Die große Erschöpfung

Burn Out, chronische Erschöpfung, Depression – steigende Ausfallzahlen unter den Arbeitnehmern geben Grund zur Besorgnis.
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Dr. Ulrike Schupp Redaktion

Der Trend ist eindeutig: Laut dem aktuellen DAK Gesundheitsreport führen psychische Erkrankungen bei Arbeitnehmern in Deutschland zu immer mehr Fehlzeiten. Knapp 17 Prozent aller Ausfalltage im Job ließen sich 2014 auf Depressionen, Angststörungen und andere psychische Leiden zurückführen. Ein Anstieg um knapp 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Ausgewertet wurden für den Report die Daten von insgesamt 2,7 Millionen erwerbstätigen Versicherten. Und auch die TK, die Techniker Krankenkasse, kommt angesichts der Daten ihrer Versicherten zu ähnlich alarmierenden Zahlen. 2013 verzeichnete sie fast 4,3 Millionen Fehltage aufgrund depressiver Episoden und chronischer Depressionen.

Insgesamt leiden etwa vier Millionen Menschen in Deutschland an Depressionen, schätzt die Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Jeder Fünfte erkrankt einmal in seinem Leben daran. Prominente Beispiele sind der Torwart Robert Enke, der sich 2009 das Leben nahm, der Fußballer Sebastian Deisler oder der Schauspieler Robin Williams. Personen, die gerade auch durch ihren Erfolg unter hohem Erwartungsdruck stehen.

Während eine depressive Verstimmung oftmals allein überwunden werden kann, hat die Depression die Erkrankten fest im Griff. Besserung ist ohne Therapie kaum möglich. Privates und berufliches Leben sowie der gesamte Alltag werden durch die Krankheit erheblich beeinträchtigt. Sie beeinflusst Körper, Denken, Gefühle und Verhalten. Zu den Symptomen gehören Antriebslosigkeit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, vermindertes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, Unentschlossenheit, Zukunftsangst und Suizidgedanken.
Auch körperlich leiden die Betroffenen. Sie spüren Enge-Gefühle in Brust und Hals, haben Muskelverspannungen, Schwindel, Kopfschmerzen. Sie leiden an Appetitlosigkeit, innerer Unruhe, sexueller Unlust oder auch Herzrhythmusstörungen ohne nachweisliche organische Ursachen. Gerade die Vielfältigkeit ihrer Symptome erschwert die Diagnose. Viele Patientinnen und Patienten kommen mit ihren körperlichen Beschwerden zum Arzt, sprechen dort jedoch nicht über ihre seelische Situation. Dadurch wird die Depression als Hintergrund körperlicher Beschwerden noch immer viel zu häufig übersehen.

Eine aktuelle Studie, die das Kölner rheingold Institut in Zusammenarbeit mit Pascoe Naturmedizin erstellt hat, zeigt, dass bei Angehörigen, aber auch bei Ärzten große Unsicherheit im Umgang mit den Betroffenen vorherrscht. Es sei auffällig, wie schwer sich viele Ärzte mit depressiven Patienten tun. Die Gespräche dauerten oft zu lange und seien im Praxisalltag schwer zu steuern. Häufig fühlen sich Ärzte auch durch die Ansprüche der depressiven Patienten überfordert oder durch einen eventuell drohenden Suizid unter Druck gesetzt.
Frauen erkranken der Stiftung Depressionshilfe zufolge etwa doppelt so häufig an einer Depression wie Männer. Anders als diese sprechen sie jedoch beim Arzt öfter auch über ihre psychische Situation und können demzufolge leichter diagnostiziert werden. Als schwierig gilt auch die Abgrenzung der Depression gegenüber dem Burn Out. Die Übergänge sind mitunter so fließend, dass das „Ausgebrannt sein“, vielfach bereits als Depression bezeichnet wird. Streng genommen handelt es sich jedoch beim Burn Out eher um ein chronisches Erschöpfungssyndrom, das unbehandelt in die Depression führen kann. Burn Out-Betroffene sind häufig in helfenden Berufen tätig oder in einer Position, in der sie sich dazu verpflichtet fühlen, Bedürfnisse anderer an erste Stelle zu setzen. Sie empfinden sich selbst aufgrund ihrer hohen Leistungsansprüche oft als unzureichend und nehmen Kritik stärker wahr als Lob und Erfolge.

Wie die Depression wird auch das Burn-Out-Syndrom von körperlichen Symptomen wie beispielsweise Rücken- oder Kopfschmerzen und Verdauungsstörungen begleitet. Sowohl Burn Out als auch Depression entstehen meist nicht von heute auf morgen und lassen sich nicht auf eine Ursache allein zurückführen. Allerdings markieren bestimmte Auslöser häufig das Sichtbarwerden der Krankheit. Solche Auslöser sind beispielsweise der Verlust von Bezugspersonen, Arbeitslosigkeit oder die Anpassung an neue Lebensumstände.
Typisch für die Depression ist, dass hier der Trauerprozess, der dazu führt, den Verlust zu überwinden, erst einmal entfällt. „Man erlebt eine Kränkung, aber es kommt nicht zu seelischer Verarbeitung. Man legt sich komplett still. Man ersetzt den Prozess des Trauerns durch eine unendliche Traurigkeit, die einen im Alltag komplett lahmlegt“, sagt Diplompsychologe Stephan Grünewald vom rheingold Institut. Im Alltag erhalten dann Aufgaben und Reize alle die gleiche Gültigkeit, das heißt, es findet kein Priorisieren von Tätigkeiten und Lebensthemen mehr statt.

Häufig spüren die Betroffenen, dass die eigentlichen Probleme ungelöst bleiben. Und Zugang zur Vielfalt ihrer eigenen Gefühle gewinnen sie in der Regel erst wieder mit Hilfe einer Therapie. Werden Depression behandelt, so geht es zum einen um die Rückbildung der Symptome und zum anderen um Prävention. Hauptpfeiler der Behandlung sind die Psychotherapie und die Medikation mit Antidepressiva. Besteht Selbstmordgefahr, sollte der Erkrankte unbedingt in eine Klinik. Für Angehörige depressiver Menschen ist es wichtig, eigene Bedürfnisse weiter wahrzunehmen und in einem guten Zustand zu bleiben, der es ihnen ermöglicht, den Erkrankten zu unterstützen.

Angesichts der steigenden Fallzahlen sei es wichtig, in der Gesellschaft das Bewusstsein für das Enstehen von Burn out, chronischer Erschöpfung und Depression zu fördern, so Herbert Rebscher, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit: „Die Fortsetzung dieses Trends zeigt, dass das Bewusstsein und die Sensibilität für psychische Leiden sowohl bei den Ärzten als auch bei den Patienten gestiegen ist“, so Rebscher. „Da chronischer Stress ein Risikofaktor für psychische Erkrankungen ist, gehört die Prävention deshalb zunehmend in den Fokus des betrieblichen Gesundheitsmanagements.“

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