In welchen Bereichen müssten sie ihre Innovationsfähigkeit verbessern?
"Die Welt ist im Aufbruch, sie wartet nicht auf Deutschland“, sagte der Bundespräsident Roman Herzog in seiner legendären „Ruck“-Rede, die er vor 20 Jahren hielt. Seine Rede fiel in eine Zeit, in der die Arbeitslosigkeit in Deutschland hoch war, die Dynamik der Wirtschaft gering. Die Stimmung war düster, es herrschte Perspektivlosigkeit. Die Deutschen waren verzagt.
Heute ist manches ganz anders: Die Arbeitslosigkeit befindet sich auf einem historischen Tiefstand, die deutsche Wirtschaft wächst. Die ZEW-Konjunkturerwartungen für Deutschland haben sich im November 2017 schon wieder verbessert, der Index ist um weitere 1,1 Punkte gegenüber dem Vormonat gestiegen. „Der Ausblick für die deutsche Wirtschaft ist nach wie vor erfreulich positiv. Das auch für Europa insgesamt hohe Wachstum im dritten Quartal unterstützt das weitere Wachstum in Deutschland und beflügelt die Erwartungen für die nächsten sechs Monate“, so ZEW-Präsident Achim Wambach.
Kühne Zukunftsvisionen nur in Asien?
Er ergänzt: „Die gute konjunkturelle Situation sollte dafür genutzt werden, die Grundlagen für zukünftiges Wachstum robuster zu machen.“ Deutschland geht es also gut, veraltet ist Roman Herzogs Aussage aber nicht. Bevor er die Rede damals hielt, war der Bundespräsident von einer Reise durch Asien zurückgekommen. Er schilderte die „unglaubliche Dynamik“, die dort herrsche. „Staaten, die noch vor kurzem als Entwicklungsländer galten, werden sich innerhalb einer einzigen Generation in den Kreis der führenden Industriestaaten des 21. Jahrhunderts katapultieren. Kühne Zukunftsvisionen werden dort entworfen und umgesetzt, und sie beflügeln die Menschen zu immer neuen Leistungen.“
Würde er heute durch Asien reisen, würde Roman Herzog nicht minder beeindruckt in das alte Europa zurückkehren. China ist die wirtschaftlich stärkste Nation der Welt, es folgen die USA, dann wieder zwei asiatischen Nationen: Indien und Japan. Die Wachstumskraft im Osten ist immens. Entsprechend wachsen auch die Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft, betont die Expertenkommission Forschung und Innovation der Bundesregierung in ihrem Jahresbericht 2017. Die Kommission, die sich aus renommierten Wirtschaftswissenschaftlern verschiedener Hochschulen rekrutiert, würdigt zunächst zwar die Anstrengungen der deutschen Wirtschaft. Man sei dem Ziel, eine führende Rolle als Innovationsstandort zu spielen, „erheblich näher gekommen“. „Beachtliche Verbesserungen“ seien bei den öffentlichen und privaten FuE-Ausgaben erzielt worden, bei der Positionierung deutscher Forschungseinrichtungen und Hochschulen sowie bei der Modernisierung der deutschen Wirtschaft.
Innovation im Mittelstand
Das „aber“ folgt sogleich: Zufrieden könne Deutschland nicht mit sich sein. Vor allem der Mittelstand, dem der Ruf vorauseilt, besonders innovativ zu sein, müsse sich vorsehen, nicht den Anschluss an die Weltklasse zu verlieren. Nur 42,6 Prozent der deutschen KMU wiesen im Zeitraum von 2013 bis 2015 überhaupt „Innovationsaktivitäten“ auf, haben also Produkt- oder Prozessinnovationen eingeführt, so die Kommission. Zwar seien bei den Produkt- oder Prozessinnovationen deutsche KMU im Vergleich mit wichtigen europäischen Wettbewerbsländern führend, in Sachen Patentanmeldungen und Umsatz mit neuen Produkten kämen sie über einen Platz im Mittelfeld nicht hinaus.
Darüber hinaus sank die „Innovationsintensität“ der KMU auch noch, und zwar von 1,7 Prozent im Jahr 2006 auf 1,3 Prozent im Jahr 2014 - mit einem Anstieg auf 1,5 Prozent im Jahr 2015, ohne dass die Experten auf eine nachhaltige Trendumkehr schließen möchten. Vor allem junge Unternehmen sind weniger innovativ – trotz stabiler FuE-Ausgaben. Als einen Grund führen die Wissenschaftler die rückläufige Gründungstätigkeit in Deutschland an. Die Zahl der jungen Unternehmen insgesamt geht zurück.
Auch die Förderbank KfW beklagte in einer aktuellen Studie den Rückgang von Innovationen in kleinen und mittleren Unternehmen. Lag der Anteil der Innovatoren an den rund 3,65 Millionen mittelständischen Unternehmen in Deutschland im Zeitraum von 2012 bis 2014 noch bei 29 Prozent, waren es im zwischen 2013 und 2015 nur noch 22 Prozent. Dabei lag der Fokus vor allem auf Unternehmen mit weniger als fünf Mitarbeitern – sie verzichten vermehrt darauf, neue Produkte oder Dienstleistungen anzubieten.
