»Abwarten ist keine Option«

Die Verkehrswende bedeutet weit mehr, als alle PKW auf E-Motoren umzustellen. Was wir brauchen, ist ein grundlegender Perspektivwechsel, weg vom privaten Auto, hin zu vernetzten Konzepten.
Illustration: Wyn Tiedmers
Interview: Klaus Lüber Redaktion

Was das für das Autoland Deutschland bedeutet und warum Fahrradfahren in der Stadt die beste Art der Fortbewegung ist, erklärt Weert Canzler, Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

 

Herr Canzler, kürzlich hat die Grünen-Bundestagsfraktion den Anteil von Elektrofahrzeugen in allen Bundesressorts abgefragt. Wissen Sie, was dabei herauskam?
Ja, ich glaube, so rund drei Prozent.

 

2,6 Prozent, um genau zu sein. Ist das nicht skandalös bei einer Regierung, die schon seit Jahren behauptet, Elektromobilität voranbringen zu wollen?
Zunächst einmal zeigt es, dass man das Thema bislang wohl einfach nicht ernst genug genommen hat. Gleichzeitig ist es aber auch ein Indiz dafür, dass man als deutsche Bundesregierung im Augenblick nicht bereit ist, ausländische Fabrikate einzukaufen. Denn das Angebot an deutschen E-Autos war und ist ja immer noch ziemlich überschaubar.

 

Das bestmögliche Szenario wäre es doch, einfach alle Diesel und Benziner durch Modelle mit Elektroantrieb zu ersetzen, oder?
Nein, so einfach ist das eben nicht. Dann hätten wir es nämlich immer noch mit 45 Millionen PKW zu tun, die unsere Straßen in Anspruch nehmen und städtischen Raum okkupieren. Denn das ist unser Hauptproblem: Wir haben einfach zu viele Autos. Und diese nutzen wir noch nicht einmal annähernd effizient, ...

 

... weil wir in der Regel mit halbleeren PKW durch die Gegend fahren?
Genau. Knapp 200 Millionen Sitzplätze stehen uns in Deutschland theoretisch zur Verfügung. Das muss man sich einmal vorstellen. Damit könnten im Grunde alle Deutschen, Holländer und Luxemburger gleichzeitig vorne sitzen, keiner müsste auf die Rückbank. Und das alles vor dem Hintergrund, dass selbst unter dieser Vollmotorisierung die Flotte immer weiter wächst, im letzten Jahr um 1,2 Prozent.

 

Die Elektrifizierung alleine bringt uns also nicht weiter?
Nein. Wirklich weiter kommen wir mit der Verkehrswende nur dann, wenn wir die Gesamtzahl der PKW reduzieren.

 

Und das soll funktionieren im Autoland Deutschland?
Das ist natürlich eine Herausforderung und verlangt ein gewisses Umdenken. Ich glaube aber, dass wir, vor allem in den großen Städten, nicht mehr sehr weit entfernt sind von einem generellen Perspektivwechsel. Zugegeben, der private PKW war lange ein unschlagbar bequemes Fortbewegungsmittel. Wir haben ja auch sehr lange alles dafür getan. Wenn man es sich genau überlegt, ist es doch absurd, dass man die Möglichkeit hat, sein Auto potenziell einfach irgendwo abzustellen. Aber das war eine ganz bewusste stadtplanerische Entscheidung, indem man zum Beispiel Bauherren eines öffentlichen Gebäudes dazu verpflichtet hat, immer automatisch für PKW-Stellplätze zu sorgen. Das hat dazu geführt, dass man als Autofahrer lange sicher sein konnte: man kommt nicht nur überall hin, sondern man kann sein Gefährt auch überall abstellen.

