Als der Kater zu uns kam, war von Anfang an klar: Er sollte kein reiner Wohnungskater werden. Wir stellten uns vor, wie er aus unserer Wohnung im zweiten Stock hinunter auf die Straße gelangen würde. Wir würden ihm erst die Wohnungstür öffnen, dann die Haustür unten. Unsere Straße liegt in der Stadt, ist aber grün und ruhig. Es gibt nur wenig Verkehr. Der Kater würde seine Runde drehen und dann an der Haustür maunzen, wenn er wieder hineinwollte. Wir würden ihn durch das geöffnete Fenster hören. Oder Nachbarn, die gerade nach Hause kamen, würden ihn hereinlassen und den Kater bei uns abliefern.
Das ist jetzt vier Jahre her. Der Kater ist größer und neugieriger geworden. Aber er war durch nichts zu bewegen, die Treppe ins Erdgeschoss hinunterzuklettern. Wenn er ins Treppenhaus geht, und das tut er gerne, hat er einen Drang nach oben. Er wandert die Stockwerke hoch, bis es nicht mehr weitergeht. Dann ist es schwer, ihn wieder hinunter zu bugsieren. Er hat wohl einen angeborenen Kletterinstinkt. Und bis heute nicht verstanden, wie sich unsere Wohnung zur Welt draußen verhält. Also bleibt er lieber drinnen. Oder geht auf den Balkon, wo er sich in die Sonne legt.
Wir waren vielleicht ein wenig naiv. Aber wir hatten Vorbilder. Freundinnen, deren Haustiere wahnsinnige Dinge unternahmen. Eine ließ ihre Katze regelmäßig in einem Korb auf die Straße hinunter. Wie ein Mönch im griechischen Felsenkloster fuhr die Katze hinunter, hopste aus dem Korb und unternahm ihren Rundgang. Wollte sie wieder heraufgezogen werden, miaute sie laut. Der Korb trug sie wieder zurück in himmlische Gefilde. Eine andere Katze fuhr gern mit dem Fahrstuhl hinunter ins Erdgeschoss und wieder hinauf. Und Bekannte nahmen ihre Katze regelmäßig mit in ihr Wochenendhaus. Dort lebte sie ihre Freiheit aus. Sonntagnachmittag musste sie wieder zurück in die Stadtwohnung. Angeblich kam die Katze immer, wenn man sie rief.
Das wollten wir nachmachen. Problem: Unser Kater pfeift drauf, ob man nach ihm ruft. Er reagiert einfach nicht. Sogar das Rascheln mit seiner Lieblingsleckerei lässt ihn häufig kalt. Und so stellten wir uns lebhaft vor, wie wir sonntagabends um das Haus herumliefen, mit Leckerlis raschelten und nach dem Kater brüllten – der sich irgendwo im Gras räkelte. Oder alles vergaß, loswanderte und sich im Wald verirrte. Welche Horrorvorstellung!
Zum Glück gibt es heute die Digitalisierung. Es gibt Mobilfunk, es gibt Bluetooth, es gibt GPS-Ortung. Und es gibt Halsbänder, die man dem Haustier umlegen kann. In die legt man eine SIM-Karte hinein, und sie sendet dann die exakte Position an ein Smartphone. Genau so eines haben wir nun angeschafft. Der Kater hat sich schon daran gewöhnt und trägt es mit Fassung. Demnächst soll es losgehen, raus aufs Land: Heia Safari! Hauptsache, wir wissen: Wohin die Sehnsucht den Kater auch hinführen wird. Er geht nicht verloren. Wir werden ihn finden.

Illustration: Ivonne Schulze