Größer, höher, weiter

Trotz aller Schwierigkeiten bleibt die Türkei ein starker Wachstumsmarkt. Der Neue Flughafen Istanbul, der Anfang 2018 in Betrieb geht, wird ihre ökonomische Kraft weiter stärken.
Illustration: Malte Müller
Illustration: Malte Müller
Mirko Heinemann Redaktion

Schon die nackten Zahlen machen Eindruck: 2.000 Flugzeuge sollen hier jeden Tag starten und landen. Im Vergleich: In Frankfurt am Main sind es 1.300. Der Neue Flughafen Istanbul, so der Arbeitstitel, soll bei seiner Eröffnung im Februar 2018 der größte Flughafen der Welt sein. Die Chancen sind groß, dass damit auch die Metropole am Goldenen Horn an ihre einstige Bedeutung als Umschlagplatz an der Seidenstraße anknüpfen kann. Und die Türkei einen neuen Wachstumsschub erhält.

Mehr als 350 Destinationen sollen angeflogen werden, rund 250 Fluglinien ihre Repräsentanz dort eröffnen. Die Anbindung an den neuen Flughafen wird bereits vor seiner Eröffnung durch eine neue Bosporusbrücke, einen Hochgeschwindigkeitszug und zahlreiche neue Autobahnen und Schnellstraßen gewährleistet sein. Binnen der letzten zehn Jahre ist die Zahl der aktiven Flughäfen in der Türkei bereits von 25 auf 55 gestiegen. Die Zahl der nationalen und internationalen Passagiere sei von 25 Millionen auf 180 Millionen pro Jahr gewachsen, sagte der türkische Verkehrsminister Ahmet Arslan kürzlich der türkischen Zeitung Daily Sabah. Mit dem dritten Istanbuler Flughafen soll sich diese Zahl noch einmal mehr als verdoppeln (siehe Infografik).

Das alles sind Superlative, die dem Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in der Bevölkerung den Rücken stärken. Dass nicht die aktuelle politische Situation den Ausschlag für einen Erfolg des neuen Flughafens geben wird, sondern seine Wirtschaftlichkeit, liegt auf der Hand. Der Markt Ostasien, allen voran China, hat einen unaufhaltsamen Aufstieg hinter sich und wird von westlichen Unternehmen als Produktionsstätte und inzwischen auch als Zielmarkt eifrig genutzt – trotz staatlicher Einflussnahme und politischer Unsicherheiten vor Ort. Bei der Türkei wird es kaum anders sein.

So irritiert Westeuropa auf die jüngst durchgeführte erfolgreiche Abstimmung zur Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei reagierte, so eindeutig ist in der Türkei das Primat der Ökonomie zu erkennen. Die Türkei entwickelt sich von einem Agrarland hin zu einem Industrieland, mit allen Vor- und Nachteilen. Neue Arbeitsplätze entstehen vor allem in den Städten. In Istanbul wie in allen urbanen Zentren wird gebaut, was das Zeug hält. Immer mehr Menschen tauschen ihre ärmliche Hütte auf dem Land gegen eine moderne Wohnung in einem Hochhaus am Rand einer der Metropolen ein, mit allen Annehmlichkeiten: Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel und die Versorgung auf allen Ebenen, von den täglichen Einkäufen bis hin zu einer besseren Gesundheitsversorgung. Die Urbanisierung geht freilich mit einer starken Landflucht einher.  

Die Entwicklung zeigt sich in einem rasanten Wirtschaftswachstum, das in den letzten Jahren zwischen drei und acht Prozent pro Jahr betrug. Selbst das vergangene Jahr wird ein starkes Wachstum verzeichnen, Schätzungen liegen bei knapp drei Prozent. Und das, obwohl es nach Putschversuch im Sommer 2016 einen historischen Einbruch bei den Touristenzahlen gegeben hatte. Im 1. Quartal 2017 wurde laut dem türkischen Statistikamt sogar ein Plus von fünf Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal erreicht – eine Gegenreaktion auf vorherige Einbrüche, zugleich aber auch ein Hinweis auf die „außergewöhnliche Widerstandsfähigkeit der türkischen Wirtschaft“, wie Timothy Ash vom Finanzdienstleister BlueBay Asset Management erklärte. Der wichtigste türkische Aktienindex ISE 100 stieg im 1. Halbjahr 2017 um knapp 30 Prozent.

Größer, höher, weiter, so scheint hier die Devise zu lauten. Nicht umsonst wird die Türkei von manchen Ökonomen als „zweites China“ bezeichnet. Das Wirtschaftswunder ist Grundlage der stabilen Zustimmung, die der herrschenden konservativen AKP und ihrem Präsidenten Erdogan in der Bevölkerung zugesprochen wird, trotz – oder gerade wegen – seines autokratischen Regierungsstils. Je ferner ein Beitritt zur Europäischen Union rückt, desto stärker orientiert sich die Türkei gen Osten. So hat sie kürzlich einem Antrag auf engere Zusammenarbeit mit der so genannten „Shanghaier Organisation“ gestellt, der neben China und Russland die vier zentralasiatischen Länder Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan angehören.

Mit dieser Neuorientierung könnte die Türkei einen neuen Wachstumsschub erhalten. So bedauerlich aus politischer Sicht die Abkehr der Türkei von europäischen Werten empfunden werden mag, so erfolgreich könnte sie aus ökonomischer Sicht sein. „Die Türkei könnte der chinesische Brückenkopf nach Europa werden“, prognostizierte jüngst die FAZ. In dieser Entwicklung ist der neue Flughafen Istanbul ein wichtiger Faktor. 
 

Neuer Flughafen Istanbul
 

+ Das Konsortium IGA baut nördlich von Istanbul den dritten Flughafen der Metropole, Arbeitsname: Istanbul Yeni Havalimanı (Neuer Flughafen Istanbul). Die Eröffnung ist Anfang 2018 geplant.

+ 150 Millionen Passagiere pro Jahr sollen hier ein- und umsteigen.

+ Laut derzeitiger Schätzung liegen die Baukosten bei umgerechnet rund 32 Mrd. Euro.

+ Sechs Start- und Landebahnen befinden sich auf einem Gelände von rund 9.000 Hektar. Damit wäre der Neue Flughafen Istanbul zum Zeitpunkt der Eröffnung der größte Flughafen der Welt, noch vor dem Atlanta International Airport. Er soll Drehkreuz zwischen Asien und Europa werden und steht damit in Konkurrenz mit den Großflughäfen auf der Arabischen Halbinsel.

+ Um eine gute Erreichbarkeit des Flughafens zu gewährleisten, wurde im März 2016 eine dritte Brücke im Norden des Bosporus eröffnet und zahlreiche Fernstraßen neu gebaut. Ein weiteres flankierendes Projekt ist der geplante, rund 50 Kilometer lange Istanbul-Kanal, der den Bosporus entlasten soll.

 

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