Wie das smarte Leben der Zukunft aussehen könnte, das erleben die rund 20.000 Bewohner der südkoreanischen Reißbrettstadt Songdo schon heute. Ob Mangoschale oder Kimbab-Reste – jeglicher Abfall aus dem heimischen Mülleimer wird von einer Art Rohrpostsystem eingesaugt und automatisch zur Biogasgewinnung weitergeleitet. Die Klimaanlagen der überwiegend mit dem Umweltsiegel LEED zertifizierten Gebäude sorgen automatisch für Wohlfühltemperaturen, und in den Bürotoiletten wird ausschließlich mit Brauchwasser gespült.
Die gesamte Stadt ist mit Millionen von Sensoren und Kameras ausgestattet, die laufend Daten über Energieverbrauch, Verkehr und Wetter an das zentrale Gehirn der Stadt melden. Das wiederum kann die Bewohner so in Echtzeit über Busverspätungen oder Staus informieren oder sie daran erinnern, den Regenschirm mitzunehmen. Songdo gilt damit schon heute, fünf Jahre vor der Fertigstellung, als die erste komplett vernetzte Stadt der Welt. Und trotz der vielen Elektronik verbraucht sie laut zuständigem Immobilienentwickler Gale International rund 40 Prozent weniger Energie als eine durchschnittliche Stadt vergleichbarer Größe.
Doch nicht nur in Songdo wird Zukunft gedacht. Ob Berlin oder Kopenhagen, Singapur oder Dubai – die Frage, wie Städte künftig sowohl energieeffizienter als auch lebenswerter werden können, beschäftigt Ingenieure und Stadtentwickler aus aller Welt. Smart Cities sind ihre Antwort auf die urbane Herausforderung des Jahrhunderts: Die rapide wachsende Weltbevölkerung sucht ihr Glück immer öfter in den Metropolen – und das lässt nicht nur die städtischen Infrastrukturen an ihre Grenzen stoßen, es bleibt auch nicht ohne Folgen für den Planeten und sein Klima.
Schon heute gehen rund 75 Prozent der weltweit verbrauchten Energie und 80 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen auf das Konto der Städte. Und jede Woche strömen eine Million Menschen mehr in die Metropolen. Seit 2010 leben erstmals mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land. Im Jahr 2050 werden UN-Prognosen zufolge sogar 70 Prozent der Menschen Städter sein. Neue Retortenstädte alleine werden das Dilemma daher nicht lösen können. Gerade auch die historisch gewachsenen Metropolen stehen damit vor der dringlichen Herausforderung, Tradition und Moderne miteinander zu verbinden.
„Der Wettlauf um die smarteste City der Welt ist in vollem Gange“, sagt Alexander Holst, Smart City Experte der Unternehmensberatung Accenture. Wer es einmal geschafft hat, ein schlaues Netz aus Verkehr, Energie, Gebäude und Infrastruktur zu spinnen, besitzt eine Blaupause, für die sich viele andere Städte interessieren werden – einen potenziellen Exportschlager. Und nicht nur das: „Smart Cities werden wie von selbst immer mehr Firmen, Investitionen und Talente anziehen, die die Entwicklung hin zu einer immer lebenswerteren Stadt vorantreiben“, so Holst.
„ Die Hightech-Nation Deutschland ist dazu prädestiniert, sich als Leitanbieter zu positionieren.“
Gerade die Hightech-Nation Deutschland sei dazu prädestiniert, sich als Leitanbieter zu positionieren, heißt es bei der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften. Doch dafür müssten die neuen Technologien stärker als bisher in Modellstädten und Quartieren erprobt werden. Das hat auch die Bundesregierung erkannt und widmet das diesjährige Wissenschaftsjahr der „Zukunftsstadt“. In den kommenden Jahren hat das Bundesforschungsministerium 150 Millionen Euro für Praxisprojekte eingeplant. Berlin macht sich derzeit auch Hoffnungen auf weitere Unterstützung von der EU: Gemeinsam mit den Partnerstädten Paris und Bologna bewirbt sich die deutsche Hauptstadt gerade um 25 Millionen Euro Fördergelder aus dem EU-Forschungsprogramm „Horizont 2020“, das Smart City-Initiativen vorantreiben will.
Sprechende Mülltonnen sollen dann in Berlin bald selbst verkünden, wann sie geleert werden müssen, selbstfahrende Autos könnten zeit- und energiesparend Parkplätze suchen und Staus umfahren. Und nicht zuletzt soll eine Achse vorbildlicher Stadtquartiere den Weg in die Zukunft weisen. Sie erstreckt sich ausgehend von einer energetisch sanierten und schlau vernetzten Gartenstadt Lichterfelde Süd über den Euref-Campus am Schöneberger Gasometer bis hin zum Flughafen Tegel, auf dem nach dem Ende des Flugbetriebs ein Gewerbepark für grüne urbane Technologien geplant ist.
