Auf einem Zaunpfahl am Wegesrand hockt er da, der Kapuzineraffe, und schaut uns abwechselnd an. Spontan ruft einer aus unserer Gruppe: „Gib dem Affen Zucker!“ Der Affe schaut irritiert. Vielleicht auch beleidigt. Er will keine Sprüche. Er will eine Leckerei. Wir wollen ihm aber nichts von unserem Reiseproviant abgeben. Erstens brauchen wir ihn für uns. Zweitens haben wir es in Deutschland so gelernt: Wilden Tieren soll man kein Futter geben. Sie werden fett und krank davon.
Wild sind sie, die Tiere im Manuel Antonio Nationalpark in Costa Rica. Hier gibt es Nasenbären, Faultiere, Tukane. Und die „Iguanas“, die Leguane, die hier enorm groß werden können. Sie sind gut getarnt. Meist sieht man sie erst dann hoch in Bäumen auf Ästen liegen, wenn ihre gezackten Rückenkämme sich gegen die Sonne abzeichnen. Die Leguane können metergroß werden. Nicht hier, aber weiter im Süden von Costa Rica, haben wir zwei Meter große Leguane in Dörfern herumlaufen sehen, wie andernorts verwilderte Hunde.
Trotz seiner geringen Größe von nur etwa sieben Quadratkilometern beherbergt der Manuel Antonio eine enorme Vielfalt an Flora und Fauna. 350 Pflanzenarten gibt es hier, mehr als 100 Säugetierarten, außerdem zahlreiche Vögel und Reptilien. Manuel Antonio wurde 1972, also recht früh schon gegründet und steht sinnbildlich für den hohen Anspruch des mittelamerikanischen Lands, das versucht, seine Naturschätze zu bewahren. Heute steht fast ein Drittel der Landesfläche unter Naturschutz.
TROPISCHER DSCHUNGEL AM PAZIFIK
Das funktioniert. Gäste zahlen Eintritt, dafür können sie auf gut ausgeschilderten Wegen durch üppige Vegetation wandern und dabei atemberaubende Ausblicke auf den Pazifischen Ozean genießen. Wir passieren Lagunen, Mangrovenwälder und Sumpfgebiete und blicken von einem Aussichtspunkt auf vorgelagerte Inseln, die mit tropischem Regenwald bedeckt sind. Traumstrände mit weißem Sand werden von Bäumen gesäumt. Wären da nicht die anderen Menschen, wähnte man sich hier auf den Spuren von Stevensons Abenteuerroman „Die Schatzinsel“.
Costa Rica, das kleine mittelamerikanische Land zwischen Nicaragua und Panama, ist relativ sicher zu bereisen und auch mit dem Mietwagen problemlos zu erkunden. Viele „Ticos“, wie sich die Costa-Ricaner:innen selbst nennen, sprechen neben Spanisch auch sehr gut Englisch. Costa Rica bietet eine beeindruckende Anzahl an Nationalparks und Naturschutzgebieten und zieht damit Abenteurer, Naturliebhaberinnen, aber auch immer mehr Pauschaltouristen an. Zu den Highlights gehören neben dem Manuel Antonio Nationalpark der Monteverde Nebelwald, ein mystischer Ort mit einzigartiger Vegetation und seltenen Tierarten. Und der Tortuguero Nationalpark an der Karibikküste, bekannt für seine nistenden Meeresschildkröten und verschlungenen Wasserkanäle.
Das ist ein weiteres Plus von Costa Rica: Das Land befindet sich an der schmalsten Stelle Mittelamerikas, so dass man zwei Ozeane an einem Tag besuchen kann. Kaum mehr als vier Stunden gibt unser Navigationssystem für die Fahrt vom Pazifischen Ozean an die Karibikküste an. Unsere Fahrt beginnt am langen Sandstrand von Jaco und führt durch eine Vielzahl von Landschaften und Klimazonen. Die Straße schlängelt sich durch den Dschungel hoch durch Kaffeeplantagen und weiter bis auf das 1500 Meter hoch gelegene, klimatisch gemäßigte Plateau, auf dem die spanischen Kolonialherrn einst die alte Hauptstadt Cartago gründeten.
