»Wir sind stark, weil wir an einem Strang ziehen«

Seltene Erkrankungen wie Mukoviszidose leben von Aufmerksamkeit und Unterstützern – denn nur so lassen sich die Lebensbedingungen der Betroffenen langfristig verbessern. Ein Gespräch mit Stephan Kruip, Bundesvorsitzender des Mukoviszidose e. V.
Illustration: Xinwei Zhang
Julia Thiem Redaktion

Herr Kruip, wenn man das so provokant formulieren darf: Die Mukoviszidose gilt heute als Vorzeige-Seltene-Erkrankung. Die öffentliche Wahrnehmung ist groß, es gibt einige Therapieoptionen und dank des Mukoviszidose e. V. wird viel in die Forschung investiert. Täuscht dieses Bild?
Das bekommen wir oft zu hören und ehrlich gesagt ärgern wir uns ein wenig darüber. Es suggeriert, dass für uns schon alle Probleme gelöst sind. Dabei wissen wir genau, wie schwer der Weg bis hierhin war und dass unser Ziel, jedem Betroffenen ein möglichst selbstbestimmtes Leben mit Mukoviszidose zu ermöglichen, noch lange nicht erreicht ist – auch wenn sich schon vieles verbessert hat. Als der Mukoviszidose e. V. 1965 gegründet wurde, war Mukoviszidose vor allem eine Kinderkrankheit. Ich selbst bin Mukoviszidose-Patient und mittlerweile 53 Jahre alt. Als ich in den 1980er-Jahren erwachsen wurde, hatte ich mir allerdings eine statistische Lebenserwartung von nur noch drei Jahren ausgerechnet.
 

Sind Sie eine Ausnahme oder ist die Lebenserwartung von Mukoviszidose-Patienten insgesamt gestiegen?
Aus den Daten unseres Registers, das wir seit 1995 betreiben, wissen wir, dass damals nur etwa ein Viertel der Patienten das Erwachsenenalter erreicht hat. Heute ist bereits über die Hälfte der Patienten älter als 18 Jahre. Wir hatten das Glück, dass wir zu einem frühen Zeitpunkt mit der Gattin des damaligen Bundespräsidenten, Christiane Herzog, einen prominenten Fürsprecher gewinnen konnten und somit Aufmerksamkeit und Unterstützer bekommen haben, ohne die viele Projekte, vor allem aber die Forschungsförderung, nicht möglich wären.


Was können andere Vereine und Patientenorganisationen vom Mukoviszidose e. V. lernen?
Wir sind stark, weil Patienten und Therapeuten an einem Strang ziehen. Wir haben gemeinsam Projekte entwickelt, die Vorbildcharakter haben. Der Verein arbeitet schon lange multiprofessionell und interdisziplinär: Wir haben ein Zertifizierungsverfahren für Ambulanzen etabliert, das zur kontinuierlichen Qualitätsentwicklung beiträgt und eine Orientierung für die Patienten gibt. Wir unterstützen die Leitlinienarbeit und haben ein Forschungsförderkonzept, das die Evaluation durch externe Gutachter miteinbezieht, also nach Maßstäben der großen Forschungsförderinstitute in Deutschland arbeitet. Wir loben regelmäßig Forschungspreise aus und haben besonders die Nachwuchsförderung im Blick. Alle diese Projekte sind Ergebnis einer langen Entwicklung. Wir haben hier viel Erfahrung sammeln können, die wir auch gerne mit anderen Vereinen und Patientenorganisationen teilen.


Wo Sie das Thema Forschung ansprechen: Vor allem Studien sind aufgrund der geringen Patientenzahlen schwer aufzusetzen. Wie könnten Lösungen aussehen?
Es ist in der Tat eine Herausforderung, mit geringen Patientenzahlen aussagekräftige klinische Studien durchzuführen. Wir sind dieser Herausforderung national mit der Gründung eines klinischen Studiennetzwerkes begegnet. Dort haben sich die Mukoviszidose-Einrichtungen in Deutschland mit dem Ziel zusammengeschlossen, Patienten einen zügigen Zugang zu innovativen Therapien zu verschaffen. Das Studiennetzwerk erreicht heute bereits mehr als 3.000 Patienten direkt. Gleichzeitig sind wir auch Mitglied im europäischen Studienzentrum, denn um die notwendigen Patientenzahlen zu erreichen, muss sowohl multizentrisch als auch europäisch gearbeitet werden.

