicht doch noch einmal die Bilder von den Rindern auf der Al Kuwait anschauen. Dabei kann einem nämlich wortwörtlich der Appetit vergehen.

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