Der Umbau der Energiesysteme

Schnell zuschaltbare Gaskraftwerke sichern in einem volatilen Energiemix die zuverlässige Versorgung mit Energie. Doch erst die richtigen Speicher machen die Energiewende erfolgreich.
Illustration: Mario Parra
Axel Novak Redaktion

Berlin-Tegel im Herbst: Vattenfall Energy Solutions, die Gewobag und das Energiespeicher-Start-up Lumenion nehmen ein Wärmehaus in Betrieb – und geben der Energiewende neuen Schwung: Hier im unscheinbaren Norden von Berlin haben die drei Unternehmen einen neuartigen Stahlspeicher aufgestellt, der Stromspitzen aus Wind- und Sonnenenergie aufnimmt und bei Bedarf als Wärme und Strom bereitstellt. 2,4 Megawattstunden speichert der Block  –  künftig sind bis zu 1.400 Megawattstunden denkbar. Solche Giga-Speicher könnten helfen, erneuerbaren Strom besser in die Netze zu integrieren.


Die Technik wirkt simpel: Die Anlage speichert Netzstrom als Wärme bei 650 Grad Celsius. Wird Energie benötigt, wird die Wärme über einen Wärmetauscher in Warmwasser umgewandelt oder über eine Dampfturbine rückverstromt. „Mit diesem Pilotprojekt wollen wir die besondere technische und wirtschaftliche Eignung von thermischen Speichern zur effektiven Nutzung großer Mengen von Wind- und Sonnenenergie ganz praktisch demonstrieren“, erklärte Alexander Voigt, Geschäftsführer und Gründer von Lumenion. Weniger als zwei Cent soll es kosten, eine Kilowattstunde zu speichern, verspricht das Start-up.


Der Berliner Speicher ist eines von vielen Vorhaben, mit denen Unternehmen Lösungen vorlegen, wie Deutschland seine Energieversorgung auf nachhaltige Quellen umstellen kann. Solche Lösungen sind dringend notwendig, denn die Energiewende hat anspruchsvolle Ziele: Laut Erneuerbare-Ener-gien-Gesetz sollen 2035 bis zu 60 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Quellen stammen – heute sind es 38 Prozent. Weil sich der Verkehr und andere Industrien immer von fossilen Treibstoffen verabschieden, verlangt die Elektrifizierung nach immer mehr Strom.

 

Fluktuierende Stromquellen

 

Vor allem Wind- und Sonnenenergie werden daher kräftig ausgebaut werden. Die aber erzeugen nur dann Strom, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht.  Fluktuierende Stromquellen erfordern daher eine intelligente System- und Marktintegration und die Flexibilisierung des gesamten Stromsystems, darunter flexible und reaktionsschnelle Speicher.


Gaskraftwerke sichern in einem volatilen Energiemix die zuverlässige Versorgung mit Energie. Doch erst die richtigen Speicher bringen die Energiewende zum Erfolg. Heute gibt es unterschiedliche Speicherformen mit jeweils spezifischen Vorteilen. Klassische Batteriespeicher sind mit einer Leistung bis zu GW möglich. Sie haben einen Wirkungsgrad von bis zu 99 Prozent, sind sehr flexibel und können mobil oder stationär bei Verbrauchern oder Energieversorgern installiert werden. Weil Batteriespeicher künftig in vielen Elektroautos verbaut sind, könnten sie als zusätzliche Speicherkapazität zur Netzstabilität beitragen, wenn die Fahrzeuge  gerade nicht genutzt werden.


Die Nachfrage nach Batteriespeichern wächst rasant: Laut Energy Outlook 2018 der Analysegesellschaft Bloomberg New Energy Finance wird der Weltmarkt für Batteriespeicher explodieren und die Kosten der Speicher rasant verringern. „Mit der Einführung billiger Batteriespeicher wird es zunehmend möglich, die Lieferung von Strom aus Wind und Sonne zu verbessern. Erneuerbare Energien werden mehr und mehr Marktanteile von Kohle, Gas und Atomkraft aufnehmen“, sagt Seb Henbest von der Analysegesellschaft.