 

Jede seltene Erkrankung betrifft nur einige Wenige, dennoch ist sie ja auch ein weltweites Phänomen. Dank zunehmender Globalisierung und Digitalisierung wird auch die Vernetzung untereinander immer besser. Welche Vorteile bringt die moderne Technik?
Vernetzung ist sicher ein Schlüssel zum Erfolg. Es geht darum, Kräfte zu bündeln, Erfahrungen zu teilen oder klinische Studien auf hohem Qualitätsniveau durchzuführen. Dafür ist die internationale Zusammenarbeit ein wichtiges Instrument und moderne Technik spielt hierbei sicher eine entscheidende Rolle. In unserem Expertenrat ECORN-CF antworten beispielsweise Experten auf Patientenfragen und sammeln dadurch in einer Datenbank Fachwissen, auf das jeder Patient und Arzt zugreifen kann. Elektronische Fallakten, Fallkonferenzen per Skype, globaler Austausch von Bildern und vieles mehr machen eine effiziente Zusammenarbeit wesentlich leichter.


Sie sind außerdem Mitglied im Deutschen Ethikrat und machen dort vor allem auf den Widerspruch zwischen den Bedürfnissen von Menschen mit seltenen Erkrankungen und den vorhandenen strukturellen und ökonomischen Begrenzungen des Gesundheitswesens aufmerksam. Können Sie diese Herausforderungen näher erläutern?
Im April 2018 hat der Deutsche Ethikrat in seinem Forum Bioethik die seltenen Erkrankungen in den Blick genommen. Mit über 200 Gästen wurde darüber diskutiert, wie die Bedürfnisse der Erkrankten und ihrer Angehörigen im Gesundheitswesen besser berücksichtigt werden können. Vonseiten der Politik wurde das Nationale Aktionsbündnis für Menschen mit seltenen Erkrankungen (NAMSE) geschaffen, und es gab mehrere Gesetzesinitiativen, die dazu beitragen können, die Versorgung von Patienten mit seltenen Erkrankungen zu verbessern. Trotzdem gibt es immer noch Probleme bei der Umsetzung.


Welche Probleme sind das?
Ein Aspekt betrifft die als Orphan Drugs bezeichneten Arzneimittel für seltene Erkrankungen. Solche Arzneimittel sind in den vergangenen Jahren in guter Zahl auf den Markt gekommen, mit zum Teil sechsstelligen Jahrestherapiekosten. Die grundsätzliche Frage an dieser Stelle ist: Wie kann der Preis für solche Medikamente so gestaltet werden, dass es attraktiv ist, ein Medikament zu erforschen und auf den Markt zu bringen, es aber gleichzeitig für das System bezahlbar bleibt. Der zweite Punkt betrifft die ambulante Versorgung an spezialisierten Zentren. Seltene Erkrankungen sind in der Regel komplex und betreffen mehrere Organe. Daher braucht die Behandlung mehr Zeit als viele der Volkskrankheiten. Diese Zeit kostet Geld und wir sehen momentan noch nicht, dass das notwendige Geld wirklich bei den Zentren ankommt. Aus unserer Sicht liegt dies an den vielen Playern im Gesundheitswesen, die auf diese neuen Herausforderungen der komplexen Versorgung noch nicht ausreichend eingestellt sind.

 

STEPHAN KRUIP
ist Diplom-Physiker, Bundesvorsitzender des Mukoviszidose e. V. und Mitglied im Deutschen Ethikrat. Als Betroffener weiß er zudem, vor welchen Herausforderungen Patienten mit einer seltenen Erkrankung oftmals stehen.

Nächster Artikel