1824 entschied Juan Mora Fernández als erstes gewähltes Staatsoberhaupt Costa Ricas, seinen Regierungssitz im benachbarten San José einzunehmen. So wurde San José zur Hauptstadt. Die 300.000-Einwohner-Stadt ist bis heute beschaulich geblieben. Sehenswert ist das Zentrum mit dem Nationaltheater, das als das schönste historische Gebäude der Stadt gilt. Das Nationalmuseum, gelegen in einem festungsartigen Gebäude, das ursprünglich als Militärbasis diente, zeigt Ausstellungen zur Geschichte, Archäologie, Anthropologie und Naturgeschichte Costa Ricas. Straßenkünstler und Musikerinnen bevölkern die Plaza de la Cultura, das zentrale Drehkreuz von San José.
RASTAFARI-KULTUR AN DER KARIBIK
Wir fahren weiter nach Osten, in Richtung Karibik. Die gut ausgebaute Straße führt zunächst durch dichten Wald und schlängelt sich dann in weiten Kurven hinab ins Tiefland. Bald schlägt uns tropische Hitze entgegen. Auf der Karibikseite laufen die Berge flach aus, Plantagen dominieren das Landschaftsbild. Unser Ziel ist Puerto Viejo de Talamanca, das wie die gesamte Karibikküste durch seine afrikanischstämmige Bevölkerung geprägt ist. Viele der hier Lebenden sind Nachkommen von Sklaven, die zur Kolonialzeit millionenfach auf die karibischen Inseln verschleppt wurden.
1710 liefen zwei Sklavenschiffe vor der costa-ricanischen Küste auf Grund, eines davon konnte wieder flott gemacht werden. Nach einem Aufstand an Bord konnten sich 650 Sklaven nahe Puerto Viejo an Land retten. Sie bildeten die afrikanischstämmige Urbevölkerung der Ostküste Costa Ricas, die zuvor völlig unbewohnt war. Die Gruppe wuchs erst Anfang des 19. Jahrhunderts deutlich an, als die Sklaverei auf Jamaika und anderen Inseln abgeschafft wurde und ehemalige Sklaven auf der Suche nach Arbeit nach Costa Rica kamen. Bis heute ist daher die hiesige Verkehrssprache nicht Spanisch, sondern ähnlich wie in Jamaika Englisch mit einem karibischen Einschlag, so genanntes Patois. Mit den engen Verbindungen in die Karibik kam in den 1970ern auch die Reggae-Kultur nach Puerto Viejo, so auch die Rastafari-Religion, der viele Jamaikaner anhängen. Der wohl prominenteste von ihnen war Bob Marley.
Nach den Rucksackreisenden, die vor 30 Jahren als erste die Region touristisch erschlossen, haben Investoren aus der Hauptstadt die einst abgelegene Küste mit ihren langen Sandstränden entdeckt. Heute reiht sich an der Küste ein Hotel an das andere. An den Wochenenden dominieren die „Ticos“ aus der Hauptstadt, dann wird hier vorwiegend Spanisch gesprochen. An Straßenecken sitzen Menschen mit dunkler Hautfarbe zusammen, oft Männer mit langen Rastalocken oder turbanartigen, bunten Mützen, und beobachten die Teenagergruppen aus der Hauptstadt, die an ihnen vorbeiflanieren. Die Touristen pendeln zwischen den Beach Bars an der Playa Negra im Westen von Puerto Viejo, wo die Wellen des karibischen Meers mit großer Wucht an den schwarzen Sandstrand rollen, und den geschützten Stränden im Osten von Puerto Viejo. Dazwischen lässt sich an der Uferpromenade eine Pause mit einem Centenario einschieben, dem berühmten Rum aus Costa Rica. Wieder beschleicht es uns, das Gefühl: wie auf Stevensons „Schatzinsel“.