Weniger arbeiten, besser leben

Risiken wie Übergewicht, Bluthochdruck, Rauchen und Diabetes sind weltweit für mehr als ein Drittel aller Todesfälle verantwortlich. Kardiovaskuläre Risiken wie Psyche und Darm werden noch erforscht.

Illustrationen: Feline Pessey
Illustrationen: Feline Pessey
Andrea Hessler Redaktion

Ruhm und Geld schützen nicht vor Krankheit und Tod. Starmusiker Elvis Presley und Michael Jackson starben vergleichsweise jung ebenso an Herzversagen wie die Schauspielerin Carrie Fischer, die als Prinzessin Leia in den Star-Wars-Filmen berühmt wurde. Auch beim Jahrhundertfußballer Diego Maradona, übergewichtig und vollgepumpt mit Drogen, setzte das Herz aus.

Andere Stars wie Antonio Banderas sind dem Tod nochmal entkommen und ziehen Konsequenzen aus der beängstigenden Erfahrung. So berichtete der Schauspieler, dass er seit seinem Herzinfarkt nicht mehr rauche und sich gesünder ernähre. Derartige Verhaltensänderungen können Leben retten. Das beweist eine neue Studie des Global Cardiovascular Risk Consortiums unter Federführung der Klinik für Kardiologie im Universitären Herz- und Gefäßzentrum des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Die Studie hat Daten von 1,5 Millionen Menschen aus 34 Ländern in acht geografischen Regionen von Amerika im Westen bis zu Asien und Australien im Osten analysiert. Wichtigstes Ergebnis: Die fünf klassischen Risikofaktoren Übergewicht, Bluthochdruck, erhöhte Cholesterinwerte, Rauchen und Diabetes mellitus stehen weltweit im direkten Zusammenhang mit mehr als der Hälfte aller kardiovaskulären Erkrankungen (koronare Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall). Am gefährlichsten ist der erhöhte Blutdruck.

Risiko Nr. 1: erhöhter systolischer Blutdruck

Risiko und Erkrankung, das beweisen Patienten wie Antonio Banderas, sind kein dauerhaftes Schicksal. „Die untersuchten fünf klassischen Risikofaktoren sind prinzipiell modifizierbar und damit zugänglich für präventive Maßnahmen“, betont Privatdozentin Dr. Christina Magnussen von der Klinik für Kardiologie im UKE. „Bisher gab es widersprüchliche Studienergebnisse, welcher Anteil der kardiovaskulären Erkrankungen durch diese Risikofaktoren tatsächlich erklärt ist“, so die Erstautorin der weltweiten Studie. Jetzt ist klar, dass ein erhöhter systolischer Blutdruck das größte Risiko birgt. „Wir sollten besonderes Augenmerk auf die Therapie von Patient:innen mit erhöhtem Blutdruck legen, um kardiovaskuläre Erkrankungen soweit wie möglich zu vermeiden“, so die Wissenschaftlerin.

Nicht immer sind kardiovaskuläre Erkrankungen auf die fünf untersuchten Risikofaktoren zurückzuführen. Professor Helmut Peter, Chef der Ambulanzen und Kliniken Falkenried für Psychotherapie in Hamburg, weist darauf hin, dass auch Angsterkrankungen, Depressionen und Überarbeitung das Herz krank machen können. So hat zum Beispiel eine Studie der WHO ergeben, dass eine wöchentliche Arbeitszeit von mehr als 55 Stunden das Risiko signifikant erhöht, an einem Herzinfarkt oder Schlaganfall zu sterben. Etwa ein Drittel aller Menschen, so Peter, würden unter Bluthochdruck leiden. „Bei 85 Prozent dieser Patienten finden sich keine körperlichen Ursachen.“ Zudem seien Verhaltensänderungen generell und auch in Bezug auf die Vermeidung kardiovaskulärer Risiken nur schwer umzusetzen. „Es fehlt ein konsequenter Behandlungsansatz. Bisher gibt es zu wenige Behandlungsangebote, die Psyche, Lebensweise und Körper zusammenbringen.“

Überarbeitung macht das Herz krank

Andere individuelle Risiken wären leicht vermeidbar. Dazu zählt zum Beispiel eine mangelhafte Mundhygiene. Dr. Norman Mangner, leitender Oberarzt der Klinik für Innere Medizin und Kardiologie am Herzzentrum der Dresdner Universitätsklinik, betont, dass der bakterielle Befall an Zähnen und Zahnfleisch nicht nur zu Nierenleiden, Gelenk- und Kopfschmerzen führen könne, sondern auch zu Herzbeschwerden. Alles im Körper sei miteinander verbunden. Bakterien im Mundraum könnten sich im ganzen Körper ausbreiten. „Wer also wegen schlecht gepflegter Zähne eine Zahnfleischentzündung, eine Paro­dontitis, hat, bei dem ist es möglich, dass die Bakterienansammlung an der Zahnwurzel über die Blutgefäße in die Blutlaufbahn geschwemmt wird und sich auf den Herzklappen niederlegt“, warnt Mangner.  

Nicht nur Bakterien im Mund können das Herz beeinflussen. Gegenstand vieler Forschungsprojekte ist zum Beispiel das Zusammenspiel von Herz und Darmbakterien, dem Mikrobiom. „Doch das ist alles noch präklinische Forschung. Es gibt bis dato keine standardisierte Diagnostik, keine Diagnosekriterien, keine gesicherte Therapie – aber viel Scharlatanerie“, gibt Dr. Boris Leithäuser, Facharzt für Kardiologie und Psychokardiologie in Hamburg, zu bedenken. Es gebe Labore, die böten eine Mikrobiom-Analyse an, und es gebe Ärzte und Ökotrophologen, die meinten, daraus Diagnosen oder therapeutische Konsequenzen ableiten zu können. „Kein seriöser klinischer Wissenschaftler wird dies zum jetzigen Zeitpunkt unterstützen“, betont Leithäuser. Doch er sei zuversichtlich, dass „wir die Daten für notwendige diagnostische und therapeutische Schritte in Zukunft bekommen werden.“

Forschungen an Mikrobiom und Metabolom

Dafür wird weiter geforscht. Die schwedische Bioinformatikerin Dr. Sofia Forslund, die am Experimental and Clinical Research Center (ECRC) in Berlin die Arbeitsgruppe „Wirt-Mikrobiom Faktoren in Herz-Kreislauferkrankungen“ leitet, hat eine Studie publiziert, für die mehr als 2.000 Patient:innen untersucht wurden. Ziel war es, die Zusammenhänge zwischen Metagenom (alle genetischen Informationen aller Mikroorganismen, die den Darm besiedeln), Metabolom (alle am Stoffwechsel beteiligten Moleküle) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu untersuchen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, so Forslund, „dass sich das Mikrobiom und das Metabolom schon lange vor dem offensichtlichen Beginn eines Herz-Kreislauf-Leidens verändern, nämlich bereits in den Vorstufen einer Stoffwechselerkrankung“. 

Doch viele Auffälligkeiten seien nicht spezifisch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Forslund sieht die Grenzen ihrer aktuellen Arbeit realistisch: „Da es sich um eine Querschnittsstudie handelt, können wir keine Kausalität nachweisen, sondern nur Assoziationen aufzeigen.“ So bleibt aktuell als Vorbeugung gegen Herzinfarkt und Schlaganfall nur, weniger zu arbeiten, gesünder zu leben und regelmäßig die Zähne zu putzen. 
 

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