Design mit Mehrwert für Mensch und Umgebung

Design als Lösung für gesellschaftliche Herausforderungen? Die Niederlande zeigen, dass das geht und laden zu einer Inspirationsreise ein.
Cube Design Museum in Kerkade zeigt Design, das die Welt verändert.
Cube Design Museum in Kerkade zeigt Design, das die Welt verändert.
Niederlande Beitrag

21 deutsche Designberater, Entscheidungsträger und Journalisten waren auf sozialem Streifzug durch die Niederlande. Denn dort ist man Vorreiter bei sozialem Design, das auf gesellschaftliche Veränderungen abzielt und Mehrwert für Mensch und Umwelt bietet. Organisiert vom Verband der niederländischen Kreativwirtschaft und den niederländischen Botschaften in Wien und Berlin ging es darum, den Nachbarn zu zeigen, was es heißt, bis 2020 zur kreativsten Volkswirtschaft Europas zu werden. Das nämlich haben sich die Niederländer auf die Fahne geschrieben. „Beim Social Design geht es nicht darum, was wir machen, sondern wie wir es machen“, bringt es Jann de Waal, Sprecher des Verbands der niederländischen Kreativwirtschaft, auf den Punkt. „Social Design kann außerdem nur mit einer gewissen Offenheit funktionieren. Denn wie kann etwas ‚sozial’ sein, wenn nur eine kleine Gruppe Zugang zu grundlegendem Wissen hat?“

Erste Station der Innovationsreise war Eindhoven und die diesjährige Dutch Design Week mit ihrem Schwerpunkt Social Design. An der Design Academy in Eindhoven gibt es bereits seit einigen Jahren einen speziellen Social-Design-Studiengang. In der Stadt wird Social Design aber auch schon direkt gelebt. Ein Beispiel: Die Eindhovener Wohnungsbaugenossenschaft Woonbedrijf, wo Designer und Bewohner bereits seit Jahren bei der Suche nach Lösungen für Probleme, die in Wohnvierteln aktuell sind, zusammenarbeiten. „Entscheidungsträger und Sachbearbeiter gehen in ihrem Denken häufig von Problemen aus, Designer dagegen von Lösungen. Sie haben eine andere Perspektive“, erläutert Rob Boogaarts von Woonbedrijf.
 

Mündige Mieter
 

Boogaarts zufolge führt für Wohnungsbaugenossenschaften kein Weg am sozialen Design vorbei. Die Mieter werden mündiger. Sie kennen ihr Viertel gut und wissen daher mehr von den dort bestehenden Problemen als Beamte, die meist viele Kilometer entfernt in ihren Büros sitzen. Was spricht also dagegen, Anwohner, Nachbarschaftsorganisationen und Designer an einen Tisch zu bringen, um soziale Probleme zu lösen oder neue Möglichkeiten auf dem Gebiet des nachhaltigen Wirtschaftens und der wachsenden Sharing Economy zu schaffen? „Ich bin von der Stärke des Design Thinking überzeugt. Dabei versucht man, auf Grundlage von Iterationen gemeinsam immer bessere Lösungen zu erarbeiten. Ganz egal, ob es um ein Produkt, eine Dienstleistung oder etwas Anderes geht. Straßenbeleuchtung für mehr Sicherheit – super Idee, aber wie setzt man so etwas genau um? Wie viele Stunden am Tag soll sie eingeschaltet sein? Oder warum sollte eine Wohnung nicht mit ihren Bewohnern mitwachsen können, damit diese in ihrem Viertel bleiben können?“
 

Offenheit und Transparenz


Wunderbar, so eine Zusammenarbeit zwischen Bürgern, Designern und Behörden. Aber dann müssen auch alle Zugang zu denselben Daten und Informationen haben, erklärte Marleen Stikkers den Teilnehmern der Inspirationsreise. Sie ist Gründerin der Amsterdamer Waag Society, einer Brutstätte für kulturelle und soziale Innovationen, und stand an der Wiege des öffentlichen Internets in den Niederlanden. „Bereits seit der Gründung unseres Unternehmens 1994 ist Offenheit einer unserer Schwerpunkte. Offene Technologie, Open Data und Open-Source-Software wie auch -Hardware“, erklärt die Unternehmerin. Um diese Offenheit ist es mit dem bevorstehenden Internet der Dinge momentan schlecht bestellt. „Das Internet ist sozusagen kaputt, weil wir ihm nicht mehr vertrauen. Auf jeder Ebene gibt es Hintertüren, durch die Dritte einem über die Schulter blicken können“, findet Stikkers. „Der Wert, den das Internet für Investoren hat – Stichwort Risikokapital –, überflügelt den Wert für gesellschaftliche oder soziale Fragen, obwohl genau die bei der Technologieentwicklung im Mittelpunkt stehen sollte.“

