Und welche Rolle spielen dabei Galerien, Auktionshäuser, Kunstmessen und Sammlungen? Eine Bestandsaufnahme.
Frauen in der Kunst! Das klingt nach Aufbruch, nach dynamischem Fortschritt, nach Gleichberechtigung und somit erstmal: gut! Immer lauter werden in den letzten Jahren Stimmen in der Öffentlichkeit, die mehr Repräsentanz von Künstlerinnen und ihren Werken in Ausstellungen, Galerien und Sammlungen fordern. Man wünscht sich mehr weibliche Führungspositionen in den Häusern selbst, an den Kunsthochschulen und Universitäten. Und scheinbar tut sich einiges.
Der jährlich erscheinende Kunstkompass des Magazins Capital listet unter den hundert Top-Aufsteigern aktuell 52 Frauen, unter den Top-5 der erfolgreichsten lebenden Künstler sind zwei Frauen vertreten: Rosemarie Trockel (Platz drei) und Cindy Sherman (Platz fünf). Im vergangenen Jahr machte das britische Art Review Magazin die Künstlerin Hito Steyerl zur einflußreichsten lebenden Künstlerin weltweit. Der deutsche Pavillon auf der Venedig Biennale wird, nach dem erfolgreichen Kuratorin-Künstlerin Gespann Susanne Pfeffer und Anne Imhof aus dem Jahr 2016, auch in diesem Jahr wieder von zwei Frauen, der Kuratorin Franciska Zólyom und der Künstlerin Natascha Sadr Haghighian, bespielt. Und die Tate Britain in London widmet ihre permanente Ausstellungsfläche ab April 2019 für ein Jahr ausschließlich weiblichen Positionen, in der Hoffnung, durch einen radikalen Einschnitt mehr weiblichen Künstlerinnen auf einen Schlag ein Forum zu bieten.
Es scheint, es ist vieles in Bewegung geraten, aber zugleich sind Frauen in musealen Sammlungen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert. Und während rund sechzig Prozent aller Galerien weltweit von Frauen geführt werden, sind es weitaus mehr männliche Künstler, die es nach wie vor in die Shows und Messestände schaffen. Wo stehen wir also wirklich beim aktuell so viel diskutierten Thema „Women in Art“?
Es ist ein Tag im März 2019 in New York, in der Galerie The Hole, einem angesagten Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst im Stadtteil Soho. Gerade läuft die Planungen für eine große Gruppenausstellung zum Thema Postdigitale Kunst. Rund fünfzehn Positionen werden gezeigt, mindestens die Hälfte sollen Frauen sein. Kathy Grayson, Inhaberin und Direktorin der Galerie, ist seit vielen Jahren erfolgreich im Geschäft. Trotz aller Bemühungen eines gleichberechtigten Galerierepertoires, sagt sie, sei der faire Ausgleich nicht immer leicht. „Die Realität ist doch jene, das man als Galerist zeigen will, was sich erfolgreich verkaufen lässt. Insofern muss man bei den Sammlern ansetzen, denn die bestimmen mit viel Kapital tatsächlich den Markt, nicht die Museen, und auch nicht die Galerien selbst. Würde man es schaffen, eine Öffentlichkeit zu schaffen, für Sammler, die verstärkt weibliche Kunst sammeln, könnte man etwas bewegen. Denn Sammler orientieren sich mit Vorliebe aneinander“, erklärt sie. Immer häufiger werde sie gezielt gefragt, welche weiblichen Positionen die Galerie im Angebot habe. „Und das ist der richtige Weg. Je mehr Sammler eine ausgeglichene Sammlung haben, desto mehr Galerien werden dem folgen, so sind die Regeln des Marktes.“
Neben Sammlern, Ausstellungshäusern und Galerien bestimmen heutzutage Großveranstaltungen den Kunstbetrieb. Eine solches Event ist das Gallery Weekend in Berlin, das jährlich an einem Wochenende im April Sammler und allgemein Kunstinteressierte in die Hauptstadt lockt, um dort, gebündelt, das aktuelle Programm der einzelnen Ausstellungsräume erfahrbar zu machen. In diesem Jahr stand die Veranstaltung in der Kritik, über die Galerien verhältnismäßig mehr männliche als weibliche Positionen zu zeigen. Aber lassen sich derartige Events, die ja aus vielen eigenständigen Galerien bestehen, durch einen Dachverband überhaupt reglementieren? Maike Cruse, die seit 2014 das Gallery Weekend leitet und, auch die Kunstmesse art berlin verantwortet, hat die Entwicklungen im Berliner Kunstbetrieb in den vergangenen Jahren entschieden mitbestimmt. „Beim Gallery Weekend zeigen wir in diesem Jahr dreißig Prozent Künstlerinnen, in den letzten Jahren waren wir bei vierzig Prozent“, erklärt sie und gibt zu bedenken: „Wir laden die Galerien ein, die den Künstler oder die Künstlerin ihrer Wahl zeigen. Die Quote ist also ein reines Zufallsprodukt. Steuern kann man die Ausgewogenheit nur, wenn man kuratiert, wie zum Beispiel im Talkprogramm oder in der kuratierten Sektion ‚Salon‘ letztes Jahr auf der art berlin, da waren weit mehr Frauen als Männer beteiligt. Und so sind viele der jungen aufstrebenden Künstler*innen des diesjährigen Gallery Weekend weiblich.“
