Wer in Essen vom Hauptbahnhof aus zum Geschäftstermin in das Südviertel will, macht einen gefühlten Zeitsprung zurück. Keine 20 Meter hinter dem Hauptbahnhof verläuft die A40, auf der ein nicht enden wollender Strom aus Fahrzeugen unterwegs ist. Die Autobahn teilt die Ruhrgebietsmetropole in zwei Hälften. Von der Brücke über die Autobahn fällt der Blick auf ein Gewirr von Autobahnkreuzen, Ausfahrten und Ampeln. Über allem schwebt enormer Lärm und eine süßlich duftende Abgasfahne. Auf dem Hochhaus, das neben der Autobahnausfahrt steht, prangt dazu passend ein Werbeslogan: „Das Wir bewegt mehr.“
Das „Wir“ – das ist das Ruhrgebiet, der mit 5,1 Millionen Menschen zweitgrößte Ballungsraum Deutschlands. Und der bewegt sich hier vor allem mit Hilfe von fossilen Energieträgern. Nicht erst seit dem klischeebehafteten Siegeszug des Opel Manta in den 1980er-Jahren gelten die Menschen aus dem Ruhrgebiet als autoverrückt. Und die meisten fahren natürlich nach wie vor einen Verbrenner. Mit ungesunden Folgen für Luftqualität und Verkehrsfluss, der vor allem Pendlerinnen, Pendler und terminbewusste Geschäftsreisende regelmäßig in die Weißglut treiben kann: Stau, Stau und nochmals Stau. Kein Wunder, dass der ADAC regelmäßig die meisten Stillstände in Nordrhein-Westfalen meldet. Vor allem im Berufsverkehr: „Das Rheinland und das Ruhrgebiet sind dann ein einziger großer Stau“, so ADAC Verkehrsdaten-Spezialistin Susanne Hessel.
Und kein Wunder, dass Essen, Dortmund und Düsseldorf im Städte-Ranking von Greenpeace zur „nachhaltigen Mobilität“ auf den letzten Plätzen gelandet sind. Hier werden die meisten Wege mit dem Auto zurückgelegt, nämlich zwischen 43 (Düsseldorf) und 54 (Essen) Prozent. Das Ranking stammt von 2017, also aus der Zeit vor der Corona-Pandemie, die spätere Erhebungen verzerrt hat. Öffentliche Verkehrsmittel wurden in Pandemie-Zeiten eher gemieden, und aufgrund von Home Office und Ausgangssperren veränderte sich das Mobilitätsverhalten der Menschen generell. Geht man nun davon aus, dass es sich allmählich wieder an Vor-Corona-Zeiten angleicht, bilden die Greenpeace-Zahlen eine ganz gute Referenz.
Das Ranking der Umweltorganisation zeigt auch, wie es anders gehen könnte. Und da nennt es als Vorbilder Freiburg und Berlin. In Freiburg ist es vor allem der so genannte „Modal Split“, der die Umweltschützer begeistert: Nirgendwo werden weniger Wege mit dem Auto zurückgelegt, nämlich nur 24 Prozent. Und nirgendwo mehr Wege mit dem Fahrrad, nämlich 34 Prozent. Und auch die Business Class macht mit. Wohl nirgendwo in Deutschland sieht man mehr Anzugtragende auf dem Rad. Und die Stadt setzt weiter auf den Ausbau des Radwegenetzes.
In Berlin, dem mit 5,3 Millionen Menschen größten Ballungsraum Deutschlands, sind es die historischen Besonderheiten, die zu einer geringen Autodichte und einer vorbildlichen Nahverkehrsinfrastruktur geführt haben: Zu DDR-Zeiten konnten in Ost-Berlin zu wenige Menschen ein Auto kaufen, im von Mauern umgebenden West-Berlin war es kaum zu gebrauchen. Die Anzahl der Pkws relativ zur Bevölkerung steigt zwar seit der Wende stetig an, ist aber immer noch niedriger als in jeder anderen deutschen Großstadt.