Luftnummer oder Geniestreich

Zur Zukunft der Mobilität gibt es viele Ideen und Konzepte.
Illustration: Wyn Tiedmers
Illustration: Wyn Tiedmers
Jörg Peter Urbach Redaktion

 

Findige Ingenieure, Erfinder und exzentrische Milliardäre setzen auf Innovationen wie Hyperloop, Flugtaxi und Robocars. Was ist noch Vision und welche Projekte könnten schon bald Wirklichkeit sein?

 

Das Zukunftsinstitut betrachtet den Megatrend Mobilität als „riesiges Spielfeld für innovative Lösungen“. Damit ist der Mobilitätssektor für Visionäre wie Tesla-Gründer Elon Musk hochattraktiv. Der Multimilliardär bringt nicht nur mit seiner Idee autonom fahrender Elektroautos die Platzhirsche der Branche ins Schwitzen, sondern treibt bereits die nächsten revolutionären Projekte voran. Innovative Fortbewegungsmittel lösen sich von bestehenden Verkehrsinfrastrukturen. Beim Gütertransport eingesetzte Drohnen, der Transport von Passagieren in sogenannten Flugtaxis, Züge in luftleeren Röhren - all dies gibt einen Fingerzeig auf mögliche neue und Erfolg versprechende Wege in der Mobilität.

 

Hyperloop – alte Idee, ultramoderne Technik

 

Bereits 1810 tüftelte der Erfinder George Medhurst an einem Konzept, Wagen mit Druckluft durch Eisenröhren zu schießen. Bis in die 1960er-Jahre gab es zahlreiche Versuche, vergleichbare Transportsysteme zu entwickeln, die allerdings an technischen Hürden und an den Kosten scheiterten. Seit Elon Musks Whitepaper „Hyperloop Alpha“ (2013) steht das Thema wieder auf der Agenda. Als Hyperloop wird dort ein Transportmodus beschrieben, bei dem Kapseln für Passagiere oder Güter, angetrieben von linearen Induktionsmotoren, mit einer Geschwindigkeit von bis zu 1.200 km/h auf Luftkissen durch fast luftleere Röhren „schweben“.

 

Bildlich gesprochen ist ein Hyperloop ein Zug, den man in eine Röhre steckt. Durch das Vakuum in dieser Röhre gibt es kaum Luftwiderstand. Und weil der Zug auf Magnetfeldern gleitet, auch keinen Reibungswiderstand. Dadurch erreicht er sehr hohe Geschwindigkeiten bei gleichzeitig großer Energieeffizienz. Zudem soll sich der Hyperloop über Solarmodule auf den überirdischen Röhrensystemen selbst mit Energie versorgen. Seit Musks Startschuss arbeiten weltweit mehrere Organisationen an der Verwirklichung und Kommerzialisierung der Hyperloop-Idee. Vorn mit dabei ist HyperloopTT. Primäres Ziel ist die Entwicklung der Technologie, die dann als Lizenz für den Betrieb verkauft werden soll. Das Modell des niederländischen Start-ups Hyperloop Hardt soll 2022 in den Testbetrieb gehen, bis 2025 Güter und bis 2028 Passagiere auf fünf innereuropäischen Strecken befördern. Dank innovativer Spurwechseltechnologie, über die Transportkapseln das Netz bei vollem Tempo verlassen und wieder befahren können.

 

Kritiker sehen im Hyperloop keinen Nutzen gegenüber Hochgeschwindigkeitszügen. So seien die Umsetzung der Unterdruckerzeugung sowie Temperatureinflüsse auf das Röhrensystem problematisch. Zudem sei der Bau hundert Kilometer langer Röhren nur schwer durchsetzbar.

 

Den Entwicklern zufolge lässt sich die Technik noch in diesem Jahrzehnt realisieren. Dafür braucht es allerdings eine neue Infrastruktur. Die Voraussetzungen dafür werden gerade geschaffen. So haben EU-Behörden der Erstellung gemeinschaftlicher technischer Standards und regulatorischer Voraussetzungen Anfang 2020 zugestimmt. Und noch eine weitere Hürde hat das Projekt bereits genommen: Es ist versicherungsfähig.

 

Flugtaxi – mal kurz in die Luft gehen

 

Wer 2018 in Deutschland das Wort „Flugtaxi“ nur öffentlich erwähnte, erntete Häme. Keine drei Jahre später wird das Thema sehr konkret. Zahlreiche Global Player arbeiten mit Hochdruck an Lösungen. Das Marktpotenzial für autonome Fluggeräte in der Transportbranche ist gewaltig. Daher investieren nicht nur Automobilunternehmen, sondern auch Start-ups massiv in Flugtaxi-Technologien.

