Volldampf voraus!

Deutschland befindet sich im Hochkonjunkturfieber. Doch wie stark die deutsche Industrie von der Weltwirtschaft abhängt, zeigte sich jüngst bei der Abwertung der chinesischen Währung. Kein Grund zur Besorgnis?
Wachstumsstrategien
Illustration: Adrian Bauer
Mirko Heinemann Redaktion

Der Schreck sitzt den Anlegern noch in den Knochen. An den Börsen in Shanghai und Peking ging es im Sommer massiv abwärts. Nach der Abwertung der chinesischen Währung Renminbi griff die Furcht vor einem Einbruch der Gesamtwirtschaft um sich. Furcht wurde zur Panik, zunächst in China, dann weltweit. Wie ein Flächenbrand ergriff die Panik die Börsen in Tokio, Frankfurt, New York, jeden Tag steigerte sie sich. Auf einen Dunklen Donnerstag folgte ein Schwarzer Freitag, auf den wiederum ein Panic Monday. Am Ende musste der Dax die Gewinne eines ganzen Jahres abgeben.  


Muss sich das exportorientierte Deutschland jetzt auf schlechtere Zeiten einstellen? China im Abschwung, das ist vor allem an der Börse ein Grund zur Schwarzmalerei. Die Industrieverbände hingegen, allen voran der Bundesverband der deutschen Industrie BDI, geben sich optimistisch. Die deutsche Wirtschaft sei robust, und dass deutsche Produkte jetzt in China teurer würden, müsse nicht heißen, dass sie sich auch schlechter verkaufen. „Die meisten Produkte der deutschen Industrie konkurrieren nicht beim Preis, sondern bei der Qualität“, erklärt BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber. Die Auftragseingänge der deutschen Industrie zeigen zudem: Das schwächere China-Geschäft wird kompensiert durch eine hohe Nachfrage aus den USA, Großbritannien und den europäischen Nachbarstaaten.

BDI-Hauptgeschäftsführer Kerber ruft daher zu mehr Anstrengungen auf, um die Robustheit zu erhöhen, etwa durch die Erschließung neuer Märkte sowie die Stärkung des europäischen Heimatmarkts und der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen.


Zwar lag der Ursprung der chinesischen Wachstumsschwäche nicht im Konsum, sondern im Immobilienmarkt, doch die Lage erinnert fatal an das Platzen der Spekulationsblase in den USA, die den Beginn der jüngsten Weltwirtschaftschaftskrise signalisierte. Und dazu kommt die Krisenstimmung in vielen anderen Schwellenländern. Die Wirtschaft in den so genannten BRIC-Staaten, die als vielversprechende Absatzmärkte für Produkte „Made in Germany“ gelten, läuft nicht rund: Brasilien, dem die Kanzlerin im Sommer einen Kurzbesuch abstattete, versinkt in einer Depression. Russland schadet mit seinem Boykott europäischer Produkte zwar vor allem sich selbst, aber durch das Embargo der Europäischen Union ist auch hier das Geschäft massiv eingebrochen. Zahlen aus dem Maschinen- und Anlagenbau von diesem Frühjahr zeigten einen Rückgang des Exportgeschäfts um knapp 30 Prozent. Bereits im vergangenen Jahr waren die Ausfuhrzahlen um 17 Prozent gesunken. Nur Indien macht einen gefestigten Eindruck: Auf dem Subkontinent wird massiv in die Infrastruktur investiert. Unter manchen Ökonomen wird das Land bereits als das „neue China“ gehandelt.


