Zwischen Captain’s Dinner & Bockbierfest

Illustration: Vanessa Chromik
Dr. Karsten Eichner Redaktion

Wer heute auf einem Kreuzfahrtschiff unterwegs ist, kann sich kaum vorstellen, unter welchen Bedingungen die Seereisenden im 19. Jahrhundert untergebracht wurden. Die Ernährung war karg und einseitig, lebende Hühner an Bord waren Luxus. Schnaps war das einzige Mittel gegen die Seekrankheit. Berühmte Schriftsteller berichten in ihren Tagebüchern von schrecklichen Erlebnissen auf hoher See.

 

Exzellentes Essen: Es gehört untrennbar zu einer Luxuskreuzfahrt dazu und trägt entscheidend zur Zufriedenheit an Bord bei. Doch bis zu den Sterne-Menüs unserer Tage war es ein weiter Weg. Erstklassiges gab es auf See früher allenfalls in der Ersten Klasse, und schon in der Zweiten Klasse konnten die Speisen mitunter drittklassig sein: „Schatzinsel“-Autor Robert Louis Stevenson notiert jedenfalls 1879 anlässlich einer Atlantiküberquerung in der Zweiten Klasse eines Auswanderer-Dampfers ernüchtert: „Ich selbst ernährte mich fast ausschließlich von Brot, Porridge und Suppe.“


Doch wie liefert man den verwöhnten Gästen an Bord jeden Morgen zum Beispiel frische Eier und frische Milch – auch wenn man sich tage- oder gar wochenlang auf See befindet? Mit der modernen Kühltechnik ist das alles natürlich kein Problem mehr, und folglich biegen sich heutzutage die Büfetts unter der täglichen Last der kulinarischen Köstlichkeiten. Doch in den Anfangsjahren der Passagierschifffahrt sah dies noch anders aus – wie schon Jahrhunderte zuvor. Samuel Cunard, Atlantikpionier und 1840 Gründer der nach ihm benannten Cunard Line, will seinen Passagieren hingegen von Anfang an Besseres bieten. So nimmt er nicht nur Hühner mit an Bord, die täglich frische Eier liefern. Nein, in einem eigenen Stall an Deck steht auch eine Kuh und spendet jeden Tag frische Milch.


Berichten zufolge ist es allerdings auf jeder Reise eine andere Kuh, da sie jeweils kurz vor Ende der Überfahrt geschlachtet wird und so den Reisenden zum Farewell Dinner Rinderbraten und frisches Roastbeef beschert. Auch bei den Getränken lässt sich Cunard nicht lumpen: Rotwein, Brandy und Whisky stehen auf der Karte – und werden gern getrunken. Denn vor Seekrankheit schützt bekanntlich auch das beste Essen nicht. Der Reisetagebuch schreibende (und dabei überaus mäkelige) VIP-Passagier Charles Dickens hält sich 1842 während einer stürmischen Atlantiküberquerung daher bevorzugt an die alkoholischen Getränke.


Mit der Erfindung der Luxus-Kreuzfahrt im Jahr 1891 durch den legendären Hapag-Direktor Albert Ballin gelingt dann auch kulinarisch ein weiterer Quantensprung: Wer viel Geld für eine Seereise rein zum Vergnügen bezahlt, soll dafür auch opulent speisen können. Und das tun seine Gäste dann auch: Verwundert hält der Reedereimanager fest, dass die Reisenden auf der Premieren-Fahrt ins Mittelmeer Kaviarbrötchen in solchen Mengen verzehren, „als ob sie dafür bezahlt werden“.