Während Cruse vor allem in der Repräsentanz der Künstlerinnen und Künstler in öffentlichen Museen einen starken Nachteil sieht, glaubt sie, dass in den nächsten zehn Jahren eine deutliche Entwicklung im Bereich der Ausstellungslisten aber auch der Führungspositionen zu erkennen sein wird. Handlungsbedarf sieht sie allerdings bei einer leider nach wie vor spezifisch frauenbezogenen Herausforderung: „Ich habe oft – leider auch in meinem eigenen Werdegang – beobachten müssen, dass Frauen, sobald sie Mütter werden, ausgebootet werden.“
Nach wie vor scheint es gerade im Hinblick auf Frauen in Führungspositionen im Kunstbetrieb eine deutliche Unausgewogenheit zu geben. Laut einer Erhebung des Deutschen Kulturrats aus dem Jahr 2016 zur Geschlechtergerechtigkeit in der Kunstwelt sind rund 60 Prozent der Studierenden an deutschen Kunsthochschulen weiblich, im Fach der Kunstwissenschaft sind es sogar achtzig Prozent. Aber auch wenn bei den Lehrkräften der Anteil von Frauen steigt, sind nur rund fünf Prozent in leitenden Positionen tätig. Und während in den Kunstinstitutionen maßgeblich Frauen den Betrieb in Mitarbeiterrollen stemmen, beträgt der der Anteil der Museumsdirektorinnen in Deutschland gerade einmal rund ein Drittel.
Diandra Donnecker hat im Alter von 30 Jahren Anfang 2019 als Partnerin und Geschäftsführerin gemeinsam mit Micaela Kapitzky die Leitung des Auktionshaus der Villa Grisebach mit Sitz in Berlin und New York übernommen. In ihrem Gebiet wird sie oft als Ausnahme wahrgenommen. Viele Artikel über sie beschäftigen sich, vor ihrer fachlichen Kompetenz, mit Äußerlichkeiten. „Die meisten Einstiege in ein Gespräch und auch die meisten Artikel behandeln mein Alter, mein Aussehen und die Tatsache, dass ich weiblichen Geschlechts bin. Ich muss darüber schmunzeln“, berichtet sie. Um gleich danach anzufügen, so verrückt sei ihr progressiver Werdegang nun doch auch nicht. Schließlich gäbe es zahlreiche junge Frauen, die Abteilungen und Firmen anführen.
Dennoch empfindet Donecker, die nach dem Kunstgeschichtsstudium ans MET nach New York und anschließen zu Christie’s in London ging, dass es ihren Mitstreiterinnen selbst noch oft an Selbstbewusstsein mangele. „Ein Mann tritt doch oft viel tougher und mit mehr Chuzpe auf“, erklärt sie. „Meine Haltung ist also: Lasst uns mal diese ganzen Selbstzweifel aufgeben, und eben nicht Männer für diese Herausforderung adressieren, sondern bei uns selbst beginnen und dem Bild, das man von sich selbst macht.“ Womit sie einen wichtigen Punkt anspricht, denn während die jahrhundertelange Diskriminierung von Frauen im Kunstbetrieb maßgeblich von männlicher Seite geprägt wurde, müssen auch Frauen ihren Blick auf die Kunstwelt ändern, ihre Rolle selbstbewusst erkennen und progressiv an einem Strang ziehen, um sich zu emanzipieren und von Fremdbestimmung frei zu machen. Das gilt für die Künstlerin ebenso wie für die Frau im Kunstbetrieb.
Die Künstlerinnen des Performance-Kollektivs Guerilla Girls, die seit den Achtzigerjahren als feministische Bewegung in ihrer Kunst die Benachteiligung von Frauen in der Kunst anprangern, sagten vor einigen Jahren, es gehe nicht darum zu fragen: „Warum gibt es im westlichen Kunstkanon nicht mehr große Künstlerinnen?“, sondern: „Warum werden nicht mehr Frauen im westlichen Kunstkanon als große Künstlerinnen anerkannt? Es ist also an der Zeit, die Gegenwart nicht von der Geschichte bestimmen zu lassen, sondern zukunftsweisend nach vorne zu denken.