Der siebte Sinn

Die Fahrzeuge erkennen selbstständig Gefahren und warnen sich gegenseitig. Schon bald werden die Hersteller ihre Fahrzeuge mit solchen Car2X-Systemen ausstatten.
Siebte Sinn
Siebte Sinn
Kai Kolwitz Redaktion

Wenn es sich hinter der Kurve plötzlich staut. Wenn es ohne Vorwarnung glatt wird. Oder wenn nach einem Unfall die beteiligten Fahrzeuge quer auf der Autobahn stehen. Solche plötzlich auftretenden Beeinträchtigungen gehören zu den gefährlichsten Situationen im Straßenverkehr. 

 

Diese Szenarien dürften bald viel von ihrem Schrecken verlieren. Denn bald werden nachfolgende Fahrer von Informationen profitieren können, die der Verkehr weiter vorn auf der Strecke bereits hat. Sensoren im Auto registrieren Daten wie Lenkmanöver, starke Bremsungen, Position zur Fahrbahn oder eingeschaltete Warnblinker – und wenn die Werte auf eine Gefahrensituation hindeuten, wird der nachfolgende Verkehr per Funk alarmiert, etwa durch einen Warnton und ein Gefahrensymbol im Display. 

 

„Car2Car“-Kommunikation nennt man dieses Konzept. Der Begriff „Car2X“ hat sich eingebürgert, wenn Autos auf diese Weise mit Infrastruktur kommunizieren, wenn etwa Ampeln per Funksignal verraten, wie lange sie noch grünes Licht geben wollen, oder wenn Parkplätze selbstständig melden, dass sie frei sind. An beiden Arten der Kommunikation wird schon seit Jahren geforscht. Ein großer Modellversuch in Hessen ergab bereits 2013, dass die Systeme im Prinzip bereit sind für die Praxis. „Mit ,Car2X’-Technologie ausgestattete Fahrzeuge haben ein deutlich größeres ,Sichtfeld’ als herkömmliche“, zog Projektkoordinator Christian Weiß seinerzeit zum Abschluss sein Fazit.

 

Einen volkswirtschaftlichen Mehrwert von mehr als elf Milliarden Euro errechneten die Verantwortlichen des Versuchs simTD (Sichere Intelligente Mobilität Testfeld Deutschland), aufgeteilt auf gespartes Geld durch vermiedene Unfälle und auf eine geringere Umweltbelastung. 

 

An simTD beteiligt waren die Hersteller Mercedes, Opel, Audi, BMW, Ford und VW sowie mehrere große Zulieferer. „Car2X“- und „Car2Car“-Systeme dürften daher in den kommenden Jahren zum Standard in allen Neuwagen werden. Mercedes bietet schon seit 2013 ein Vorreitersystem namens „Drive Kit Plus“. 

 

Im Moment werden die Details der Technik ausgearbeitet. Unter anderem ist Sicherheit ein großes Thema: Denn solche Systeme bedeuten, dass das Auto der Zukunft permanent online sein wird. Die Hersteller müssen daher auf den Datenschutz schauen – und zum anderen die Frage klären, wie man die Kommunikationssysteme gegen Angriffe sichern kann. 

 

Wie kann man sicherstellen, dass kein Hacker manipulierte Daten ins System einspeist und damit falsche Reaktionen auslöst? Viele Autobauer haben mit dem Thema „Kommunikationssicherheit“ schon unangenehme Erfahrungen gemacht. Zuletzt stellte sich bei BMW heraus, dass per manipuliertem Mobilfunksignal die Türen von Autos geöffnet werden konnten. Vorher schon war es Studenten gelungen, sich in die Elektronik eines Tesla Model S einzuhacken.

 

BMW konnte die Sicherheitslücke zügig per Online-Update schließen. Und auch sonst zeigt das Beispiel der Computerbranche, dass sich Sicherheitsprobleme in den Griff bekommen lassen, wenn sich einmal ein Bewusstsein dafür entwickelt hat. Aber in das Thema muss Arbeit investiert werden.

 

Bleibt bei der Einführung von „Car2Car“ und „Car2X“ noch ein Henne-Ei-Problem zu lösen: Erst wenn der Mehrwert erkennbar ist, werden viele Autofahrer die Systeme kaufen – und erst, wenn sie in vielen Autos verbaut sind, werden sie ihren ganzen Wert demonstrieren können. Die Macher von simTD empfehlen daher, erst einmal in kommunizierende Infrastruktur zu investieren. Den Anfang könnten Baustellenwarner für die Autobahn machen – die können überall da aufgebaut werden, wo gebaut wird, und der Nutzen wäre schnell erkennbar. Auch „Car2Car“ für Einsatzfahrzeuge von Polizei oder Feuerwehr wäre denkbar, sie wären dann nicht mehr nur von Blaulicht und Martinshorn abhängig. Klar ist jedenfalls: Kommunikation ist praktisch immer von Vorteil. Auch dann, wenn sie zwischen Autos stattfindet.

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