Kurt Kapp war beeindruckt von der hohen Designkompetenz in den Niederlanden. Er ist leitender Beamter für Arbeit und Wirtschaft in der Landeshauptstadt München. Er weiß: In Deutschland misst man hierarchischen Strukturen vergleichsweise viel Bedeutung bei. Ordnung und Struktur sind wichtig. Die Letztverantwortung wird nicht gern abgegeben. Allerdings hat auch dies die Inspirationsreise für ihn noch einmal verdeutlicht: „Das Internet und die sozialen Medien haben die Welt transparent gemacht. Die Menschen können sich online organisieren. Sie wollen mitreden und mitmachen, und sie haben auch die nötigen Mittel.“ Diese Entwicklung könne und wolle man nicht ignorieren, sie erfordere ein anderes Konzept für Verwaltung und Entwicklung. Kapp: „Wir brauchen engagierte Bewohner, um unsere Stadt zu gestalten.“

Auferstehung eines Viertels
 

Besonderen Eindruck machte auch die imposante Markthalle in Rotterdam auf die Teilnehmer der Reise. Entworfen wurde die vom namhaften Rotterdamer Architekturbüro MVRDV. Jan Knikker von MVRDV hatte bei der Planung nicht unbedingt soziale Aspekte im Hinterkopf. Allerdings sagt er: „Wenn eine Idee, mit der man ein Stadtviertel durch ein neues Design verbessern kann, als Social Design gilt – ja, dann fällt die Markthalle in diese Kategorie. Das Gebäude ist lebendiger Mittelpunkt eines Viertels, das bis dato eher tot war.“

Der niederländische Mut und die Vorreiterrolle sind sogar bis über den großen Teich bekannt. Auch in New York hat man nach Hurrikan Sandy verstanden, dass Prävention besser ist als Instandsetzung. Um die Stadt also künftig vor Wasser zu schützen, wurde der niederländische Spitzenbeamte und Wasserexperte Henk Ovink eingeschaltet. Er beschloss, einen Design-Wettbewerb zu initiieren. Ganze 140 Teams haben sich daran beteiligt. Vier der sechs Gewinner kamen – wen wundert es – aus den Niederlanden. Was an ihren Beiträgen auffiel: ihr integrierter Ansatz, der Ovink zufolge typisch niederländisch ist. Richtig mutig fand auch New Yorks Bürgermeister De Blasio diesen Ansatz und alle Ideen, für die fast 60 Milliarden US-Dollar aus öffentlicher Hand bereitgestellt wurden.
 

Eindrücke sacken lassen


Nach der viertägigen Inspirationsreise müssen die Teilnehmer die vielen Eindrücke noch ein wenig sacken lassen. Social Design, nein, davon sieht Nils Bader, Gründer und Geschäftsführer von White Lobster, einer Beratungsagentur mit Schwerpunkt Innovation und Kommunikation für nachhaltige Produkte und Dienstleistungen, noch nicht viel in Deutschland. Er kann es aber kaum erwarten, bis die ersten Fallbeispiele eine stille Social-Design-Revolution in Deutschland in Gang setzen. Diese holländischen „Huisjes“, ja, die könnten das unterstützen. Und gut zu wissen, dass in München Anfang dieses Jahres die Creative Embassy MUC-AMS ihre Tore geöffnet hat. München und Amsterdam werden in den kommenden Jahren nicht nur Wissen austauschen, sondern vor allem auch bei der Lösung großstädtischer Probleme zusammenarbeiten – eine echte Kollaboration, für die mittlerweile ein „Letter of Intent“ unterzeichnet wurde. Dabei geht es nicht um Gebäude oder Baumaterialien, sondern um Menschen und Projekte, um gegenseitige Hilfe. Das erste soziale Projekt in Deutschland scheint also bereits angelaufen zu sein.
 

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