Klimawandel im Autoland

Die Diskussion über die Zukunft des Automobils ist im vollen Gange. Über die Maßnahmen zum Klimaschutz scheiden sich jedoch die Geister. Eine Bestandsaufnahme der Reduktionssziele mit Schwerpunkt Verkehr.
Illustration: Johannes Fuchs
Julia Thiem Redaktion

Während draußen Klimaaktivisten die Eingänge blockieren, präsentieren Automobilhersteller drinnen noch immer ihre großen SUVs mit ausgefallenen Sonderlackierungen. Die diesjährige Internationale Automobil-ausstellung IAA in Frankfurt hat polarisiert und deutlich weniger Besucher angelockt als noch vor zwei Jahren. Natürlich wurden auch zahlreiche, teils innovative Elektrofahrzeuge auf der IAA präsentiert, die einen Ausblick darauf geben, wie die Mobilität der Zukunft aussehen könnte. Den Protestierenden draußen vor der Tür geht dieser Wandel jedoch weder weit noch schnell genug.


Ein ähnlich zweigeteiltes Bild zeigt das frisch verabschiedete Klimapaket der Bundesregierung. CSU-Chef Markus Söder twitterte fröhlich, es sei ein „positiver Freitag fürs Klima“ und man nehme die „Menschen mit durch Anreize statt Verbote“. Umweltministerin Svenja Schulze von der SPD ist hingegen einfach nur „froh, dass nun die gesamte Regierung hinter dem Kompromiss steht“. Gewünscht hätte sie sich offenbar mehr – vor allem einen höheren CO2-Preis.


Dennoch hob die deutsche Politik-Elite – beflügelt von diesem „Kompromiss“ – geschlossen aber leider nicht gemeinsam Richtung New York zum UN-Klimagipfel ab. Gleich vier Minister flogen mit vier verschiedenen Maschinen, im gerade verabschiedeten Klimapaket soll die Luftverkehrsteuer ja auch erst zum 1. Januar 2020 angehoben werden. Und vielleicht kommt es den Politikern derzeit einfach nicht so darauf an. Schließlich weiß Angela Merkel, dass die selbstgesteckten Klimaziele 2020 ohnehin nicht mehr zu erreichen sind. Für 2030 gibt es ja noch einmal Ziele, möglich, dass man die erreicht.


Dass wir respektive unser Klima diese Zeit eigentlich nicht mehr haben, zeigt nun eine neue Studie der Weltwetterorganisation WMO, die endlich belegt, was jeder fühlt: Die letzten fünf Jahre waren die heißeste Periode seit Beginn der Messungen vor 150 Jahren. Die Temperatur lag um 1,1 Grad höher als in der vorindustriellen Zeit. Die Studienmacher betonen außerdem, dass die Treibhausgas-Konzentration zwischen 2015 und 2019 auf ein neues Rekordniveau angestiegen sei, womit wir die globale Erwärmung wohl den nächsten Generationen unausweichlich weitervererben. Die CO2-Werte seien im Vergleich zu vor fünf Jahren um 20 Prozent schneller gestiegen. „Die Gründe für den Klimawandel sowie seine Auswirkungen nehmen eher zu als ab“, betont auch WMO-Generalsekretär Petteri Taalas. „Die Herausforderungen sind immens. Besonders wichtig ist es, die Treibhausgase zu reduzieren, allen voran aus der Energieproduktion, der Industrie und dem Transport. Andernfalls lassen sich weder der Klimawandel stoppen noch die Ziele von Paris erreichen.“
Besonders der CO2-Ausstoß ist derzeit in aller Munde und ein CO2-Preis zentraler Bestandteil des Klimapakets. Somit soll sichergestellt werden, dass diejenigen, die besonders viel CO2 in die Atmosphäre blasen, auch dafür zahlen müssen. Er soll 2021 mit einem Festpreis für Verschmutzungsrechte von zehn Euro pro Tonne Kohlendioxid starten. Bis zum Jahr 2025 soll er dann stufenweise auf 35 Euro steigen. Erst danach soll ein Handel die Preisbildung regulieren. Für Achim Wambach, Präsident des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung – sind die vielen Einzelmaßnahmen allerdings des Klimapaktes Fluch und Segen zugleich: „Damit die CO2-Bepreisung als zentrales Leitinstrument im Maßnahmenkatalog des Klimakabinetts richtig wirkt, sollte sie durch ergänzende Fördermaßnahmen und zusätzliche Eingriffe nicht verwässert oder konterkariert werden.“


Außerdem gibt es viel Kritik am niedrigen Festpreis von nur zehn Euro. Einige Experten sind sogar der Meinung, man solle komplett auf einen Festpreis verzichten, da der Emissionshandel wirke und wesentlich effizienter sei. Das belegt nun auch eine Studie des Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie (DICE) im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Untersucht wurden die derzeit weltweit 27 Emissionshandelssysteme zur Regulierung des CO2-Ausstoßes. Das Ergebnis: Sie reduzieren CO2 deutlich zuverlässiger, als häufig dargestellt, und könnten den Ausgangspunkt zu einem weltweit vernetzten CO2-Deckel bilden.


Studienautor Prof. Dr. Justus Haucap zeigt dabei, wie zielgenau das größte und vielleicht auch bekannteste europäische Zertifikatehandelssystem EU-ETS funktioniert: „2020 werden die Emissionen in den erfassten Sektoren um 21 Prozent unter dem Niveau von 2005 liegen. Dieser Erfolg ist umso größer zu werten, wenn man bedenkt, dass die Wirtschaft gleichzeitig kräftig gewachsen ist. Die Effizienz des Systems spricht dafür, den Emissionshandel zu erweitern und auf weitere Sektoren wie den Verkehr auszuweiten.“ Damit würde laut Haucap auch die aufgeheizte Klimadebatte in Deutschland versachlicht. Die Argumentation dahinter: Wenn der CO2-Ausstoß auch im Gebäude oder Verkehrssektor gedeckelt ist, sind selbst die großen SUVs für das Klima egal, wenn an anderer Stelle entsprechend gespart wird. Woher die Reduktion kommt, ist Nebensache, solange sie kommt.


Natürlich ist das kein Freifahrtschein für die Automobilbranche, sich weiter auf große, benzinfressende Fahrzeuge zu konzentrieren. Vielmehr brauchen wir sowohl für die Mobilität als auch für unsere Gebäude eine gewisse Technologieoffenheit, die auch das Klimapaket der Regierung fordert. Nur auf Elektrofahrzeuge zu warten, die derzeit noch sehr teuer sind und für die die nötige Infrastruktur noch nicht geschaffen wurde, ist sicher keine Lösung. Auch andere, bereits vorhandene Technologien müssen verstärkt auf die Agenda kommen. Gerade die Automobilbranche ist hier gefragt, die nun erstens einen neuen Chef für ihre Autolobby finden muss und dann zwei Jahre Zeit hat, die IAA ganz neu zu erfinden.

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