Industrie 4.0: der Stand der Dinge

Vernetzte Anlagen, moderne Roboter und künstliche Intelligenz sollen die Effizienz von Produktionsstätten verbessern. Wie fortgeschritten ist die digitale Revolution in deutschen Fabriken tatsächlich? Welche Branchen haben die Nase vorn? Und welche Rolle spielt dabei die Größe der Unternehmen?

Illustration: Marcela Bustamante
Illustration: Marcela Bustamante
Jörg Klingele Redaktion

Der Begriff „Industrie 4.0“ geistert schon seit 13 Jahren durch die Welt der Wirtschaft. Gemeint ist damit das Verwenden von digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien, um Maschinen, Produkte und Menschen intelligent miteinander zu vernetzen. Dies soll – nach Dampfmaschine, Fließband und Computer – die vierte industrielle Revolution darstellen.
Die intelligente Vernetzung ermöglicht prinzipiell eine effizientere, flexiblere und nachhaltigere Produktionsweise. Zu verdanken ist dies vor allem den zahlreichen aktuellen Informationen, beispielsweise über Nachfrage, Verfügbarkeit von Ressourcen und Auslastung der Produktionsmaschinen, die – sinnvoll analysiert – zu optimierten Produktionsabläufen führen.


Schlagwort-Bingo

Wer sich mit solchen intelligenten Fabriken (oder „Smart Factories“) beschäftigt, der stößt unweigerlich auf weitere aktuelle technische Schlagworte: Internet der Dinge beispielsweise, 5G, digitaler Zwilling, Augmented Reality, Robotik und seit Kurzem künstliche Intelligenz.

Das Internet der Dinge – auch Internet of Things, IoT – ist eine Grundlage der intelligenten Fabriken: Die diversen Produktionsanlagen tauschen ihre Daten entweder über kabelgebundene Verbindungen aus oder aber sehr häufig drahtlos über 5G-Mobilfunk oder LPWAN-, WLAN- und Bluetooth-Varianten.

Ein digitaler Zwilling ist ein virtuelles Abbild eines realen Objekts oder Prozesses. Ein solcher Zwilling einer Produktionsanlage zum Beispiel erlaubt es, das Verhalten dieser Anlage unter verschiedenen Bedingungen zu testen, um den Produktionsablauf zu optimieren.

Augmented Reality (oder zu Deutsch: erweiterte Realität) erlaubt es, in die Darstellung der realen Welt zusätzliche Informationen, beispielsweise Montage- oder Wartungsanweisungen, einzublenden – entweder mit Hilfe einer Datenbrille oder aber einfach auf Tablets.

Im Zusammenhang mit Industrie 4.0 wird eine spezielle Art von Robotern immer wichtiger: die sogenannten Cobots, also kollaborative Roboter. Diese Roboter sind nicht nur für die Zusammenarbeit mit Menschen konzipiert, sondern sind auch vielseitiger als traditionelle Fertigungsroboter, was sich bei den flexiblen Produktionsabläufen der Industrie 4.0 als Vorteil erweist.
Auch künstliche Intelligenz spielt eine immer größere Rolle in smarten Fabriken – beim Analysieren von großen Datenmengen (beispielsweise um Lieferketten zu optimieren), bei der automatisierten Entscheidungsfindung, beim Erkennen fehlerhafter Produkte, beim Vorhersagen von Wartungsbedarf und nicht zuletzt beim Steuern von Industrierobotern.


Der Stand der Dinge

Wie weit ist der digitale Wandel in deutschen Fabriken bereits vorangekommen? Die Antwort darauf liefert das „Industrie 4.0 Barometer 2024“, herausgegeben von der Unternehmensberatung MHP gemeinsam mit der Ludwig-Maximilians-Universität München. Diese Studie vergleicht Unternehmen in der DACH-Region (Deutschland, Österreich und Schweiz), Großbritannien, den USA und China. 

Das Ergebnis: Der Einsatz digitaler Technologien nimmt von Jahr zu Jahr deutlich zu. Allerdings schneidet die DACH-Region in allen untersuchten Kategorien am schlechtesten ab. Die besten Ergebnisse kann China vorweisen.

Digitale Zwillinge ihrer Logistik beispielsweise verwenden in China 72 Prozent der Unternehmen. In der DACH-Region sind es lediglich 25 Prozent. Ähnlich sieht es aus beim Verwenden Künstlicher Intelligenz (94 Prozent in China, 20 Prozent in DACH). Lediglich zwei Prozent der Unternehmen in China setzen keine Roboter ein. In der DACH-Region dagegen trifft dies auf 41 Prozent der Unternehmen zu.

Das größte Hemmnis beim Einführen von Industrie-4.0-Technologien ist der Fachkräftemangel. Weitere wichtige Hindernisse: fehlende Kapazitäten wegen der Belastung durch das Tagesgeschäft, die Schwierigkeit, historisch gewachsene IT-Systeme einzubinden, sowie Zweifel bezüglich der Amortisierung.

Am meisten fortgeschritten ist die Digitalisierung hierzulande laut dem Digitalisierungsindex des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz im Fahrzeugbau. Auch die Branchengruppe Elektrotechnik und Maschinenbau schneidet gut ab. Die Gruppe „Grundstoffe, Chemie und Pharma“ und das sonstige produzierende Gewerbe dagegen erreichen nur unterdurchschnittliche Werte.
 

Wenig überraschend gibt es deutliche Unterschiede zwischen Konzernen und Großunternehmen einerseits und mittelständischen Unternehmen andererseits: Laut einer Studie des Branchenverbands Bitkom aus dem Jahr 2022 sehen sich 58 Prozent der Mittelständler als Nachzügler und nur 30 Prozent als Vorreiter der Industrie 4.0. Bei den großen Unternehmen sind die Zahlen etwa umgekehrt: 54 Prozent betrachten sich als Vorreiter, 37 Prozent als Nachzügler. Zumindest etwas Abhilfe schaffen können die 11 Milliarden Euro Wirtschaftsförderung, die die Bundesregierung 2024 für mittelständische Unternehmen bereitstellt, unter anderem für den Förderschwerpunkt Digitalisierung.


Digitale Transformation in der Praxis

Im Jahr 2020 hat Mercedes-Benz im baden-württembergischen Sindelfingen mit der „Factory 56“ eine der weltweit modernsten Autofabriken eröffnet – und dafür etwa 730 Millionen Euro investiert. Die Steuerung der Fabrik übernimmt eine Reihe von Computerprogrammen, die Echtzeitdaten von den über 30 Mercedes-Benz-Werken weltweit verarbeiten und den Mitarbeitern Arbeitsanweisungen papierlos auf Monitoren oder mobilen Geräten anzeigen. Das Unternehmen konnte in der neuen Fabrik die Flexibilität und Effizienz im Vergleich zu herkömmlichen Produktionsstätten „deutlich steigern“.

Etwas weniger Geld investieren musste wahrscheinlich die Vision Lasertechnik GmbH im niedersächsischen Barsinghausen. Bei diesem mittelständischen Hersteller von Lasersystemen kam es häufig zu störenden Wartezeiten oder gar Stillständen, weil Material fehlte oder aber weil Aufträge nicht effektiv verteilt wurden. Die Lösung dieses Problems: Das Unternehmen vernetzte alle Produktionsmaschinen. Die auf diese Weise gewonnenen Daten ermöglichen es einer künstlichen Intelligenz, die Aufträge effizient zu verteilen und automatisch Material anzufordern. Die Auslastung der Maschinen ließ sich dadurch von lediglich 60 Prozent auf über 90 Prozent steigern.

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