 

Aber in vielen Innenstädten ist das doch gar nicht mehr möglich, da werden Parkzonen für Anwohner definiert.
Das stimmt zwar, man kann das natürlich durch Parkraumbewirtschaftung regulieren. Aber trotzdem wird das ja eher als Ausnahme von der Regel wahrgenommen. Es müsste aber genau andersherum sein: Die Parkzonen müssten die Regel sein. Wer seinen PKW auf öffentlichen Flächen abstellt, muss entsprechend zusätzlich bezahlen. Das wäre der richtige Umgang mit öffentlichem Raum.

 

Im Grunde sagen Sie also, wir müssen unsere Städte unbequemer für Autofahrer machen.
Ja, so hart das auch klingen mag. Wobei das Autofahren in größeren Städten ja auch heute schon alles andere als bequem ist. Sie stehen viel zu oft im Stau. Und die ständige Parkplatzsuche kann einem ja auch den letzten Nerv rauben.

 

Also, angenommen, wir reduzieren die Anzahl von PKW in den Städten drastisch. Was heißt das dann für urbane Mobilität?
Das heißt vor allem, dass weniger Menschen mit ihrem privaten PKW unterwegs sind und stattdessen Sharing-Angebote nutzen. Das Carsharing ist ja inzwischen voll in den Städten etabliert und wird sehr gut angenommen. Manchmal zu gut, wenn man bedenkt, dass es manche zum Umstieg vom Fahrrad und öffentlichen Nahverkehr auf den Leih-PKW animiert. Starke Wachstumsschübe sind auch bei Bike-Sharing-Angeboten zu erwarten, ebenso in der Nutzung von Pedelecs und E-Scootern. Eigentlich ist das ja, neben dem klassischen Fahrrad, die ideale Fortbewegungsart in der Stadt.

 

Weil die Wege relativ kurz sind?
Bei fast der Hälfte aller Wege, die im urbanen Raum zurückgelegt werden, haben wir es mit Strecken unter fünf Kilometern zu tun, also ideal für das Fahrrad. Ein Großteil der Pendelstrecken belaufen sich auf unter 10 Kilometer, das können Sie wiederum sehr gut mit dem Pedelec bewältigen. Was an dieser Art der Fortbewegung im Augenblick leider nicht ideal ist, ist die Sicherheitslage. Sie werden Menschen nur dann zum Umstieg auf Fahrrad, Pedelec oder Scooter animieren, wenn sie das Gefühl haben, sie sind sicher unterwegs. Und das ist in vielen deutschen Städten im Augenblick noch nicht gegeben.

 

Wo liegt das Problem?
Das Problem liegt im Mangel an gut ausgebauten, abgetrennten Fahrradwegen, wie es sie beispielsweise in den Niederlanden gibt. Genau das ist nämlich auch das Geheimnis der dortigen Fahrradpolitik: eine eigene Infrastruktur für Fahrradfahrer, mit vier Meter breiten Wegen, damit sie selbst mit dem Lastenrad noch durchkommen, und einer besonders gestalteten Kreuzungssituation, wo man als Radfahrer in jedem Fall gesehen wird. Natürlich muss einem als Kommune klar sein: Das ist ein Verteilungskampf, das geht zulasten der Autofahrer. Es gehört Mut dazu, die Privilegien des Autos abzubauen. Trotzdem muss dieser Kampf geführt werden.

 

Wir haben bislang ausschließlich über die Verkehrswende im urbanen Raum gesprochen. Wie ist denn die Situation auf dem Land? Sollte und könnte man da auch zunehmend auf private PKW verzichten?
Nein, ich würde schon behaupten, dass das Auto auch auf längere Sicht alternativlos ist auf dem Land. Auch weil der öffentliche Nahverkehr hier nie dieselbe Rolle spielen wird wie in der Stadt. Er ist ja jetzt schon vor allem auf Schüler- und Auszubildendenverkehr beschränkt. Massiv ÖV-Transportmittel einzusetzen wäre betriebswirtschaftlich nicht darstellbar. Auch ökologisch übrigens nicht, denn man würde große Massen an Gewicht bewegen, um vergleichsweise wenige Menschen zu befördern. Trotzdem kann man sich natürlich vorstellen, die Effizienz des Autoverkehrs zu erhöhen. Beispielsweise durch Apps, die es möglich machen, Fahrzeuge öfter gemeinschaftlich zu nutzen. Ein weiteres lohnendes Mobilitätskonzept ist das sogenannte Hub-and-Spoke-Prinzip, das eigentlich aus der Luftfahrt stammt.

