Innovative Krebsforschung

Was leisten neue Behandlungsmethoden wie Immuntherapie und molekulare Therapie?
Illustration: Xinwei Zhang
Dr. Ulrike Schupp Redaktion

„Ein Meilenstein im Kampf gegen den Krebs“, erklärte das Nobel-Komitee des Karolinska Instituts in Stockholm, als es dem 70-jährigen James Patrick Allison aus Houston in Texas und dem 76-jährigen Tasuku Honjo aus Kyoto den Medizinnobelpreis verlieh. „Durch die Stimulierung der Fähigkeit unseres Immunsystems, Krebszellen anzugreifen, haben die diesjährigen Nobelpreisträger ein ganz neues Verfahren der Krebsbehandlung begründet“, kommentierte die Jury. Unabhängig voneinander konzentrierten sich beide Wissenschaftler schon in den neunziger Jahren auf die Immunonkologie, die heute neben Chemotherapie, Strahlentherapie und operativen Verfahren als die vierte Säule in der Behandlung von Krebserkrankungen gilt. Allison fand zunächst heraus, dass unsere Immunzellen mit sogenannten T-Zell-Rezeptoren ausgestattet sind, die auf Antigene reagieren, auf bestimmte Strukturen, die an fremden Zellen wahrnehmbar sind. Haben sie derartige Eindringlinge entdeckt, mobilisieren sie unsere Immunabwehr, um die schädlichen Zellen zu vernichten. Körpereigenes Gewebe greifen sie dabei normalerweise nicht an. Krebszellen besitzen zwar ebenfalls Antigene, können diese aber häufig so gut tarnen, dass sie dem Radar der T-Zellen entgehen und sich damit ungestört vermehren können. Mit der Entdeckung der T-Zellen stand die Frage im Raum, ob das Immunsystem nicht doch auch Tumorzellen vernichten könnte, wenn es für deren Antigene sensibilisiert und aktiviert wird.
 


Tatsächlich gibt es mittlerweile nicht nur eine Möglichkeit die Immunabwehr zu schärfen und auf Krebszellen anzusetzen. Eine Methode folgt dem gleichen Prinzip wie eine Impfung. Die Immunzellen werden mit Zellmaterial, das tumorspezifische Antigene in höherer Dosis enthält, konfrontiert und dadurch aus der Reserve gelockt. Die zweite Möglichkeit ist eine Veränderung der Immunzellen selbst und zwar außerhalb des Körpers. Sie werden sozusagen im Reagenzglas für die Abwehr von Krebszellen fit gemacht.


Allison und sein Kollege Honjo entdeckten außerdem jeweils unterschiedliche „Brems-Proteine“ in der Struktur der T-Zellen, die eine Immunreaktion auch wieder stoppen können. Diese Funktion ist wichtig, weil ein gesundes Immunsystem sowohl in der Lage sein muss, auf schädigende Erreger zu reagieren, als auch die Immunabwehr unter Kontrolle zu behalten. Molekulare „Checkpoints“ sollen zu starke und damit ebenfalls gesundheitsschädigende Immunreaktionen verhindern. Ein Mechanismus, den sich die Tumorzellen ebenfalls zunutze machen. Bahnbrechend ist die Methode, die die beiden Nobelpreisträger entwickelt haben, um die „Bremsfunktion“ der Proteine, die im Hinblick auf die Krebszellen so ungünstig ist, zu umgehen. Als Lösung erscheinen hier in der Immunonkologie sogenannte „Checkpoint-Inhibitoren“. Diese Medikamente lösen als Antikörper die Blockade der Immunzellen, die durch die Krebszellen getriggert wird, wieder auf. Sie lockern sozusagen die Bremse und das aktivierte Immunsystem kann die Tumorzellen dann bestenfalls erkennen und vernichten.
 


Die erste Immuntherapie, die 2011 nach klinischen Versuchen zugelassen wurde, war ein Mittel gegen schwarzen Hautkrebs. Es konnte die Lebenszeit der Betroffenen um einige Jahre verlängern. Zu den Erkrankungen, die ebenfalls auf die Immuntherapie ansprechen, gehören heute vor allem Nierenzellkrebs und das nichtkleinzellige Lungenkarzinom.


Doch selbst wenn die Immunonkologie mittlerweile zu einer echten Hoffnungsträgerin geworden ist, gibt es leider auch gravierende Nachteile. Nicht immer können die Abwehrzellen des Immunsystems nach der Gabe von Antikörpern noch zwischen gesundem und krankem Gewebe unterscheiden. Manchmal greifen sie deshalb beides an und zerstören dadurch gesunde Zellen. Nebenwirkungen können außerdem überschießende Immunreaktionen sein wie Fieber, Ausschläge, Entzündungen des Darms, der Leber, der Nieren oder der Lunge. Hinzu kommt: Die Immuntherapie wirkt noch lange nicht bei jedem Patienten. Und dies erschwert angesichts der möglichen Nebenwirkungen die Therapieentscheidung noch einmal zusätzlich.


Die Forschung verspricht sich trotzdem weitere Durchbrüche mithilfe der Immunonkologie. In der Therapie des Lungenkarzinoms sei momentan viel im Wandel, resümierte Professor Martin Reck anlässlich des Deutschen Krebskongresses 2018 in Berlin. Derzeit werde diskutiert, wann der beste Zeitpunkt sei, die Immuntherapie zu beginnen, wie sie in Kombination mit der Chemotherapie anzuwenden sei und welche Patienten am besten geeignet sind.


Forscherinnen und Forscher arbeiten zurzeit mit Hochdruck daran, aussagekräftige Biomarker zu finden, durch die sich die Wirksamkeit einer Immuntherapie bei einem bestimmten Patienten oder einer Patientin vorhersagen lässt. Bei jeder Therapie sollen nach Möglichkeit nur Tumorzellen vernichtet und gesundes Gewebe möglichst erhalten werden. Zudem soll die Behandlung die Patienten nicht unnötig belasten. Dazu ist es notwendig, in hohem Maße über Informationen zu individuellen Tumor-Eigenschaften zu verfügen. Wertvolle Hinweise für eine Behandlung gibt die molekulare Pathologie, die Veränderungen im Tumor erfasst, die sich auf einzelne Mutationen in seiner Erbsubstanz zurückführen lassen. „Mittlerweile gibt es bei einigen Tumorarten, etwa beim Lungenkarzinom oder beim Darmkrebs, gute Beispiele dafür, wie eine Analyse der Erbsubstanz im Tumor diejenigen Patienten identifizieren kann, die auf ein bestimmtes, zielgerichtetes Medikament voraussichtlich gut ansprechen werden“, sagte Professor Christoph Röcken vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein ebenfalls auf dem Deutschen Krebskongress. Weitere Studien seien nötig, um festzustellen, ob diese sogenannte Mutationslast tatsächlich ein valider Biomarker ist, um das Ansprechen einer Tumorart auf eine Immuntherapie vorauszusagen und gemeinsam mit den Immunonkologen Behandlungsentscheidungen zu treffen.


Da Krebserkrankungen meist sehr komplex sind, wird der Erfolg der Behandlung ohnehin durch multidisziplinäre Teams gefördert, denen nicht nur Spezialistinnen und Spezialisten aus Chirurgie, Strahlentherapie oder der medikamentösen Tumortherapie angehören, sondern auch speziell ausgebildete Pflegekräfte und Psychoonkologen.

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