Fachkräftemangel: Der Druck steigt

94 Prozent der Mittelständler spüren den Fachkräftemangel. Er ist Wachstumsbremse und Motivator für Veränderungen zugleich. Wandel: ja, aber wie?

Illustration: Christina Franco Roda
Illustration: Christina Franco Roda
Julia Thiem Redaktion

Er ist neben der zunehmenden Bürokratie und den stark gestiegenen Energiepreisen eine der größten Herausforderungen für den deutschen Mittelstand: der Fachkräftemangel. Zu dieser Erkenntnis kommt eine aktuelle Studie der Wirtschaftsprüfung Ebner Stolz in Zusammenarbeit mit der Finanzberatung Wolff & Häcker. Demnach habe der Fachkräftemangel noch einmal deutlich an Bedeutung gewonnen. Vor zwei Jahren hatten 72 Prozent der Unternehmen Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu finden. In der aktuellen Studie bewerten 94 Prozent den Fachkräftemangel als die zentrale Wachstumsbremse. Da verwundert es nicht, dass 88 Prozent der Befragten den Fachkräftemangel als das Handlungsfeld innerhalb des Geschäftsmodells identifizieren, das dem größten Veränderungsdruck ausgesetzt ist – ebenfalls eine deutliche Verschiebung der Priorität im Vergleich zur Umfrage 2021, heißt es von den Studienmachern. Die Situation am Arbeitsmarkt habe sich in nur zwei Jahren deutlich verschärft.

Die große Frage ist nur, wie solch zielführende Veränderungen für Unternehmen aussehen können, um die Lücke an Fachkräften zu schließen. Die Antwort ist möglicherweise eine zweigleisige Strategie: Erstens müssen die vorhandenen personellen Ressourcen auf dem Arbeitsmarkt besser genutzt werden. Diese Strategie verfolgt beispielsweise der TUI Konzern mit seiner „Initiative Quereinsteiger“. Bis 2030 will man ein Viertel aller ausgeschriebenen Stelle mit Menschen besetzen, die bisher keine Tourismus-Erfahrungen haben, diese dann gezielt qualifizieren, um die Qualitätsstandards halten zu können. „Mit der ‚Initiative Quereinsteiger‘ öffnen wir TUI stärker für Bewerbende, die unsere Begeisterung für die Touristik teilen, neue Kompetenzen mitbringen und so für frische Perspektiven im Unternehmen sorgen“, sagt Frank Jakobi, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats der TUI AG.

Zweitens gilt es, die vielen weiblichen Arbeitskräfte wiederzugewinnen, die dem Arbeitsmarkt aufgrund von Elternzeit und anderen Care-Tätigkeiten verloren gehen. Hier müssen Unternehmen deutlich flexibler werden und neue Technologien einbinden. So könnten Ärztinnen, aber auch Pflegefachkräfte dank neuer telemedizinischer Lösungen Patienten flexibel von zu Hause betreuen, Vitaldaten überwachen oder organisatorische Aufgaben wie das Schreiben von Befunden oder Arztbriefen erledigen.

Denn gerade im Gesundheitswesen ist der Fachkräftemangel besonders deutlich zu spüren.
Darüber hinaus soll mit einer qualifizierten Zuwanderung gegen den Fachkräftemangel im Land angegangen werden. Am 18. November ist Stichtag für das neue Fachkräfte-Einwanderungsgesetz der Ampel-Koalition, das stufenweise in Kraft treten soll. Hierfür müsste sich aber vor allem die Willkommenskultur ändern, wie zahlreiche Studien immer wieder belegen. Zudem vergeben Länder wie Kanada, Australien oder Neuseeland über ein Punktesystem dauerhafte Aufenthaltstitel, während es in Deutschland „nur“ ein Visum zur Arbeitsplatzsuche gibt. Wie attraktiv das wirklich ist – auch aufgrund der deutlich höheren Sprachbarriere im Vergleich zu den oben genannten Ländern – bleibt abzuwarten. 
 

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