Ein weites Feld

Immer weniger Betriebe, immer größere Höfe, tendenziell grün: Die Landwirtschaft in Deutschland befindet sich seit langem im Wandel.

Illustration: Sophie Mildner
Illustration: Sophie Mildner
Frank Burger Redaktion

Traktorkolonnen vor dem Brandenburger Tor, Kuhmist vor dem Elbtunnel, blockierte Innenstädte: Seit Dezember protestieren Bauern gegen die geplante Abschaffung der Vergünstigungen für Agrardiesel und die Einführung von Kfz-Steuern auf landwirtschaftliche Fahrzeuge. Der Umwelt- und Nachhaltigkeitswissenschaftler Heiner Schanz glaubt das allerdings nicht. „Hinter den Bauernprotesten steht das Gefühl einer fehlenden gesellschaftlichen Wertschätzung der Landwirtschaft“, sagt der Professor für Environmental Governance an der Universität Freiburg. Große Teile der Bevölkerung hingen einem romantisch verklärten Bild von Landwirtschaft nach – wie die Wirklichkeit aussieht, zeigt ein knapper Überblick.

Dazu genügt es zunächst mit offenen Augen umherzugehen, denn ungefähr die Hälfte der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt, das sind etwa 17 Millionen Hektar. Diese Größe hat sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert, die Nutzungsstruktur dagegen sehr: Der Anteil von Wiesen und Weiden ist stetig zurückgegangen und liegt heute bei 29 Prozent, Ackerland macht 70 Prozent aus, der Rest entfällt auf Sonderkulturen wie Wein und Obst, so das Statistische Bundesamt.

Die Dominanz des Ackers hängt zusammen mit einem wesentlichen Merkmal des Strukturwandels in der Landwirtschaft: immer weniger Höfe, die dafür immer größer werden. Im Jahr 1975 gab es 904.000 Betriebe, 2023 waren es nur noch 255.000. Und während 2007 noch rund 33.000 Betriebe mit weniger als fünf Hektar Nutzfläche existierten, hat sich ihre Zahl bis heute fast halbiert. Im gleichen Zeitraum wuchs die Zahl der Höfe mit einer genutzten Fläche von 200 bis 500 Hektar um fast 70 Prozent – vor allem solcher, die mit hohem Maschineneinsatz große, zusammenhängende Ackerflächen bewirtschaften. Dementsprechend weniger menschliche Arbeitskraft wird gebraucht: In den frühen 1970er-Jahren verdienten mehr als drei Millionen Menschen ihr Geld auf Bauernhöfen, heute sind es 876.000. Das sind knapp zwei Prozent aller Erwerbstätigen. Ähnlich klein ist der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt: 1,2 Prozent.

Auf rund 60 Prozent aller Äcker wächst nach Angaben des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft Weizen, Mais und Gerste, die gesamte Getreideernte belief sich im vergangenen Jahr auf 38,2 Millionen Tonnen – nach Frankreich ist Deutschland in der EU der zweitgrößte Getreideproduzent. Dabei fällt auch für den Export etwas ab: 2020 hat die hiesige Landwirtschaft 9,3 Millionen Tonnen Weizen ausgeführt, damit lag Deutschland auf Rang neun der weltweit größten Weizenexporteure. Rechnet man alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse zusammen, lag Deutschland 2022 sogar auf Platz vier der Agrarexporteure, Waren im Wert von 92,6 Milliarden US-Dollar gingen ins Ausland. Ein weiterer Trend ist der Rückgang der Nutztierbetriebe. Im Jahr 2000 zählte das Statistische Bundesamt noch 126.000 Schweinehaltungsbetriebe, 2022 waren es nur noch 16.900, das ist ein Minus von fast 87 Prozent. Im gleichen Zeitraum ging die Zahl der Rinderhalter von 219.500 auf 129.000 zurück, die der Hühnerhalter von 125.000 auf 49.400. Bei allen drei Nutztierarten ist jedoch die Zahl der Tiere pro Betrieb stark gestiegen – auf die Probleme für das Tierwohl, die sich daraus ergeben können, weisen Kritiker der konventionellen Landwirtschaft immer wieder hin.


Der Gegenentwurf, ökologischer Landbau, gewinnt stetig an Bedeutung. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hält fest, dass Ende 2021 14 Prozent aller Höfe ökologischen Landbau nach EU-Recht betreiben, sie nutzen dabei 10,9 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche.
Bis 2030 peilt Landwirtschaftsminister Cem Özdemir einen Flächenanteil von 30 Prozent an – und für Bauern kann sich die Umstellung auf ökologischen Landbau lohnen: Das durchschnittliche Einkommen eines Öko-Hofes lag 2021 um 6.000 Euro über dem eines vergleichbaren konventionellen Betriebs.

Ob konventionell oder ökologisch, das Wirtschaftsjahr 2022/2023 war für die Bauern in Deutschland einträglich: Der durchschnittliche Gewinn eines Hofes stieg auf ein Rekordergebnis von 115.400 Euro, so der Deutsche Bauernverband, das ist ein Zuwachs von 45 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Die gute Bilanz beruht auf einem Zwischenhoch der Preise für Milch, Fleisch und Getreide, die allerdings schon wieder sinken. Schwankende Erlöse sind für Bauern Alltag wie die Unwägbarkeiten des Wetters. Doch die häufigen Dürren und Starkregenfälle der vergangenen Jahre gehen zusehends an die Substanz und unter die Haut. Bei einer Befragung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft unter 2.300 europäischen Landwirten kam heraus: Die meisten betrachten den Klimawandel als eine der größten Herausforderungen. Denn Extremwetter können komplette Ernten und damit Existenzen vernichten.

Zum Vergleich: Die Abschaffung der Agrardieselbeihilfe würde jeden deutschen Landwirtschaftsbetrieb jährlich durchschnittlich 2.883 Euro kosten.

 

Der Bauer erscheint in der Jungsteinzeit


Vor rund 12.000 Jahren, am Ende der letzten Eiszeit, begann der Mensch sich von der bisherigen Lebensweise als nomadischer Jäger und Sammler abzuwenden und Landwirtschaft zu betreiben – „Neolithische Revolution“ nannte das der australische Archäologe Vere Gordon Childe in den 1930ern, nach aktuellem Stand der Forschung ging der Wandel allerdings nicht disruptiv vonstatten, sondern war die Folge eines längeren Wechselspiels mehrerer Faktoren, unter anderem Klimawandel, Wanderungsbewegungen und Anpassung an örtliche Lebensbedingungen.

Archäologische Untersuchungen legen nahe, dass Getreide zuerst im so genannten „Fruchtbaren Halbmond“ im Mittleren Osten und im heutigen China kultiviert wurde, in Bolivien wurden vor mehr als 10.000 Jahren bereits Maniok und Kürbisse angepflanzt. Aus Anatolien und dem Irak gibt es Belege, dass dort zu dieser Zeit auch Schafe und Ziegen gezüchtet wurden – möglicherweise sowohl als Lieferanten von Milch und Fleisch als auch zur Unterstützung bei der Arbeit auf dem Acker.

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