Am Büro- und Wissenschaftscampus Euref zeigen die Forscher, dass sich mit heutiger Technik bereits die Klimaziele der Bundesregierung aus dem Jahr 2050 erreichen lassen. Konzipiert als smarte City im Miniaturformat, versorgt sich der Campus nahezu komplett CO2-neutral. Sein Herzstück ist ein intelligentes Stromnetz, das Smart Grid. Weil die Häuser mit intelligenten Stromzählern ausgestattet sind, die minutengenau den Verbrauch aller Geräte erfassen, weiß das Netz jederzeit, wann und wo Energie benötigt wird. Produzieren Wind und Sonne mal Energie im Überfluss, wird diese in Großbatterien für sonnenarme Flautezeiten zwischengespeichert. Auch Autos sind auf dem Campus zu finden – sie fahren mit Strom und tanken an Straßenlaternen auf.
Doch so viel moderne Technik auch möglich macht – ohne Akzeptanz und Unterstützung der Menschen können die ambitionierten Visionen nicht aufgehen. So legt die „Smart City Cologne“ einen Schwerpunkt darauf, ihre Bewohner zu einem CO2-armen Lebensstil zu animieren. Köln hat bereits im vergangenen Jahr den Zuschlag vom „Horizont 2020“ Programm der EU bekommen und will nun die Stegerwald Siedlung im Stadtteil Mülheim, ein 50er-Jahre-Viertel mit einfachen Wohnungen für Geringverdiener, in den kommenden fünf Jahren zum smartesten Viertel der Stadt machen.
„ Die Energieeffizienz der Häuser zu erhöhen, ist eine leichte Übung. Kniffliger wird es, die Bewohner zu motivieren.“
Dabei stellte sich heraus: Die Energieeffizienz der Häuser zu erhöhen, ist eine vergleichsweise leichte Übung. Mit modernen Dämmmaterialien lässt sich der Energieverbrauch der Gebäude leicht um bis zu einem Viertel senken. Weitaus kniffliger wird es jedoch, die Bewohner dazu zu motivieren, ihre schlauen Waschmaschinen so zu programmieren, dass sie nachts anspringen, wenn der Strom günstig und im Überfluss in den Netzen vorhanden ist. Außerdem will die Stadt ihren Bewohnern den Einstieg in die intermodale Mobilität schmackhaft machen. Die Idee dahinter ist, dass eine geschickte Kombination von Fahrrad, Bus und Carsharing der beste Weg zum Ziel sein kann. An Mobilitätshubs in der Nähe von Bus- und Bahnhaltestellen stehen daher künftig Leihfahrräder und Elektroautos im Carsharing zur Verfügung, die dazu animieren sollen, immer öfter oder ganz auf das Auto zu verzichten. Denn gerade der Verkehrssektor hat sich in der Vergangenheit als Klimakiller erwiesen: Während Industrie und Haushalte seit den 90er Jahren deutlich weniger Treibhausgase produzieren, sind die Emissionen des Verkehrs um 28 Prozent gestiegen.
Doch je mehr sich Energie, Verkehr und Häuser vernetzen, desto mehr Schutz brauchen sie auch. Denn die Technik macht die Smart City verwundbar. Wie sehr, das hat Raúl Rojas, Professor für Intelligente Systeme und Robotik an der Freien Universität Berlin und ein Experte auf dem Gebiet künstlicher Intelligenz, im eigenen Haus erlebt. Bereits 2008 machte er sein Haus zum Smart Home und Testlabor der aktuellsten Technik. Heizungen und Jalousien ließen sich über eine Smartphone App steuern, jeder Schalter und jede Glühbirne war vernetzt.
So geschah es auch, dass es eines Tages einer Glühbirne gelang, das komplette schlaue System lahmzulegen. Programmiert war sie eigentlich darauf, regulär einmal pro Sekunde ein Signal über ihren Zustand – ob an oder aus, defekt oder funktionierend – an das Betriebssystem zu senden. Ein technischer Defekt veranlasste sie jedoch plötzlich dazu, alle zehn Millisekunden ein Signal zu senden. Folge: Alle Leitungen waren blockiert, das komplette System lahmgelegt. Ein Effekt, der zwar als Kinderkrankheit einer neuen Technik gedeutet werden kann. Er zeigt jedoch auch, wie verwundbar die Smart Cities gegenüber Hackerangriffen sind.
Die nötige Sicherheit zu schaffen, das ist eine große Hürde, die die Smart Cities in den kommenden Jahren noch nehmen müssen. Doch es ist nicht die einzige: Wenn das Vorhaben gelingen soll, dann müssten sich die Stadtverwaltungen aktiv dafür entscheiden, in IT-Plattformen zu investieren, mit denen aus der Vielzahl der erhobenen Daten auch smarte Dienstleistungen generiert werden können. Denn nur dann werden die Bürger ihre schlaue Stadt auch lieben.