Wegen der Krise in den Schwellenländern hat der Deutsche Industrie- und Handelskammertag DIHK seine Erwartungen für die Weltwirtschaft in diesem Jahr nach unten korrigiert. Die auf Basis einer Umfrage der Außenhandelskammern erstellte Prognose für die Konjunktur weltweit liegt nun bei 3,2 Prozent. Zuvor hatte der DIHK mit einem Plus von 3,6 Prozent gerechnet. Auch der IWF hatte vor wenigen Wochen seine Wachstumsprognose zurückgeschraubt –  auf 3,3 Prozent. Im April hatte der IWF noch 3,5 Prozent vorhergesagt. Der IWF macht allerdings vor allem die USA für die niedrigeren Erwartungen verantwortlich. Die Volkswirte vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln rechnen für Deutschland mit einem BIP-Wachstum von 2,25 Prozent in diesem Jahr, 2016 sollen es weniger werden. Als Gründe werden unter anderem der absehbar steigende Ölpreis und der gesetzliche Mindestlohn genannt, der den Lohnkostendruck erhöhe. All dies führe dazu, dass sich das Wirtschaftswachstum merklich abschwächt.

»Die gute Stimmung zeigt sich auch in den aktuellen Börsengängen.«


Die Stabilitätsanker der deutschen Wirtschaft bilden umso mehr die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Vor allem die rund 1.500 so genannten „Hidden Champions“, Weltmarktführer auf ihrem Gebiet, sind laut Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung „eine zentrale Säule der deutschen Wirtschaft“. Eine aktuelle Studie zeigt, dass diese Unternehmen zu 86 Prozent in industriellen Sektoren und zu 14 Prozent in Dienstleistungsbranchen aktiv sind. Fast ein Viertel von ihnen ist im Maschinenbau tätig, gefolgt von der Elektronikindustrie mit 10,5 Prozent.


Laut ZEW-Studie sei die gute Marktposition der Hidden Champions auf ihre starke „Innovationsorientierung“ zurückzuführen. „Über 80 Prozent der Hidden Champions haben in den zurückliegenden drei Jahren Produkt- oder Prozessinnovationen eingeführt“, so Christian Rammer, stellvertretender Forschungsbereichsleiter am ZEW und Mitautor der Studie. „Das sind zehn Prozent mehr als bei vergleichbaren Unternehmen ihrer Größe. Gleichzeitig sind die Hidden Champions bei ihren Innovationsprozessen effizienter.“ Bei ähnlich hohen Forschungs- und Entwicklungsausgaben erzielen Hidden Champions höhere Umsatzerträge durch Innovationen. Das geht einher mit einer stärkeren Fokussierung auf kontinuierliche Forschung und der häufigeren Vergabe von Forschungs- und Entwicklungsaufträgen an Dritte.
In der Gesamtwirtschaft zeigt sich indes eine stockende Bereitschaft, in die Forschung zu investieren. Trotz der boomenden Konjunktur seien die Unternehmen in Deutschland offenbar nicht dazu bereit, ihre Ausgaben für Forschung zu erhöhen, klagt etwa der Stifterverband. Sein Frühindikator für Forschung und Entwicklung erreicht für 2015 einen Wert von 0,36 – das sei nur wenig mehr als 2014 mit 0,34. Zudem liege er weit unter den guten Jahren 2010/2011.


Für einen grundsätzlichen Pessimismus gibt es indes keinen Grund. Die gute Stimmung in der Wirtschaft zeigt sich auch in den aktuellen Börsengängen: Bayer Material Science, die Kunststoff-Sparte des Pharma- und Chemieherstellers, wurde in Covestro umbenannt und an die Börse gebracht. Mit dem Börsengang des Spin Offs wollte Bayer bis zu 2,5 Milliarden Euro einsammeln. Auch das Internethandelsportal Scout 24 müsste in diesen Tagen an der Börse notiert sein. Entsprechende Planungen gibt es bei EDAG, Zulieferer für die Auto- und Luftfahrtindustrie aus Wiesbaden. Die Erstnotiz des Ingenieurdienstleisters ist noch in diesem Jahr ge-plant. Und Ceramtec, ein Anbieter von technischer Keramik, das dem Finanzinvestor Cinven gehört, habe die Bank of America und Morgan Stanley mit den Vorbereitungen zum Börsengang beauftragt, verrieten Insider dem Handelsblatt. Die IPOs werden den Blick zurück aufs Wesentliche lenken: die Chancen am Standort Deutschland.

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