Streng nach Vorschrift

Die Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft nimmt Fahrt auf. Doch noch immer behindern viele Regelungen die Energiewende.

Illustration: Danae Diaz
Illustration: Danae Diaz
Axel Novak Redaktion

Zum Beispiel in Tantow in Mecklenburg-Vorpommern. Hier sollte eine Windenergieanlage entstehen. Viele Behörden hatten dem Projekt schon zugestimmt. Doch weil die Anlage einige hundert Meter neben einem bronzezeitlichen Hügelgrab liegen soll, empfahl die untere Denkmalschutzbehörde, das Vorhaben abzulehnen. Für die Energiewende ist das ärgerlich. Für die Bauherren der Windkraftanlage eine Katastrophe, weil die Planungen schon sehr weit fortgeschritten waren. Und für die Windkraft-Branche erneut ein Beleg dafür, wie der Denkmalschutz als Vorwand genutzt wird, um Projekte der Energiewende zu verhindern.

Zehn Prozent aller Windkraft-Projekte werden republikweit durch den Denkmalschutz ausgebremst, haben die Berater von der Fachagentur Wind an Land ermittelt. Vielerorts stehen bürokratische Regelungen der Energiewende im Weg, und zwar auf allen Ebenen von der Planung eines Kraftwerks bis zur Anmeldung und Abrechnung. Allein in der Windkraft können bis zu sieben Jahre vergehen, bis aus einer Idee eine Anlage entsteht. 23 Monate beträgt die durchschnittliche Genehmigungsdauer. Ein aufwendiges Verfahren verlangt viele verschiedene Gutachten zu Natur- und Lärmschutz, zum Schattenwurf oder zum Denkmalschutz.
 

Ein Sammelsurium an Vorschriften
 

Ähnliche Erfahrungen haben Akteure in der Photovoltaik gemacht. Bis 2035 soll Strom in Deutschland nur noch aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden, dafür sollen bis 2030 Solaranlagen mit einer Gesamtleistung von 200 Gigawatt installiert sein. Doch die Planung für neue Anlagen ist schwer. Überbordende Regeln, analoge Prozesse und ein Sammelsurium unterschiedlichster technischer Normen vor Ort beklagt beispielsweise David Krehan vom Bundesverband Neue Energiewirtschaft (bne). Für die Branche gilt: Bürokratieabbau ist der zentrale  Hebel, um den dezentralen Ausbau der erneuerbaren Energiequellen zu beschleunigen. Im vergangenen Jahr legte der Verband deshalb eine ganze Reihe von Verbesserungsvorschlägen vor. Krehan sieht nun erste Anzeichen für eine Entschlackung der Zulassungsprozesse: „Es hat sich schon einiges getan. Seit 2022 wurde eine ganze Reihe von Regeln einfacher und weniger bürokratisch, zum Beispiel sind Fristen für die Inbetriebnahme deutlich verkürzt worden.“ 

Auch bei der Abnahme und beim Tarifieren des Stroms gibt es Veränderungen:  Die Bundesregierung hat das Messstellenbetriebsgesetz verändert. Künftig sollen intelligente Strommesssysteme – sogenannte Smart-Meter – unbürokratisch und schneller eingebaut werden können. Bis 2030 sollen alle Verbrauchsstellen in Deutschland mit Smart-Metern ausgestattet werden. Schon in zwei Jahren können Verbraucher von besonderen Tarifen profitieren: Sie nutzen dann Strom zum Beispiel für die Waschmaschine, wenn er in Zeiten mit hoher Erneuerbare-Energien-Erzeugung günstig zur Verfügung steht.

»Bürokratieabbau ist der zentrale Hebel, um den dezentralen Ausbau der erneuerbaren Energiequellen zu beschleunigen.«

Dennoch ist zu viel noch zu kompliziert. „Wir haben immer noch Bauchschmerzen, weil auch die Möglichkeiten der Digitalisierung noch nicht systematisch berücksichtigt werden“, sagt David Krehan. Das betrifft beispielsweise den Doppelaufwand von Anlagenbetreibern, sich sowohl beim Netzbetreiber als auch beim Marktstammregister der Bundesnetzagentur anzumelden.

Strom muss besser verteilt werden
 

„Stromerzeugung und -verbrauch müssen regional effizient koordiniert werden“, sagt Krehan. Dafür sind aber unter anderem die Verteilnetzbetreiber in Deutschland zuständig. Derzeit sind 865 Verteilernetzbetreiber in den verschiedenen Spannungsbereichen tätig. Das können sehr große Betriebe wie E.ON sein, aber auch kleine Betreiber, die im Auftrag einer Kommune tätig sind. Das hat für die Stadtwerke durchaus Vorteile, denn der Betrieb von Verteilnetzen ist einträchtig. Aus Sicht der Betreiber einer Energieanlage ist die Vielzahl an Netzbetreibern auch kein Problem, denn sie müssen sich immer bei regionalen Projekten auf das Regelwerk vor Ort einstellen. Aber Dienstleister, Projektierer und überregionale Anlagenbetreiber, die oft den Löwenanteil bei der Errichtung von Energieanlagen leisten, müssen viele Ressourcen darauf verwenden, die unterschiedlichen Vorschriften in den einzelnen Netzen im Blick zu behalten. „Das macht die Energiewende langsam, teuer und ineffizient“, sagt Krehan. Denn neben rund 10.000 energierechtlichen und technischen gesetzlichen Regelungen legen die Verteilnetzbetreiber zusätzliche Anforderungen an Anlagenbetreiber fest. Hinzu kommt, dass die Auslastung der Netze für viele Netzbetreiber im Dunkeln liegt. Die Digitalisierung der Netze hat daher – ebenso wie ihr Ausbau – hohe Priorität, so Krehan. Die gemeinsame Betriebsführung der Verteilnetze in regionalen leistungsfähigen Netzclustern könnte die Energiewende deutlich einfacher und effizienter machen, ist Krehan überzeugt.

Die Länder reagieren
 

Mittlerweile haben viele Landesregierungen reagiert und ihre Regelwerke angepasst. Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und NRW haben ihre Denkmalschutzgesetze geändert, damit Projekte in einem Zug geprüft und genehmigt werden können. Auch in anderen Bereichen sind sie aktiv geworden, zum Beispiel bei den Abstandsregelungen der Landesbauordnungen, um mehr PV-Module auf den Dächern von Privatleuten zu ermöglichen.

Doch wie vertrackt die Energiewende im Detail sein kann, zeigt ein weiteres aktuelles Beispiel. Selbst wenn eine Windkraftanlage genehmigt wurde, müssen ihre Bauelemente an den Aufstellungsort gebracht werden, als genehmigungspflichtiger Schwertransport. Dafür sind Zeitungsberichten zufolge 150 Genehmigungen erforderlich. Die zuständige bundeseigene Autobahn GmbH kann derzeit aber 15.000 Anfragen nicht bearbeiten, weil das Personal knapp ist. Viele Mitarbeiter sind derzeit damit beschäftigt, den Prüfprozess zu vereinfachen und zu beschleunigen.
 

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