 

In Deutschland arbeitet das Start-up Lilium an einem Elektroflugzeug für sieben Personen. 36 schwenkbare Propeller erlauben senkrechtes Abheben und Landen. 300 Kilometer Reichweite werden angestrebt. Der Nasdaq-Börsengang im September 2021 gibt Lilium weiteren Schub – auch wenn Wissenschaftler die aktuell veröffentlichten Leistungsdaten des Senkrechtstarters bezweifeln. Airbus fokussiert sich auf den viersitzigen Multicopter „CityAirbus NextGen“. Die Features: acht elektrisch betriebene Propeller, autonom und emissionsfrei. Der Erstflug ist für 2023, die Zertifizierung für 2025 geplant. Das deutsche Start-up Volocopter entwickelt seit 2011 den gleichnamigen Multicopter, ein elektrisch betriebenes, mit 18 fest verbauten Rotoren ausgerüstetes, senkrecht startendes und landendes Fluggerät. Bereits 2024 will Volocopter zu den Olympischen Spielen in Paris kommerzielle Verbindungen anbieten.

 

Flugtaxis können insbesondere in Metropolregionen den Individualverkehr entlasten, aber auch als Unterstützung bei der medizinischen Versorgung in ländlichen Gebieten genutzt werden. Bevor Flugtaxis allerdings im Realverkehr starten können, müssen technische und regulatorische Hürden genommen werden. Denn autonomes Fliegen über (dicht) besiedelten Gebieten ist aktuell nicht vorstellbar und in Europa gibt es bisher keine einheitlichen, verbindlichen Regeln für Flugtaxis.

 

Zahlreiche Menschen begegnen Flugtaxis noch mit Vorbehalten. Laut internationaler Studie „Zukunft des Reisens“ wären 73 Prozent der Befragten „sehr oder zumindest ein wenig besorgt“, in einem Flugtaxi Platz zu nehmen. Doch wenn die Technik noch verlässlicher wird und autonome Flüge gesetzlich reguliert werden, steht einem Erfolg nichts mehr im Weg.

 

​Im gläsernen Tunnelbus – unterirdisch shutteln

 

Auch unter der Erde mischt Elon Musk kräftig mit: Zur Verkehrsentlastung der Metropole Chicago plante er 2016 eine unterirdische Vernetzung der Innenstadt mit dem Flughafen O‘Hare. Der Name der Lösung: Loop. Gläserne Elektroshuttles werden per Fahrstuhl von der Oberfläche unter die Erde transportiert. In Tunneln sollen sie dort die Passagiere in nur zwölf statt 40 Minuten mit bis zu 240 km/h ans Ziel bringen.

 

Das Ziel, 2019 die ersten Züge fahren zu lassen, verfehlte Musk, weil hohe Hürden bei Genehmigungen durch die Verwaltung von Chicago nicht genommen wurden. Im Mai 2019 verkündete Musk, dass modifizierte Teslas statt gläserner Shuttles auf Schienen durch den Tunnel rasen sollten. Für Chicago scheint das Projekt Loop zwar endgültig eingemottet zu sein, doch Musk startete neue, vielversprechendere Versuche in Las Vegas und Los Angeles.

 

Einige der vollmundig angekündigten Projekte von Elon Musk schrumpfen in der Umsetzungsphase auf ein Normalmaß. So auch der Loop, der momentan noch im unübersichtlichen Tunnelsystem der städtischen Verwaltungen steckenbleibt.

 

Der Wasserstoffzug – emissionsfrei unterwegs

 

Wasserstoff statt Diesel – das ist die Grundidee des vom französischen Transportunternehmen Alstom in Deutschland und Frankreich entwickelten weltweit ersten Personenzugs mit Wasserstoffbrennzelle. Der bis zu 140 km/h schnelle Coradia iLint ist also emissionsfrei unterwegs: In den Brennstoffzellen werden Sauerstoff und Wasserstoff in Strom umgewandelt und lediglich Wasserdampf und Kondenswasser abgegeben.

 

Die Highlights: geräuscharm, saubere Energieumwandlung, flexible Energiespeicherung in Batterien sowie intelligentes Management von Antriebskraft und verfügbarer Energie. Die Reichweite mit einer Wasserstofftankfüllung beträgt 1000 Kilometer. Alstom bietet nicht nur den Zug, sondern mit der Wartung und der Wasserstoffinfrastruktur ein Komplettpaket an. Die Geschichte des Wasserstoffzugs begann auf der Bahnmesse InnoTrans 2016 und nimmt seitdem rasant an Fahrt auf – auch gefördert durch das Wirtschaftsministerium. 2017 ging Alstom in den Testbetrieb und heimste 2018 den Green Mobility Award ein.

 

Im selben Jahr erhielt der Coradia iLint die Zulassung in Deutschland und nahm direkt den Fahrgastbetrieb auf. Die Wasserstoffzüge verkehren aktuell zwischen den Städten Cuxhaven, Bremerhaven, Bremervörde und Buxtehude. Seit September 2020 ist der Coradia iLint auch in Österreich unterwegs, Interesse besteht in Großbritannien, Italien und den Niederlanden. Ab 2024 soll der Coradia iLint auch im Personennahverkehr auf mehreren bayerischen Strecken verkehren.

