Smarte Lieferketten

Die digitale Transformation bietet große Chancen für die Logistikbranche – von autonom gesteuerten Transportmitteln bis hin zu optimiertem Lagermanagement. Doch noch wird die Technik kaum genutzt.
Illustration: Adrian Bauer
Illustration: Adrian Bauer
Axel Novak Redaktion

Das Öl der Zukunft ist digital? Das Bild stimmt nicht: Statt Ressourcenknappheit, wie beim Öl, steuern wir auf eine gigantische Welle von Daten zu. Wenn künftig nicht nur Menschen, sondern auch Maschinen permanent untereinander kommunizieren, sich Statusberichte schicken, Echtzeitdaten, Reparatur- und Wartungsanweisungen, flutet uns eine unvorstellbare Menge an Informationen. Allein Maschinen und Programme sind noch in der Lage, diese Datenflut zu bewältigen und in halbwegs sinnvolle Erkenntnisse zu verwandeln.

Dabei kann die intelligente Auswertung von Big Data Logistikern helfen, besser, schneller und nachhaltiger zu planen: Transparenz in Echtzeit und Big-Data-Analysen bieten durchgehend steuerbare und flexible Lieferketten, ohne Raum- und Zeitbeschränkung. Und das verlangen die Kunden: Industrie 4.0 setzt auf vollständig digitalisierte und automatisierte Lieferketten: Wenn sich „intelligente“ Waren selbst ihren Weg durch globale Logistikketten bahnen, durchdringt die digitale Transformation jedes einzelne Glied der Transportkette.

Autonome Lkw, intelligente Loks

Dazu gehört inzwischen auch der Lastwagen, mit mehr als 70 Prozent Transportanteil immer noch einer der wichtigsten Säulen des deutschen Güterverkehrs. In Zukunft sollen Lkw weitgehend selbststeuernd Waren von A nach B transportieren können. Wie gut das schon funktioniert, bewies Daimler im Frühjahr 2016. Der Automobilkonzern schickte drei selbstfahrende Fernverkehr-Lkw zu einer Testfahrt auf die A52 bei Düsseldorf. Die Fahrzeuge fuhren autonom und in einem genau definierten Abstand hintereinander her. Gesteuert wurden sie von einem intelligenten, radargestützten Assistenzsystem. Truck Platooning nennt sich das – und spart irgendwann nicht nur Personal in den Fahrerkabinen, sondern sorgt durch verkürzte Abstände von nur 15 statt 50 Metern für mehr Nachhaltigkeit: Der Luftwiderstand und damit auch der Verbrauch verringern sich erheblich.

Lastwagen stellen heute ihre GPS-Positionsdaten für das intelligente Flottenmanagement zur Verfügung und ermöglichen so eine effizientere Disposition von Frachtraum. Diese Angaben sind die Grundlage für sogenannte Zeitfenstermanagementsysteme. Mit ihnen steuern Industrie und Handel Zulieferungen an ihren Verladerampen am Lager oder Fabriktor. Dadurch reduzieren sich die Wartezeiten für Lkw und die Lieferzeiten der Spediteure können mit den Produktionsabläufen synchronisiert werden. Sogar der Personaleinsatz in den Hubs kann so besser geplant werden. Werden historische Daten um aktuelle typische Verlaufsmuster über den Betrieb an der Laderampe ergänzt, wird die Auslastung noch gleichmäßiger: Der Logistiker Schenker zum Beispiel hat mit dem Fraunhofer IML eine Software entwickelt, die Verspätungen bei der Warenanlieferung prognostizieren kann und automatisch vorschlägt, wie Engpässe durch veränderte Schichtpläne der Mitarbeiter verhindert werden könnten.

Auch die Eisenbahn hat die Zeichen der Zeit erkannt und setzt auf Digitalisierung. Im vergangenen Jahr hat die Güterbahn DB Cargo Prototypen von Loks erprobt, die mit einer Reihe von Sensoren ausgerüstet wurden. Anschließend testete die Bahn, ob sie die gewonnenen Daten so analysieren kann, dass sie auch wirklich von Nutzen sind – mit positivem Ergebnis: Nun sollen bis 2020 insgesamt 2.000 solcher intelligenter Loks europaweit im Einsatz sein. Eine zustandsorientierte Instandhaltung soll aus der übermittelten Datenflut automatisierte Vorhersagen über mögliche Schäden treffen: überschreiten Parameter der Lok zum Beispiel bestimmte Schwellenwerte, wird sie gewartet – auch wenn die offizielle Frist bis zur Wartung noch nicht abgelaufen ist. Das flexibilisiert den teuren Werkstattapparat und verhindert außerdem plötzliche Ausfälle. Ähnliches ist auch bei Waggons möglich. Werden sie mit Sensoren ausgerüstet, können nicht nur ihre Position, sondern auch Temperatur, physische Schocks, Ladezustände und andere wichtige Ereignisse in Echtzeit dokumentiert und verfolgt werden – selbst auf den viele tausend Kilometer langen Strecken quer durch Europa.

Sprachsteuerung für Schiffe

Auch Schiffe können längst digital gesteuert und kontrolliert werden. Weil Liegezeit teuer ist, sorgen digitale Staupläne dafür, dass immer genau der Container oben steht, der im nächsten Hafen zuerst abgeladen und abtransportiert werden muss. „Die große Mehrheit der Reeder ist sich einig, dass die Digitalisierung der maritimen Wirtschaft in den kommenden Jahren deutlich zunehmen wird“, sagt Claus Brandt von der Unternehmensberatung PwC, die kürzlich eine Studie zu dem Thema erstellt hat: „Neun von zehn der Befragten sind beispielsweise davon überzeugt, dass der automatisierte Datenabgleich zwischen Schiff und Zentrale die Wartung der Schiffe deutlich beschleunigen wird. Ersatzteile und Personal können auf diese Weise angefordert werden, während das Schiff noch auf See ist.“ Eine visionäre Lösung hat kürzlich die Firma Rolls-Royce vorgestellt: Autonome Schiffe, die von fernen Kontrollzentren an Land über Augmented Reality, Hologramm-Technologien und Sprachbefehle gesteuert werden.

Trotz der großen Potenziale, die in der Nutzung solcher Technologien liegt – die digitale Wirklichkeit in der Logistik ist bislang noch recht ernüchternd. In einer aktuellen Umfrage der Unternehmensberatung Capgemini und des Cloud-Anbieters GT Nexus geben zwar 75 Prozent der befragten Manager an, die digitale Transformation der Lieferkette sei „wichtig“ oder „sehr wichtig“. Aber nur fünf Prozent sind mit den Fortschritten bis jetzt „zufrieden“. Schlüsseltechnologien wie Big-Data-Analysen, Simulationstools und Cloud-Anwendungen werden viel zu selten eingesetzt. Gründe für die Zurückhaltung sind die immer noch hohen Preise für Digitaltechnik und eine fehlende Digitalstrategie. So werden die neuen Technologien zur Grundlage agiler Start-ups, die das Geschäftsmodell der klassischen Logistiker in Frage stellen. Fast die Hälfte der Befragten in der Capgemini/Nexus-Studie setzt weiter auf die „traditionellen“ Medien wie Telefon, Fax und E-Mail, um Lieferketten zu verwalten.

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