 

Pump- und Hubspeicherkraftwerke

 

Eine andere Möglichkeit, Energie zwischenzeitlich aufzunehmen, sind Pumpspeicherkraftwerke. Sie pumpen Wasser von einem tiefer gelegenen in ein höher gelegenes Becken. Über Turbinen kann die Energie wieder verstromt werden. Pumpspeicher sind heute die einzige verfügbare Stromspeichertechnologie im Mega- und Gigawattbereich. 2018 speisten sie mit einer installierten Leistung von rund 9 Gigawatt ins deutsche Stromnetz ein.


Technisch sind auch weitere Varianten von Speichern möglich, die mit Höhenunterschieden arbeiten: So wollen Forscher aus Nordrhein-Westfalen ein stillgelegtes Bergwerk zu einem riesigen Stromspeicher für regenerative Energien umzufunktionieren. Und das schottische Start-up Gravitricity will ein bis zu 2.000 Tonnen schweres Gewicht in einen tiefen Schacht hängen: Seilwinden mit Generatoren verändern die Lage des Gewichts.


Auch Druckluftspeicher nehmen überschüssigen Strom auf. Sie pressen damit Luft in unterirdische Salzstöcke oder ehemalige Gaskavernen. Wird Strom im Netz gebraucht, fließt die Druckluft durch eine Turbine wieder ab und erzeugt dabei Strom. Allerdings gibt es bislang keine wirtschaftlich erfolgreichen Konzepte für solche Speicher.  

 

Stromumwandlung in Gas oder Wärme

 

Neben der direkten Energiespeicherung kann Strom Wasserstoff oder Methan erzeugen. Power-to-Gas heißt dieses Verfahren. Wasserstoff kann entweder direkt genutzt werden, zum Beispiel als Kraftstoff und in industriellen Anwendungen. Oder er wird zusammen mit Kohlendioxid zu Methan, künstlichem Erdgas, das in das Gasnetz eingespeist wird.


Power-to-Heat-Anlagen wiederum verwenden Strom zur Wärmeproduktion. Solche Anlagen haben bei niedrigen Investitionskosten einen hohen Wirkungsgrad und können zum Beispiel für Elektroheizungen, Wärmepumpen oder eben Stahlspeicher verwendet werden, wie er in Berlin getestet wird.

 

Teure Regulierung

 

Der Nachteil aller Speicher ist allerdings: Noch sind sie in Deutschland teuer – und daran ist auch die Regulierung des Marktes Schuld. Derzeit gelten Speicher meist als Letztverbraucher in den rechtlichen Energiekategorien Erzeugung, Transport und Verbrauch. Sie werden mit hohen Abgaben und Umlagen belastet. Nun hat die EU beschlossen, Speicher als eigenständiges Element im Energiesystem anzuerkennen – diese Regelung müsste nun auch ins nationale Recht umgesetzt werden.


Außerdem müsste die Verwendung von erneuerbar erzeugtem Strom in anderen Sektoren von Abgaben und Steuern befreit werden, also auch für die Umwandlung von überschüssigem Strom in Gas oder Wärme.


Doch während der Gesetzgeber noch verhandelt, sind Deutschlands Verbraucher schon weiter mit der Energiewende. Nicht nur, weil sie Millionen Solaranlagen auf ihren Dächern installiert haben, sondern auch, weil sie bei Speichern ähnlich selbständig verfahren: Inzwischen ergänzen rund 120.000 Solarstromspeicher private Photovoltaik-Anlagen: Sie sorgen schon heute dafür, den erzeugten Solarstrom vor Ort effizienter zu nutzen, Lastspitzen zu verschieben, Stromnetze zu entlasten und den Ausbau des Energienetzes von Morgen voranzubringen.