 

Fahrerlose U-Bahnen – wie von Geisterhand

 

Fahrerlose U-Bahnen sind zwar noch kein Standard, aber auf dem Weg dorthin. Seit sich im französischen Lille 1983 die erste U-Bahn ohne Fahrer auf den Weg machte, ist in Sachen Technik und Infrastruktur eine Menge passiert. 2020 verkehrten bereits in 15 europäischen Städten fahrerlose U-Bahnzüge. Sie beförderten mehr als eine Milliarde Fahrgäste pro Jahr. In Deutschland fahren solche Züge in Nürnberg, Hamburg beginnt Ende 2021 mit dem Bau der dann fahrerlosen U-Bahnlinie U5. Immer mehr Städte springen auf den vollautomatischen Zug auf, denn die Erfahrungen aus fast 40 Jahren haben die Vorteile gerade in Zeiten knapper kommunaler Kassen unter Beweis gestellt. So sind fahrerlose U-Bahnen deutlich pünktlicher und in Stoß- bzw. Randzeiten flexibler einsetzbar. Eine höhere Taktdichte ermöglicht zusätzliche Fahrgastkapazitäten und durch optimierte Fahrprofile können bis zu 30 Prozent Energie eingespart werden.

 

Zugsteuerung und -sicherung der fahrerlosen U-Bahnen erfolgen zentral über die U-Bahn-Leitstelle. Dafür müssen Züge, Strecke und z.B. auch Stellwerke digital miteinander vernetzt werden. Eine dauerhafte Überwachung von Tempo und Abstand ist so möglich. Auch das Fahren, Anhalten und das Öffnen bzw. Schließen der Zugtüren übernimmt das System. Da sich der Umbau bestehender Linien aus Kostengründen kaum rechnet, bietet sich die fahrerlose Technik für allem für neue Linien an.

 

U-Bahnen sind als geschlossenes System prädestiniert für automatisiertes Fahren. Doch während die deutsche Automobilindustrie zwischen 2007 und 2017 satte 969 Millionen Euro Fördergelder für Forschung und Entwicklung erhielt, gingen im gleichen Zeitraum gerade einmal 16,4 Millionen Euro an die Schienenfahrzeughersteller und deren Zulieferbetriebe. Für einen flächendeckenden Ausbau fahrerloser U-Bahn-Systeme braucht es schlicht mehr Geld. Das Vertrauen der Fahrgäste haben sie bereits gewonnen.

 

Das Robotaxi – wozu noch ein Fahrer?

 

Es klingt nach Zukunft pur: Fahrgäste rufen per App ein autonom fahrendes Taxi und werden dann vom Robotaxi fahrerlos an ihr gewähltes Ziel befördert. Die Fahrzeuge verfügen über einen Elektroantrieb, Lasertechnik, hochauflösende 360-Grad-Kameras, Sensoren und eine über künstliche Intelligenz gesteuerte Software. Mit dem Robotaxi wäre die fünfte und letzte Stufe auf der Skala zum autonomen Fahren erreicht.

 

2009 gab das Google Self-Driving Car Projekt den Startschuss für ein Robotaxi. Heute ist die Google-Schwester Waymo verantwortlich, und die Zukunft sieht bereits nach Gegenwart aus. Insbesondere die Covid-19-Pandemie hat die Idee eines autonom fahrenden Taxis enorm befeuert. Mittlerweile haben fahrerlose Waymo-Testfahrzeuge in mehreren US-Bundesstaaten mehr als zehn Millionen Meilen auf öffentlichen Straßen und mehrere Milliarden Meilen in der Simulation zurückgelegt.  2022 möchte der Autovermieter Sixt in Kooperation mit der Intel-Tochter Mobileye in Deutschland einen autonomen Taxidienst mit selbstfahrenden Fahrzeugen anbieten. Möglich macht dies ein neues Gesetz, das autonome Fahrdienste auf Level 4 der fünfstufigen Skala erlaubt. Am Steuer sitzt aber weiterhin ein Fahrer.

 

Neben den extrem hohen technischen Anforderungen und den gesetzlichen Rahmenbedingungen geht es für die Anbieter von Robotaxi-Services in erster Linie darum, Passagiere für diesen neuartigen Service zu gewinnen. Laut einer Prognos-Studie im Auftrag des ADAC glauben 45 Prozent der deutschen Autofahrer nicht an die Verlässlichkeit der Fahrzeugtechnologie.

 

Für die urbanen Räume in Deutschland prognostiziert eine aktuelle Studie für das Jahr 2035 eine Flotte von 740.000 autonomen Taxis und Shuttles. Autonome Fahrdienste würden dadurch zum Hauptverkehrsmittel im urbanen Raum und wären bis zu 25 Prozent billiger als Fahrten mit dem eigenen Pkw.

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