Gutes Essen auf See gehört fortan zum guten Ton. Und auch das Ambiente muss stimmen. Ein glänzendes abendliches Dinner 1913 auf einer Norwegen-Kreuzfahrt schildert der Schriftsteller Johann Kinau, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Gorch Fock: Er diniert in einem „glänzenden Speisesaal, der mit seinen weißen Wänden, dem schimmernden Silber, dem rotverhängten Lampenlicht, den farbenfrohen natürlichen und künstlichen Blumen, den lachenden australischen Äpfeln, den dunkelroten spanischen Orangen, dem funkelnden Wein und dem perlenden Sekt wirklich vergessen ließ, dass wir dreißig Faden Wasser unter uns hatten und auf der grauen Nordsee schwammen.“


Überhaupt das Captain’s Dinner: Es ist festlicher Höhepunkt einer jeden Luxuskreuzfahrt, und glücklich kann sich schätzen, wer an den Kapitänstisch geladen wird. René Goscinny, der Schöpfer von Asterix und dem Kleinen Nick und selbst begeisterter Schiffsreisender, weiß, wovon er redet: „Der Galaabend an Bord eines Schiffes ist eine Pflichtübung, die wie ein Dorffest nach strengen Regeln abläuft.“

 

Und der deutsche „Jahrhundertschriftsteller“ Ernst Jünger verzeichnet 1965 anlässlich einer mehrwöchigen Japanreise per Schiff mit fast asiatischer Gelassenheit die professionelle Routine: „Abends Captain’s Dinner, bei dem der Küchenchef … sich wieder einmal übertraf. Dieses Galadiner wiederholt sich während jedes Abschnitts der Reise, ebenso die große Schwedenplatte und das bayrische Bockbierfest.“ Doch nicht jeder weiß die Ehre, am Kapitänstisch Platz zu nehmen, auch zu schätzen. Bis heute hält sich die Geschichte von dem ignoranten Kreuzfahrtgast, der die Einladung brüsk mit den Worten zurückwies: „Ich speise nicht mit dem Personal.“


Auch die Unterbringung an Bord – heute in der Regel überaus komfortabel und auf bestem Hotel-Standard – fand zumindest in früheren Jahren nicht immer ungeteilte Zustimmung. So notierte Mark Twain 1867 anlässlich einer Reise von New York nach Europa im hölzernen (!) Raddampfer leicht spöttisch über seine Kabine: „Sie enthielt zwei Schlafkojen, ein trübes Deckenlicht, einen Ausguss mit einer Waschschüssel und eine lange, üppig gepolsterte Truhe, die teils als Sofa und teils als Versteck für unsere Sachen dienen sollte. Trotz aller dieser Einrichtungsgegenstände war noch genügend Raum darin, um sich umzudrehen.“


Frischwasser war lange Jahre – bis zum Einbau leistungsfähiger Entsalzungsanlagen – ein knappes Gut auf Schiffen. Wenn geduscht, gebadet oder im Pool geschwommen wurde, dann zumeist in gefiltertem Seewasser: Der Lübecker Literatur-Nobelpreisträger Thomas Mann fühlt sich beim morgendlichen Wannenbad 1934 mitten auf dem Atlantik jedenfalls ganz in seinem Element: „Bei dem klebrigen, leicht faulig duftenden Bade in warmem Meerwasser am Morgen, das die Haut mit Salz imprägniert und das ich sehr liebe, ist es angenehm zu denken, dass man im Schlaf über Nacht wieder ein gutes Stück Unabsehbarkeit aufgerollt hat.“


Auch leistungsfähige Klimaanlagen haben die Passagierschiffe erst seit wenigen Jahrzehnten, was die vielen, für heutige Betrachter skurril wirkenden Lufthutzen an Deck früherer Passagierschiffe erklärt. Meist mussten für die Belüftung in heißen Regionen zusätzlich die Bullaugen geöffnet und elektrische Ventilatoren eingeschaltet werden, was jedoch nur wenig half. Und man begann damit, den Schiffen einen weißen oder zumindest hellen Farbanstrich zu geben – was bis heute noch das auffälligste Merkmal der meisten Kreuzfahrtschiffe ist.


Wie körperlich anstrengend eine Tropen-Reise in früheren Jahren dennoch war, schildert der „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch Mitte der 1930er-Jahre anlässlich einer Fahrt nach Australien: „Beklemmend heiß ist es auf dem Promenadendeck; da unten aber, vier Stockwerke tiefer, wo die Passagiere der Tourist-Class zu viert in einem Kabinenloch hausen, da unten aber ist’s fürchterlich. (…) Man verträgt keine Decke, nicht einmal eine leinene. Schon der Badeanzug, den man tagsüber trägt, ist wie ein Pelzmantel.“

 

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