Doch welches wären die Wachstumsfelder für innovationsstarke Unternehmen? Folgt man der Expertenkommission der Bundesregierung, liegen acht zentrale Handlungsfelder im Fokus. Nicht zufällig an erster Stelle nennt die Kommission das Themenfeld Klimawandel und Nachhaltigkeit.
„Forschung und Innovation könnten einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Klimaziele von Paris zu erreichen. „Das Politikziel der Dekarbonisierung der Wirtschaft muss daher auch in den Überlegungen der F&I-Verantwortlichen eine wichtige Rolle einnehmen.“ Die demografische Entwicklung belegt schon Platz zwei im Bericht: Die Alterung der Gesellschaft schaffe erhebliche Probleme für die Sozialversicherungssysteme und verstärke den Fachkräftemangel. Forschung und Innovation könnten für eine weiter alternde Bevölkerung Lösungen bereitstellen, um die Lebensqualität bis ins hohe Alter zu sichern und eine längere Mitwirkung im Arbeitsleben zu ermöglichen.
Digitalisierung, Energie, Mobilität
Erzeugen Innovationsprozesse Ungleichheit? Mit der Digitalisierung werden sich Berufsbilder verändern, das Risiko eines Arbeitsplatz- oder Wohlstandsverlustes erhöht sich für viele. Ohne geeignete Einbeziehung der Bevölkerung und eine Sicherung gerechter Teilhabe drohen Wissenschaft und Innovation mit wachsender Skepsis konfrontiert zu werden, warnt die Kommission. Schließlich sei die Gestaltung der zukünftigen Energieversorgung ein wichtiger Faktor, die Abhängigkeit von nicht erneuerbaren Energien müsse weiter gesenkt werden. „Es gilt, einen wirtschaftlich vernünftigen Pfad hin zur fast ausschließlichen Nutzung erneuerbarer Energien zu finden.“
Das Autoland Deutschland ist besonders von der Mobilitätswende betroffen. Der abzusehende globale Wandel von einer starken Ausrichtung an Automobilen hin zu multimodalen Systemen von Mobilitätsdienstleistungen, die Einführung der Elektromobilität, der beschleunigten Digitalisierung und dem Auftreten neuer Konkurrenz setzt die deutsche Industrie unter erheblichen Druck. Innovationen seien notwendig, um die Wettbewerbsposition deutscher Unternehmen zu erhalten und auszubauen. Überhaupt, der digitale Wandel: Deutschland sei darauf nicht hinreichend vorbereitet. In der Förderung werde der Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien immer noch nicht ausreichend berücksichtigt.
Agiler Staat ist gefragt
Die Kommission mahnt eine Weiterentwicklung des Europäischen Forschungsraums an, den Austausch von Wissenschaftlern, neue Innovationspfade und neue Prozesse. Der Wandel werde auch vor Ministerien und öffentlicher Verwaltung nicht Halt machen. „In Zukunft ist ein agiler Staat gefragt.“ Die Kommission schlägt vor, bis 2025 sukzessive 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für FuE-Aufwendungen einzusetzen, derzeit sind es knapp 3,0 Prozent.
Das Wagniskapital solle sich verdoppeln – auf 0,06 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt. Mindestens drei deutsche Universitäten sollten unter den 30 weltweit führenden etabliert werden. Die Fördermittel in der Digitalisierung sollten verdoppelt werden und bis 2025 solle die Bundesrepublik Deutschland anstreben, eine der weltweit führenden Infrastrukturen im Bereich der Breitbandvernetzung aufzuweisen.
Wirtschaftliche Chancen für die EU biete ausgerechnet der Brexit, so haben Experten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC gemeinsam mit dem ZEW herausgefunden. Danach gehen 54,1 Prozent der befragten Entscheidungsträger davon aus, dass sich aufgrund des Brexits der Handel zwischen der EU und China intensivieren wird. Beinahe zwei Drittel rechnen mit einer Zunahme des Handelsvolumens speziell für Deutschland. Die Konjunktur in China wird wieder als wachstumsstark bewertet – mit dem höchsten Wert seit 2014. Auch für die Zukunft zeigen sich die Manager optimistisch.
Bei aller Anstrengung: Mittelfristig wird den Deutschen im globalen Vergleich nur eine Nachzüglerposition bleiben: Noch steht Deutschland auf Platz fünf im Ranking der wirtschaftsstärksten Nationen der Welt – bis 2050 geht es aber deutlich bergab, so eine andere PwC-Studie. Demnach werden 2050 China und Indien noch weit vor den USA die größten Wirtschaftsmächte der Erde sein. Deutschland wird dann auf Platz neun stehen – im besten Fall.
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