 

Was ist damit gemeint?
Die Idee ist: Man fährt mit dem Auto in die nächstgrößere Stadt und steigt dort dann auf den ÖV um. Dazu muss der PKW natürlich sicher abstellbar sein und die Tarife sollten entsprechend attraktiv gestaltet werden. Hierfür bieten sich wiederum Elektroautos an, die während ihrer Standzeit auch aufgeladen werden können – idealerweise an Carports am Bahnhof, die den Strom direkt über PV-Module beziehen. Egal, wie solche intermodalen Konzepte dann konkret umgesetzt werden, eines kann man glaube ich mit ziemlicher Sicherheit sagen: Mit dem PKW von außerhalb direkt in die Stadt zu fah-ren, ist kein Zukunftsmodell.

 

In solchen Szenarien ist immer von batteriebetriebenen E-Autos die Rede, die man dann, wie in Ihrem Beispiel, an den Ladesäulen eines Carports auflädt. Wäre nicht auch der Antrieb via Brennstoffzelle denkbar?
Sie haben recht. Es wird gerade wieder darüber diskutiert, ob man sich vielleicht zu stark auf die Batterie als Stromquelle fokussiert. Ich glaube, wir werden in Zukunft beides einsetzen: Batterien und Brennstoffzellen, letztere vor allem für große Fahrzeuge wie LKW oder Busse. Es ist eben nur so, dass wir derzeit große Fortschritte im Bereich der Batterietechnologie machen. Zum Beispiel, was die Reduktion problematischer Stoffe wie Kobalt angeht oder auch den Bereich Recycling. Da liegen wir EU-weit bereits bei Quoten von annähernd 100 Prozent. Hinzu kommt: Elektrofahrzeuge sind in der nächsten Stufe der Energiewende mehr als nur Fahrzeuge. Sie können auch, sobald sie am Stromnetz hängen, als Puffer und Speicher für Erneuerbare Energien fungieren.

 

Was bedeutet eine verstärkte Nachfrage nach Elektromobilität für die deutsche Automobilindustrie?
Sie muss sich umstellen, und zwar drastisch. Wenn der wichtigste weltweite Automobilmarkt, der chinesische, in absehbarer Zeit nur noch für E-Fahrzeuge zugänglich ist, dann muss man wohl oder übel handeln. Insofern ist das aktuelle intensive Engagement von VW, inklusive des massiven Zukaufs von technologischem Know-how, strategisch richtig. So hart das klingen mag, aber die deutsche Ingenieurskunst beim Verbrennungsmotor muss man abschreiben. Daran hängen zwar viele hochdotierte und -qualifizierte Fachkräfte. Aber Abwarten ist eben auch keine Option.

 

Zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft. Wann kommt das Robo-Taxi?
Auf keinen Fall in den nächsten Jahren, wenn überhaupt. Wir sehen ja gerade auf den Autobahn-Teststrecken, wie anspruchsvoll autonomes Fahren ist. Selbst in einer solchen, einigermaßen überschaubaren, Situation ist an völliges Abschalten im Sinne der Idee, man könne intensiv arbeiten oder gar schlafen, überhaupt nicht zu denken – ganz abgesehen vom ungleich komplexeren Stadtverkehr. Trotzdem wird es natürlich autonomes Fahren geben, zum Beispiel, um das Auto von der Ladesäule zur Haustür fahren oder sich einen Parkplatz suchen zu lassen. Auch für den Einsatz in einem selbstfahrenden Shuttle macht die Technologie Sinn – wenn wir es denn bald einmal schaffen, diese für den öffentlichen Raum zuzulassen.

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